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Fehlzeiten im Jahr 2018 erreichen einen neuen Höchststand

BKK Gesundheitsreport 2019: Fehltage wegen psychischer Erkrankungen haben sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt

Screenshot zeigt die Verteilung der Krankentage nach Bundesländern

Mit einem Krankenstand von 5,1% erreichen die Fehlzeiten bei den Beschäftigten im Jahr 2018 einen neuen Höchststand, so der aktuelle BKK Gesundheitsreport 2019: „Psychische Gesundheit und Arbeit“. Vor allem die stark ausgeprägte Grippewelle und der damit verbundene starke Anstieg der Fehltage aufgrund Atemwegserkrankungen bzw. Infektionen ist für diesen Rekordwert verantwortlich. Daneben sind die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen im Vergleich zum Vorjahr mit +5,4% noch am stärksten angestiegen.

Fast jeder sechste Fehltag geht auf eine psychische Erkrankung zurück

2,9 AU-Tage werden im Jahr 2018 durchschnittlich pro Beschäftigten durch psychische Erkrankungen verursacht. Das entspricht, gemessen an den 18,5 AU-Tagen je Beschäftigten insgesamt, fast jeden sechsten AU-Tag (15,7%). Damit liegen die psychischen Störungen hinter den Muskel-Skelett-Erkrankungen (23,8%) sowie den Atemwegserkrankungen (16,4%) als AU-Ursache in diesem Jahr auf dem dritten Platz.

Verglichen mit den Werten von 2008 zeigt sich bei den Muskel-Skelett-Erkrankungen ein Anstieg um ein Drittel (+34,2%) sowie bei den Atemwegserkrankungen um mehr als die Hälfte (+51,7%). Im gleichen Zeitraum haben sich hingegen die Fehltage aufgrund psychischer Störungen mehr als verdoppelt (+129,4%). Diese hohe Zunahme ist u. a. dadurch begründet, dass hier mit jedem Krankheitsfall überdurchschnittlich viele Fehltage (im Schnitt 37 Tage je Fall) verbunden sind.

Versorgung Betroffener ist heute schneller und besser

Der Anteil Betroffener mit einer psychischen Erkrankung in Deutschland ist in der letzten Dekade nahezu unverändert geblieben: Etwa 30% der Gesamtbevölkerung erkrankt laut Robert Koch-Institut mindestens einmal im Leben an einer psychischen Störung. Der Anstieg bei den AU-Tagen sowie auch in anderen Leistungsbereichen kommt vor allem durch eine schnellere und bessere Diagnostik und Therapie, die häufiger als früher Betroffene erkennt und behandelt, zustande.

Die öffentliche Diskussion des Themas hat zudem dazu beigetragen, dass die Stigmatisierung der Betroffenen abgenommen und gleichzeitig ein deutlicher Anstieg von Maßnahmen und Initiativen zur Förderung psychischer Gesundheit (z. B. psyGA) zu verzeichnen ist.

„Das eine ist, dass psychische Erkrankungen kein Tabuthema mehr sind. Es wird darüber in der Gesellschaft diskutiert, die Mediziner diskutieren offener darüber, aber auch die Menschen verstecken sich nicht mehr mit psychischen Erkrankungen. Ich gehe davon aus, dass früher viele Diagnosen psychische Erkrankungen verdeckt haben. Es wurden dann allgemeine Befindlichkeitsstörungen oder Ähnliches diagnostiziert. Es wurden die somatischen Folgen, Kopfschmerzen, Migräne, Unwohlsein festgestellt. Dahinter lagen aber psychische Erkrankungen“, sagt Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbandes.

Nicht jede Diagnose führt automatisch zu Fehlzeiten

Nicht jede psychische Erkrankung führt automatisch zu einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Im BKK Gesundheitsreport 2019 wird dies am Beispiel der depressiven Episode (F32) verdeutlicht: Gemessen an den Beschäftigten, die im Jahr 2018 durch einen niedergelassenen Arzt oder Therapeuten eine solche Diagnose erhalten haben, führt dies bei nicht einmal jedem achten (12,1%) zu einer Arbeitsunfähigkeit. Genauso wie Beschäftigte mit einer somatischen Erkrankung (z. B. Diabetes) ist es somit auch für Menschen mit einem psychischen Leiden in der Mehrzahl der Fälle (87,9%) möglich, weiterhin am Arbeitsleben teilzunehmen.

Die Arbeit(-sbelastung) macht den Unterschied

Wie stark Beschäftige von Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen betroffen sind, hängt in hohem Maße von der Arbeit und den damit verbundenen Arbeitsbedingungen ab. Vor allem solche Berufe, die sich bei der Arbeit hauptsächlich mit anderen Menschen beschäftigten (z. B. Gesundheits- und Erziehungsberufe sowie Sicherheitsberufe) und zusätzlich ein hohes Maß an psychosozialem Stress beinhalten, weisen überdurchschnittlich viele AU-Fälle bzw. AU-Tage auf. Wenig überraschend sind es die Beschäftigten in der Altenpflege, die mit durchschnittlich 5,8 AU-Tagen wegen psychischer Störungen an der Spitze aller Berufsgruppen zu finden sind. Im Vergleich zum Durchschnitt (2,9 AU-Tage je Beschäftigten) ist der Wert in der Altenpflege somit mehr als doppelt so hoch.

„Arbeit macht eher gesund als krank! Darauf deuten sowohl Studien zum Effekt der Arbeitslosigkeit als auch Studien zu den Auswirkungen der Berentung hin. Arbeit kann bis zu einem gewissen Grad die psychische Gesundheit positiv wie negativ beeinflussen. Studien hierzu legen nahe, dass Arbeit in erster Linie gesund erhält, und nur unter bestimmten Arbeitsbedingungen krankmacht“, berichtet Professor Dr. Holger Pfaff, Direktor des Instituts für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR), Uni Köln.

Arbeitsplatzverlust durch gezieltes BGF verhindern

Nicht nur die Arbeit selbst, sondern auch der Erwerbsstatus wirkt sich deutlich auf die psychische Gesundheit aus. So ist mit durchschnittlich 15,2 AU-Tagen der Wert für die Arbeitslosen (ALG-I) fast dreimal so hoch, wie der der am meisten belasteten Beschäftigten in der Altenpflege. Arbeit, die als sinnstiftend erlebt wird, kann also durchaus für die (psychische und physische) Gesundheit förderlich sein, in vielen Tätigkeitsfeldern ist aber darüber hinaus Prävention und Gesundheitsförderung v. a. im Bereich Psyche dringend notwendig.

Die große Herausforderung in der Arbeitswelt besteht aktuell und zukünftig nicht allein darin, gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen zu schaffen, sondern auch psychisch erkrankten Mitarbeitern weiterhin eine Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Praxishilfen, wie beispielsweise die durch den BKK Dachverband herausgegebene Broschüre „Psychisch krank im Job“ bieten für Interessierte zahlreiche Informationen, Anlaufstellen und verständliche Handlungsempfehlungen für die betriebliche Praxis.

„Psychische Störungen lassen sich im Arbeitskontext manchmal fast besser erkennen als in einem privaten, denn man kennt die KollegInnen über längere Zeit, kennt ihr Leistungs- und Sozialverhalten. Und wenn sich das verändert, wenn z. B. mehr Fehler stattfinden, Personen sich zurückziehen, sie weniger gepflegt am Arbeitsplatz erscheinen, wenn sie stärker emotional sind während sie früher vielleicht kontrollierter waren, öfter krank oder mit den Gedanken woanders sind, dann ermutigen wir Kolleginnen und Kollegen und Führungskräfte diese Beobachtungen direkt anzusprechen und zu sagen: Mir fällt auf, du veränderst dich! Ist denn irgendwas? Wie geht‘s Dir wirklich?“, erklärt Dr. Ulrich Birner, Leiter des Fachreferats Psychosocial Health der Siemens AG. „Das kann für Betroffene sehr hilfreich sein, die eigene Situation besser zu erkennen, und lässt dem Angesprochenen die Freiheit, sich zu öffnen oder die Privatsphäre zu wahren.“

Der BKK Dachverband ist die politische Interessenvertretung von 76 Betriebskrankenkassen und vier BKK Lan-desverbänden mit rund neun Millionen Versicherten.