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Wenn die Selbstheilungskräfte erschöpft scheinen

Charité-Forschende entdecken Mechanismus zur Regeneration von Stammzellen im Darm

Wenn der Körper nach einer Schädigung des Darms das Notfallprogramm aktiviert, übernehmen gesunde Zellen der Darmwandoberfläche (rot) die Funktion von tiefer liegenden Stammzellen (grün). Einige Zellen leuchten deshalb zweifarbig auf. Foto: Harnack/Charité
Wenn der Körper nach einer Schädigung des Darms das Notfallprogramm aktiviert, übernehmen gesunde Zellen der Darmwandoberfläche (rot) die Funktion von tiefer liegenden Stammzellen (grün). Einige Zellen leuchten deshalb zweifarbig auf. Foto: Harnack/Charité

Für die Regeneration der Darmwand sind Stammzellen verantwortlich. Doch was passiert, wenn sie selbst beispielsweise durch eine Infektion geschädigt werden? Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie haben jetzt herausgefunden, wie genau es dem Organismus gelingt, die Darmwand auch in diesem Fall wieder aufzubauen. Dieses Wissen könnte in Zukunft neue Ansätze zur Behandlung von Darmerkrankungen ermöglichen. Die Ergebnisse der Studie sind im Fachmagazin Nature Communications* veröffentlicht.

Als Grenzfläche zwischen dem körpereigenen Gewebe und körperfremdem Material ist der Darm verschiedensten Einflüssen ausgesetzt. Viele dieser Umweltfaktoren sind nützlich oder sogar überlebenswichtig. Einige jedoch, wie Krankheitserreger oder giftige Nahrungsbestandteile, können die Zellen, die die Darmwand auskleiden, schädigen und zu einer Entzündung führen. In solchen Fällen kann der Körper sein Regenerationsprogramm aktivieren: Stammzellen, die in Vertiefungen der Darmwand liegen, teilen sich häufiger. Ihre Tochterzellen ersetzen dann die geschädigten Zellen an der Oberfläche des Gewebes und stellen die Funktionsfähigkeit der Darmbarriere wieder her. In manchen Fällen jedoch zerstört das körperfremde Material nicht nur die Zellen an der Oberfläche der Darmwand, sondern auch die tiefliegenden Stammzellen. Wie sich die Darmbarriere selbst dann noch erholen kann, hat ein Team unter Leitung von Dr. Michael Sigal von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie und Gastroenterologie am Campus Charité Mitte und Campus Virchow-Klinikum jetzt im Tiermodell untersucht.

„Wie wir zeigen konnten, nehmen hierbei die Muskelzellen, die direkt unterhalb der geschädigten Zellschicht liegen, eine zentrale Rolle ein“, erklärt Dr. Sigal. Die Forschungsgruppe wies nach, dass diese Muskelzellen den Botenstoff R-spondin 3 abgeben, sobald die Stammzellen in der Darmwand verloren gegangen sind. Dieser Botenstoff bewirkt, dass verbliebene, noch gesunde Zellen die Funktion von Stammzellen übernehmen: Sie produzieren Tochterzellen, die das Gewebe im Bereich der Schädigung wiederherstellen. In Versuchen, in denen die Ausschüttung von R-spondin 3 genetisch ausgeschaltet worden war, erwies sich dieser Regenerationsmechanismus bei einer schweren Darmentzündung gar als überlebenswichtig.

„Unsere Studie zeigt also, dass der Körper einen Notfallplan hat für den Fall, dass das normale Selbstheilungsprogramm im Darm nicht ausreicht“, sagt Dr. Sigal. Der Leiter einer Emmy Noether-Nachwuchsgruppe und BIH Charité Clinician Scientist betont: „Wenn allerdings dieser Notfallplan nicht durchlaufen werden kann, kann eine schwere Entzündung im Darm unter Umständen sogar tödlich verlaufen. Hier sehen wir Parallelen zu dem, was wir bei Patientinnen und Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen beobachten: Während sich viele Patienten schnell wieder erholen, wird die Krankheit bei einigen chronisch oder nimmt einen schweren, komplikationsreichen Verlauf.“ Das Forschungsteam möchte das jetzt erweiterte Wissen um die Selbstheilungskräfte eines Organismus nutzen, um neue Ansätze zur Behandlung von akuten und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zu entwickeln. „Wenn wir Möglichkeiten finden, die Regenerationsfähigkeit des Darms zu aktivieren, könnten wir in Zukunft den Verlauf von Darmerkrankungen möglicherweise positiv beeinflussen“, sagt Dr. Sigal.

*Harnack C et al., R-spondin 3 promotes stem cell recovery and epithelial regeneration in the colon. Nat Commun. 2019 Sep 25;10(1):4368. doi: 10.1038/s41467-019-12349-5

Neuro-endokriner Reflex führt zu Infektionen

Verbindung zwischen Nerven- und Immunsystem: Neuro-endokriner Reflex führt zu Infektionen

Neuroendokriner_Reflex_5b3a1a342fWissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin konnten in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der Harvard Medical School in Boston und der Ohio State University in Columbus zeigen, dass die erhöhte Infektionsrate nach Rückenmarksverletzungen durch eine direkte Fehlsteuerung des geschädigten Nervensystems verursacht wird. Über einen neu entdeckten Reflexbogen kommt es zu einer gestörten Hormonfreisetzung in der Nebenniere, die die Abwehrkräfte des Organismus gegenüber Bakterien schwächt. Die in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature Neuroscience veröffentlichten Ergebnisse sind wegweisend für die Entwicklung neuer Therapieansätze zur Reduktion von Infektionen.

Nach Verletzungen des Gehirns oder des Rückenmarks, beispielsweise durch einen Schlaganfall oder Unfall, kommt es zu einer bedeutenden Schwächung des Immunsystems, die häufig zu schweren Infektionen wie Lungenentzündungen oder Harnwegsinfekten führt. Dies wiederum erschwert die Regeneration des verletzen Nervengewebes und die Rehabilitation der betroffenen Patienten. Wie genau die Verletzung des Nervensystems zu den Infektionen führt und welche physiologischen Parameter verantwortlich sind, ist bisher nur sehr ungenau verstanden. Das Forscherteam um Privatdozent Dr. Harald Prüß von der Klinik für Neurologie der Charité und dem DZNE Berlin und um Prof. Dr. Dr. Jan M. Schwab, Leiter der Abteilung für Neuroparaplegiologie der Charité, konnten diesen Ablauf nun erstmalig entschlüsseln.

„Ausgangspunkt unserer Studie war die Vermutung, dass aus dem Rückenmark kommende Nervenbahnen einen direkten Einfluss auf die Funktion von Immunorganen wie Lymphknoten oder Milz haben“, erklärt Privatdozent Dr. Prüß. Er fügt hinzu: „Zu unserer Überraschung zeigte sich jedoch, dass diese direkte Ansteuerung nicht für die Fehlfunktion der Immunorgane verantwortlich ist und es stattdessen zu einer immunologischen Fehlsteuerung kommt, die den gesamten Körper betrifft.“

Die Wissenschaftler wiesen nach, dass das Nervensystem über die Hormonproduktion der Nebenniere einen indirekten Kommunikationsweg nutzt, der zu einem starken Abbau vieler Immunzellen führt. Im gesunden Organismus werden die Nebennieren vom Nervensystem sowie von übergeordneten Hormonzentren kontrolliert. Man ging bisher davon aus, dass eine Verletzung des Zentralnervensystems über die Hormonachse zur Freisetzung von Kortison in der Nebenniere führt, während eine traumabedingte Stressreaktion die Ausschüttung der Nebennieren-Hormone Adrenalin und Noradrenalin verursacht. „Unsere Daten zeigen, dass die Fehlfunktion der Nebenniere unter direkter Kontrolle des verletzten Nervengewebes steht“, ergänzt der Wissenschaftler und Neurologe. Dadurch komme es im Gegensatz zur gängigen Lehrmeinung infolge einer traumatischen Rückenmarkverletzung sogar zunächst zu einem Abfall der Stresshormone und zu einer gesteigerten Kortisonproduktion.

Die veränderten Hormonspiegel führten zu einem dramatischen Abbau vieler Immunzellen, insbesondere von Vorläuferzellen der T- und B-Zell-Reihen. Dadurch schrumpften Milz, Thymus oder Lymphknoten um teilweise 50 bis 80 Prozent ihrer Größe. Durch eine experimentelle Ausschaltung der Nebennieren ließ sich dieser massive Verlust von Immunzellen umkehren, allerdings waren die untersuchten Mäuse weiterhin anfällig für Infektionen. Wurde diesen Tieren hingegen Nebennieren-Gewebe auto-transplantiert, waren sie vor Infektionen geschützt. Die Nebennieren-Transplantate produzieren dabei die für den Körper notwendigen Hormone, stehen aber nicht mehr unter der dysfunktionalen Kontrolle des Nervensystems, wie sie sich sonst nach einer hohen Rückenmarkverletzung ausbildet.

Die Identifikation dieses zweiteiligen pathologischen Reflexbogens per Nervenbahnen vom Rückenmark zur Nebenniere und von dort über Hormonsignale zum Immunsystem, vertieft das Verständnis der Schnittstellen zwischen Nervensystem und Immunsystem fundamental. Die Entdeckung der Immunparalyse und der ihr zugrundeliegenden Mechanismen ist ein wichtiger Schritt hin zu einer besseren Behandlung von rückenmarkverletzten Patienten. Querschnittgelähmte Patienten leiden somit nicht nur an den offensichtlichen Lähmungen von Motorik und Sensibilität, sondern auch einer Lähmung des Immunsystems.

„In der Tat konnten umfassende Analysen der Kortison- und (Nor)Adrenalin-Spiegel bei Patienten zeigen, dass sie sich nach einer akuten Rückenmarkverletzung grundsätzlich ähnlich verhalten wie in den experimentellen Arbeiten“, erklärt Prof. Schwab. Damit könnte die therapeutische Normalisierung dieses neuro-endokrinen Reflexes eine wirksame Strategie sein, um die teils lebensbedrohlichen Infektionen nach einer Verletzung des Zentralnervensystems in den Griff zu bekommen.

*Harald Prüss, Andrea Tedeschi, Aude Thiriot, Lydia Lynch, Scott M. Loughhead, Susanne Stutte, Irina B. Mazo, Marcel A. Kopp, Benedikt Brommer, Christian Blex, Laura-Christin Geurtz, Thomas Liebscher, Andreas Niedeggen, Ulrich Dirnagl, Frank Bradke, Magdalena S. Volz, Michael J. DeVivo, Yuying Chen, Ulrich H. von Andrian, Jan M. Schwab (2017). Spinal cord injury-induced immunodeficiency is mediated by a sympathetic-neuroendocrine adrenal reflex, Nature Neuroscience. doi: 10.1038/nn.4643

Schmerzmedikamente ohne gefährliche Nebenwirkungen

Charité-Wissenschaftler entdecken neues Wirkprinzip

Berlin, 02.03.2017 Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben einen neuen Weg zur Entwicklung von Schmerzmedikamenten gefunden. Anhand von Computersimulation konnte das Forscherteam Interaktionen an Opioidrezeptoren, den Andockstellen für Schmerzmedikamente, analysieren. Im Tiermodell ermöglichte der Prototyp eines morphinähnlichen Moleküls tatsächlich eine starke Schmerzstillung in entzündetem Gewebe. Gesundes Gewebe reagierte hingegen nicht auf den Wirkstoff. Schwerwiegende Nebenwirkungen, wie bislang bei Opioiden bekannt, können so vermieden werden, berichten die Forscher im aktuellen Fachmagazin Science*.

Opioide sind starke schmerzstillende Substanzen. Sie kommen insbesondere bei Schmerzen durch Gewebeverletzungen und Entzündungen, beispielsweise nach Operationen, Nervenverletzungen, Arthritis oder Tumorerkrankungen, zum Einsatz. Häufige Nebenwirkungen können dabei Benommenheit, Übelkeit, Verstopfung und Sucht, in einigen Fällen sogar Atemstillstand sein. „Wir sind davon ausgegangen, dass die Analyse der Interaktionen zwischen Wirkstoffen und Opioidrezeptoren in verletztem Gewebe, im Gegensatz zu gesundem Gewebe, zum Design von neuen Schmerzmitteln ohne schädliche Nebenwirkungen genutzt werden kann“, erklärt Prof. Dr. Christoph Stein, Direktor der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin am Campus Benjamin Franklin den neuen Ansatz. Durch innovative Computersimulation in Zusammenarbeit mit Privatdozent Dr. Marcus Weber vom Zuse-Institut Berlin konnten die Forscher morphinähnliche Moleküle und deren Interaktion mit Opioidrezeptoren analysieren. Dabei ist es ihnen gelungen, einen neuen Wirkmechanismus zu identifizieren, der eine Schmerzstillung ausschließlich in entzündetem Gewebe, also dem erwünschten Zielort, erzielt.

Postoperativer Schmerz und chronischer Entzündungsschmerz ließe sich auf diese Weise ohne Nebenwirkungen behandeln und die Lebensqualität von Patienten entscheidend verbessern. „Im Gegensatz zu konventionellen Opioiden zeigt unser Prototyp NFEPP eine Bindung und Aktivierung von Opioidrezeptoren ausschließlich in saurem Milieu und hemmt somit Schmerz nur in verletztem Gewebe, ohne Atemdepression, Benommenheit, Suchtpotenzial oder Verstopfung hervorzurufen“, so Dr. Viola Spahn und Dr. Giovanna Del Vecchio, Erstautorinnen der Studie. Der Wirkstoff-Prototyp NFEPP ist von den Wissenschaftlern entworfen, synthetisiert und experimentell getestet worden. Unter anderem in Computermodellen wurde eine erhöhte Protonenkonzentration, also eine Ansäuerung wie im Fall einer Entzündung, simuliert. „Es hat sich gezeigt, dass die Protonierung von Wirkstoffen eine entscheidende Voraussetzung für die Aktivierung von Opioidrezeptoren ist“, resümieren die Autoren. Eine Erkenntnis, die auf andere Schmerzarten ebenso übertragen werden könnte. Anwendungen in weiteren Gebieten der Rezeptorforschung sind gleichfalls denkbar, so dass nicht nur Schmerzmittel, sondern auch andere Therapeutika wirksamer und verträglicher werden könnten.

*V. Spahn, G. Del Vecchio, D. Labuz, A. Rodriguez-Gaztelumendi, N. Massaly, J. Temp, V. Durmaz, P. Sabri, M. Reidelbach, H. Machelska, M. Weber, C. Stein. A nontoxic pain killer designed by modeling of pathological receptor conformations. Science. 2017 March 3. doi: 10.1126/science.aai8636.

Deutscher Krebskongress und Patiententag laden ein

Präzisionsmedizin in der Krebstherapie: Deutscher Krebskongress und Patiententag laden ein

Berlin, 17.02.2016 Der Deutsche Krebskongress ist die größte Fachtagung zu Diagnostik und Therapie im deutschsprachigen Raum. In diesem Jahr werden mehr als 10.000 Expertinnen und Experten in der Hauptstadt erwartet. Mit Prof. Dr. Angelika Eggert und Prof. Dr. Ulrich Keilholz stellen zwei führende Onkologen der Charité – Universitätsmedizin Berlin das Präsidium. Ergänzt wird der Kongress durch den Krebsaktionstag – ein Forum für Betroffene, Angehörige und Interessierte.

Der Deutsche Krebskongress greift mit dem Motto „Krebsmedizin heute: präventiv, personalisiert, präzise, partizipativ“ den Leitgedanken der modernen Präzisionsmedizin (P4-Medizin) auf. Dabei erörtern Spezialisten unterschiedlicher Fachrichtungen jüngste Forschungsergebnisse und diskutieren gesundheitspolitische Aspekte der Patientenversorgung, wie beispielsweise die Fortschritte und Aufgaben beim Aufbau klinischer Krebsregister oder bei der Finanzierung der personalisierten Medizin.

Der Krebsaktionstag steht ganz im Zeichen des Patienten: In allgemein verständlicher Form informieren Experten aus der Krebsforschung, der medizinischen Versorgung und dem psychosozialen Bereich rund um das Thema Krebs. Charité-Mediziner beteiligen sich mit ihrer Expertise: So erklärt beispielsweise Prof. Dr. Diana Lüftner von der Klinik für Hämatologie und Onkologie am Campus Benjamin Franklin, was genau personalisierte Medizin bedeutet. Prof. Dr. Peter Vajkoczy, Direktor der Klinik für Neurochirurgie, beantwortet Fragen zu Gliomen, einer Form von Hirntumoren. Über Therapiemöglichkeiten bei Ovarialkarzinomen berichtet Prof. Dr. Jalid Sehouli, Direktor der Klinik für Gynäkologie am Campus Benjamin Franklin und am Campus Virchow-Klinikum. Zudem haben Betroffene und Interessierte die Möglichkeit, mit den Referenten ins Gespräch zu kommen oder sich mit anderen Patienten und Selbsthilfeorganisationen auszutauschen.

Der 32. Deutsche Krebskongress findet vom 24. bis 27. Februar im CityCube Berlin, Messedamm 26, Eingang Jafféstraße, in 14055 Berlin statt. Um Anmeldung wird gebeten.

Der 7. Krebsaktionstag findet am Samstag, den 27. Februar von 9 bis 17 Uhr im CityCube Berlin, Messedamm 26, Eingang Jafféstraße, in 14055 Berlin statt. Der Eintritt ist frei.