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Kribbeln in Fingern und Händen – Nutzung von Smartphones und Nerven-Engpass-Syndrom

Die intensive Nutzung von Smartphones fördert vermutlich einen Nerven-Engpass im Handgelenk mit schmerzhaften Taubheitsgefühlen, das sogenannte Karpaltunnelsyndrom (KTS). Das belegen aktuelle Studien aus Asien. „Drehende Bewegungen im Handgelenk verstärken das KTS, das ist bekannt“, bestätigt Professor Dr. med. Helmut Buchner von der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN). Wer häufig Kribbeln im zweiten und dritten Finger spürt, sollte einen Neurologen aufsuchen.

Seit langem wissen Mediziner, dass Karpaltunnel-Beschwerden durch intensive Handarbeit entstehen können. „Bei Fleischern etwa gilt das KTS als Berufskrankheit“, berichtet Buchner. „Die drehenden Bewegungen im Handgelenk mit dem Messer fördern den Nerven-Engpass.“ Das gilt gleichermaßen für intensives Stricken oder Reinigungskräfte, die unablässig Wäsche auswringen. „Insofern ist es plausibel, dass der dramatische Mehrgebrauch von Smartphones und Computertastaturen ein KTS auslösen kann, auch wenn dies bisher nur Studien aus Asien belegen“, führt der Neurologe aus. „Ich kann keinen Grund erkennen, warum es bei uns anders sein sollte.“

Beim Karpaltunnel-Syndrom gerät der Nervus medianus unter Druck, der an einer Engstelle durch das Handgelenk führt. Ursache ist meist eine Schwellung, die durch belastende Bewegungen entsteht, ferner durch nächtliches Schlafen mit abgeknickten Handgelenken, starke Gewichtszunahme oder hormonelle Einflüsse wie Schwangerschaft und Wechseljahre. „Frauen sind drei bis vier Mal häufiger als Männer betroffen“, erläutert Buchner. „Schon aufgrund ihres Monatszyklus können Schwellungen leichter entstehen.“ Die Schwellung führt häufig zu Entzündungen, die wiederum Vernarbungen hervorrufen können, was die Durchblutung weiter verschlechtert und die Schwellung befördert.

Erste Symptome sind ein Kribbeln in den Spitzen der ersten drei Finger, vom Daumen bis zum Mittelfinger. „Das Kribbeln fühlt sich elektrisierend und brennend an“, so Buchner. Schüttelt man die Hände, verschwinden die Missempfindungen häufig. Im weiteren Verlauf können Schmerzen auftreten, die nachts sogar bis in den Arm ziehen. „Zum Schluss kann das Kribbeln in ein permanentes Taubheitsgefühl übergehen und sich die Muskulatur am seitlichen Daumenballen der betroffenen Hand zurückbilden“, erklärt DGKN-Experte Buchner, der an der Klinik für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen tätig ist.

Um zu klären, ob ein KTS vorliegt, erfragt der Neurologe zunächst Vorgeschichte und Beschwerden. Dann folgen meist zwei einfache Tests. Beim Phalen-Test presst der Patient die Handflächen wie beim Beten aneinander und knickt zugleich die Handgelenke im 90-Grad-Winkel ab. „Mit dieser Haltung provoziert man die Enge“, erläutert Buchner. „Tritt nach zwei Minuten kein Kribbeln auf, liegt kein KTS vor.“ Beim Hoffmann-Tinel-Zeichen beklopft der Arzt den Mediannerv in der Innenseite des Handgelenks mit dem Finger. Führt das zum Kribbeln in den Fingerspitzen, ist dies ein Hinweis auf ein KTS.

Eine eindeutige Aussage erlaubt die elektrische Diagnostik, die Elektroneurographie. „Mit leichten Stromimpulsen messen wir, wie viel Zeit der Mediannerv für die Weiterleitung eines Reizes benötigt“, so Buchner. Dauert es zu lange, das heißt länger als 4,2 bis 4,5 Millisekunden, hat der Nerv eine Funktionsstörung erlitten. Dann kann eine Therapie erforderlich werden. „Dafür eignet sich ein dreistufiges Vorgehen“, rät Buchner.

Im Anfangsstadium hilft es mitunter, Belastungen zu vermeiden – etwa mit einer Handschiene, die ein Abknicken der Gelenke verhindert. „Oder durch den Verzicht auf intensive Smartphone-Nutzung, vor allem auf drehende Handgelenkbewegungen wie beim Wischen auf dem Display“, rät Buchner. Verhaltensänderungen lösen allerdings die Engstelle nicht auf, räumt der DGKN-Experte ein.

Gut schlägt häufig das einmalige Spritzen von entzündungshemmendem Kortison in die Engstelle an, ein in Deutschland eher selten angewandtes Verfahren. „Diese Behandlung ist besonders für Schwangere geeignet, deren Hormonhaushalt sich nach der Geburt wieder umstellt“, meint Buchner. Sorgen um das ungeborene Kind sind laut Buchner unbegründet: „Die Kortison-Dosis ist minimal und nur örtlich wirksam.“

Am häufigsten und am wirksamsten ist jedoch nach wie vor die Operation, die bei anhaltenden Beschwerden unumgänglich wird. Dabei spalten Hand- oder Neurochirurgen über einen kleineren Schnitt in örtlicher Betäubung das Bindegewebsgewebsband über dem Karpaltunnel, so dass der eingeklemmte Nerv mehr Platz bekommt und der Druck sinkt. Jährlich erfolgen etwa 300.000 Eingriffe dieser Art in Deutschland.

Quellen:

Studien zum Thema:
• Woo EHC, White P, Lai CWK. Effects of electronic device overuse by university students in relation to clinical status and anatomical variations of the
median nerve and transverse carpal ligament. Muscle Nerve. 2017 Nov;56(5):873-880. doi: 10.1002/mus.25697. Epub 2017 Jun 21. (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/mus.25697)

• İnal EE et al. Effects of smartphone overuse on hand function, pinch strength, and the median nerve. Muscle Nerve. 2015 Aug;52(2):183-8. doi: 10.1002/mus.24695. Epub 2015 Jun (https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1002/mus.24695)

Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) ist die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Ärzte und Wissenschaftler in Deutschland, die auf dem Gebiet der klinischen und experimentellen Neurophysiologie tätig sind. Anliegen der DGKN ist es, die Forschung auf diesem Gebiet zu fördern sowie eine qualitätsgesicherte Aus-, Weiter- und Fortbildung zu garantieren. Zu diesem Zweck richtet die DGKN wissenschaftliche Tagungen, Symposien und Fortbildungsveranstaltungen aus. Sie erarbeitet Richtlinien und Empfehlungen für die Anwendung von Methoden wie EEG, EMG oder Ultraschall. Darüber hinaus setzt sich die DGKN für den wissenschaftlichen Nachwuchs ein, indem sie etwa Stipendien und Preise vor allem für junge Forscher vergibt. Die Methoden der klinischen Neurophysiologie kommen Patienten bei der Diagnose und Therapie neurologischer Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer, Migräne, Epilepsie, Schlaganfall oder Multiple Sklerose zugute.

Weitere Informationen:

http://www.dgkn.de

„Deutschland schläft schlecht“

Professor Gerald Lembke zur DAK-Studie „Deutschland schläft schlecht“

Smartphone-Nutzung raubt den Schlaf – und senkt die Produktivität

Eine junge Frau schläft neben ihrem Smartphone ein

Das Smartphone ist für die meisten Menschen ein Segen. Doch der tiefere Blick in die Digitalisierung unserer beruflichen Arbeitswelt zeigt: Die digitalen Arbeitswelten bringen Probleme mit sich, vor denen viele Chefs und Personalentscheider immer noch die Augen verschließen. Was in deutschen Unternehmen kaum thematisiert wird, ist in der
amerikanischen Wirtschaft längst Erkenntnis: Jeder vierte Arbeitnehmer verbringt während seines Arbeitstages mindestens eine Stunde mit persönlichen Anrufen, E-Mails und Textnachrichten. Die Ursachen sinkender Produktivität liegen nicht an der Existenz der Smartphones, sondern an deren unablässiger Nutzung.

Es sind die ständigen Unterbrechungen vor allem durch Textnachrichten der bekannten Messengerdienste, die den Mitarbeitern das Leben so schwer machen. So ist die Smartphone-Nutzung nicht nur Produktivitätskiller, sondern auch Gesundheitsrisiko, wie die jüngste DAK-Studie belegt („Deutschland schläft schlecht“). Dort zeigt die DAK eine dramatische Entwicklung auf: Vier von fünf Berufstätigen schlafen schlecht. Als Ursache dafür gelten laut DAK unter anderem: Termin- und Leistungsdruck im Beruf und das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen.

Vierfünfteln der Mitarbeiter ist es nachts wichtiger, den Akkustatus ihrer Handys zu kontrollieren als den eigenen Akku aufzuladen. „Der dramatische Anstieg von Schlaflosigkeit in den letzten sechs Jahren gibt Anlass zur Sorge“, so der Berliner Schlafforscher Ingo Fietze. Die Digitalisierung sei ein entscheidender Grund für denschlechten Schlaf, meint zudem DAK-Chef Storm. Dies betrifft vor allem die beruflich Engagierten, die durch „Always-On“ Leistungsbereitschaft und Allzeitverfügbarkeit demonstrieren – auf Kosten ihrer Gesundheit.

Digitaleuphorie schadet der Gesundheit

„Der Zusammenhang zwischen der Digitalnutzung und der eigenen Gesundheit ist in der herrschenden Digitaleuphorie in Deutschland immer noch ein Tabuthema. Das muss sich ändern“, sagt Professor Lembke anlässlich der Veröffentlichung der DAK-Studie.„Wir müssen lernen, dass Abschalten entspannter und zufriedener macht als noch mehr Geräte anzuschalten.“ Der Kollaps drohe, wenn das „Internet of Things“, also die digitale Vernetzung aller Gegenstände tatsächlich Realität würde. Dann wäre ein Abschalten tatsächlich immer weniger möglich. Schließlich müssen die vielen digitalen Transaktionen beim Internet der Dinge ja ständig überwacht werden …

Lembke hält es für grob fahrlässig, diese Themen im Unternehmensalltag zu verschweigen. „Eine Leistungsgesellschaft sollte als Vorbild voranschreiten und müsste die Vorteile eines beschränkten Digitalkonsums längst erkannt haben – und danach handeln!“ fordert Lembke. Doch ein Digitalverzicht scheint im Verständnis vieler Menschen im Widerspruch zu den Erwartungen ihrer Chefs zu stehen. Denn sie sind es, die immer online sind und dies erwarten sie auch von ihren Mitarbeitern.

„Chefs unterliegen einer tragischen Logik“, so Lembke. Mitarbeiter werden nicht produktiver, indem sie abends für ihren Chef erreichbar sind und die Einsamkeit ihrer Chefs kompensieren, sondern indem sie in ihrer Freizeit ein digitalfreies Leben führen können und den Schlaf nicht als Übel der Nichterreichbarkeit verstehen.

Eine Strategie im Umgang mit der Smartphone-Übernutzung muss die Verhinderung der ständigen Unterbrechungen sein, damit sich Mitarbeiter und Chefs ihren originären Tätigkeiten widmen können und Konzentrations-, Arbeits- und Denkflüsse wieder ins Fließen kommen. Resultat eines angemessenen Smartphone-Einsatzes sind nicht nur eine deutlich höhere Produktivität, sondern auch ein größeres Glücksempfinden und damit ein höheres subjektives Selbstwirksamkeitsempfinden der Mitarbeiter.

Umgang mit Ablenkungsphänomenen in Unternehmen:

1. Thematisieren Sie die private Smartphone-Nutzung im Unternehmen
2. Verbote sind schlechte Ratgeber – fördern Sie lieber das Durchbrechen der schlechten Routinen durch Dialoge und gemeinschaftlich vereinbarteRegelungen
3. Vermeiden Sie langwierige und -weilige Meetings –, denn dort ist das Smartphone das neue Schiffeversenken

Über Professor Gerald Lembke

Gerald Lembke ist Professor für Digitale Medien an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Sein
Forschungsgebiet ist das digitale Mediennutzungsverhalten in Gesellschaft, Bildung und Wirtschaft. Er
ist Buchautor und Berater für den Einsatz und den Umgang mit Digitalen Medien in Wirtschaft
und Gesellschaft. Zu seinen jüngeren Publikationen zählen „Die Lüge der digitalen Bildung – Wie unsere
Kinder das Lernen verlernen“ und „Im digitalen Hamsterrad – Ein Plädoyer für den gesunden Umgang
mit Smartphone & Co“.