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Der lange Schatten von Gewalt im Kindesalter

ERC Starting Grant zur Erforschung generationsübergreifender Folgen früher Traumata

Berlin, 25.09.2017 Übertragen sich Kindheitstraumata, wie beispielsweise frühe Gewalt- und Missbrauchserfahrungen, auf folgende Generationen? Lassen sich die Spätfolgen von Kindheitstraumata in darauffolgenden Schwangerschaften nachweisen? Und haben Kinder von Müttern, die solche Erfahrungen gemacht haben, aufgrund dieser veränderten pränatalen Bedingungen ein erhöhtes Krankheitsrisiko? Diesen Fragen gehen Forscher um Prof. Dr. Claudia Buß an der Charité – Universitätsmedizin Berlin in den kommenden fünf Jahren nach. Mit 1,48 Millionen Euro fördert der Europäische Forschungsrat die geplanten Untersuchungen. Die Arbeiten beginnen in diesem Monat und erste Frauen werden in die Studien aufgenommen.

Der lange Schatten von Gewalt im Kindesalter

Laut EU-Statistik hat eine von drei Frauen in ihrem Leben physische oder sexuelle Gewalt erlebt. Die Spätfolgen kindlicher traumatischer Erfahrungen können vielseitig sein und ein verändertes Stressverhalten, Fettleibigkeit oder auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, im Verlauf des Lebens wiederholt Gewalt ausgesetzt zu sein, umfassen. Kinder von Frauen mit Gewalt- und Missbrauchserfahrungen haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko für psychische und auch körperliche Erkrankungen, auch wenn sie selbst keine traumatischen Erfahrungen gemacht haben. „Es ist wie ein langer Schatten, den Gewalt- und Missbrauchserfahrungen im Kindesalter auslösen“, sagt Prof. Dr. Claudia Buß. „Inwiefern dieser auch in die folgende Generation hineinreicht, das wollen wir herausfinden, beispielsweise anhand von Beobachtungen der Gehirnentwicklung des Kindes.“

Bisher wurden die Ursachen einer möglichen Übertragung mütterlicher früher Lebenserfahrungen in der postnatalen Entwicklungsphase des Kindes gesucht, denn häufig leiden betroffene Frauen unter postpartaler Depression oder haben Schwierigkeiten, eine enge Bindung zu ihrem Kind aufzubauen, was eine optimale kindliche Entwicklung beeinträchtigen kann. Die Charité-Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieser Übertragungsprozess jedoch bereits viel früher beginnt. Zeigen sich während der Schwangerschaft Veränderungen in der Stressbiologie der Mutter, die die Entwicklung des Ungeborenen beeinflussen könnten? Sind daher Kinder von Müttern mit traumatischen Kindheitserfahrungen in ihrem späteren Leben anfälliger für Krankheiten? Lassen sich Veränderungen in der Gehirnstruktur von Neugeborenen feststellen, deren Mütter traumatische Erfahrungen gemacht haben, als sie selbst Kind waren? Fragen wie diese zu den langfristigen Auswirkungen von Kindheitstraumata und deren Übertragung während der Schwangerschaft auf die nachfolgende Generation wollen Prof. Buß und ihr Team anhand umfassender Studien beantworten.

Der ERC Starting Grant fördert wissenschaftlichen Nachwuchs und wird vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Zuge des Forschungsrahmenprogramms Horizon 2020 vergeben. Für den Aufbau der Arbeitsgruppe am Institut für Medizinische Psychologie der Charité stehen 1,48 Millionen Euro zur Verfügung (Grant Agreement)

Seelische Belastungen von Geflüchteten früh erkennen

BMBF fördert Forschung zur psychischen Gesundheit von Flüchtlingen – Seelische Belastungen von Geflüchteten sollen früh erkannt werden

Wanka: „Entstehung folgenschwerer Erkrankungen verhindern“

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert neue Forschungsverbünde zur psychischen Gesundheit geflüchteter Menschen. Viele Flüchtlinge haben Krieg und Gewalt bis hin zu Folter erlebt. Diese traumatischen Erfahrungen hinterlassen tiefe Spuren und erhöhen das Risiko, psychisch zu erkranken. Zusätzlich müssen sich die neu Zugewanderten in einer für sie fremden Kultur zurechtfinden.

„Damit Schutz suchende Menschen die Kraft finden, sich gut in unserem Land zu integrieren, müssen mögliche psychische Störungen und Belastungen früh erkannt werden. Das Ziel ist, die Entstehung folgenschwerer Erkrankungen wie Depressionen oder posttraumatischer Belastungsstörungen möglichst zu verhindern“, sagte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka. Das Bundesforschungsministerium bringt deshalb Forschungsverbünde auf den Weg, die kultursensible Präventions- und Versorgungsansätze entwickeln werden, und stellt dafür für einen Zeitraum von fünf Jahren 20 Millionen Euro bereit.

Die Behandlung psychischer Erkrankungen ist oft komplex. Bei Menschen aus einem anderen Kulturkreis müssen Mediziner und Therapeuten auf die jeweilige Sprache und zusätzlich die Besonderheiten der kulturellen Herkunft eingehen, damit die Behandlung erfolgreich sein kann. Forschung ist hier dringend notwendig: Es fehlen wissenschaftlich abgesicherte Therapiekonzepte, in denen die besonderen Umstände von Flüchtlingen berücksichtigt werden. Der Versorgungsbedarf und auch die Anzahl der geflüchteten Menschen ist nicht mit früheren Fluchtbewegungen vergleichbar. Zudem soll geprüft werden, ob internationale Forschungsergebnisse auf die besondere Situation in Deutschland übertragen werden können.

Die vom BMBF unterstützten Forschungsverbünde sollen untersuchen, welche spezifischen Angebote nötig sind, um die Versorgung von geflüchteten Menschen mit psychischen Erkrankungen möglichst schnell zu verbessern. Dieses Ziel kann nur durch eine enge Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen aus Forschung und Versorgung erreicht werden, so zum Beispiel der Medizin, Psychologie, sowie der Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften. Damit die Forschungsergebnisse zügig in der Versorgung der Patientinnen und Patienten ankommen, sollen neben den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch strukturell relevante Partner an den Forschungsarbeiten mitwirken. Dies können beispielsweise Erstaufnahmeeinrichtungen, Notfallambulanzen oder Krankenkassen sein.