Pressemitteilung
Rückfall in verbraucherpolitisches Mittelalter verhindern: foodwatch fordert Bundesregierung auf, Geheimhaltungspflichten für Lebensmittelbehörden in neuer EU-Kontrollverordnung zu stoppen – Offener Brief an Verbraucherschutzminister
Berlin, 15. Mai 2014. Vor der Verbraucherschutzministerkonferenz hat foodwatch die zuständigen Minister für Verbraucherschutz in Bund und Ländern aufgefordert, die in der neuen EU-Kontrollverordnung vorgesehenen Geheimhaltungsvorschriften für Lebensmittelbehörden zu verhindern. In einem Offenen Brief warnte die Verbraucherorganisation, dass durch die geplante Gesetzesänderung eine umfassende „Geheimhaltungspflicht“ für Kontrollbehörden eingeführt werden solle. Die Bundesregierung müsse daher bei der bevorstehenden entscheidenden Abstimmung im Europäischen Rat gegen die Neufassung der EU-Verordnung intervenieren: Die Geheimhaltungspflicht müsse gestrichen und stattdessen umfassende behördliche Informationspflichten vorgeschrieben werden.
„Die neue EU-Verordnung ist ein Rückfall ins finsterste verbraucherpolitische Mittelalter. Veröffentlichungen wegen Täuschung, Betrug oder ekelerregenden Zuständen werden verboten. Selbst bei Gesundheitsgefahren muss abgewogen werden und auch der von 90 Prozent der Verbraucher gewünschte Hygiene-Smiley wird ein Wunschtraum bleiben. Statt mehr Transparenz wird Schweigen zur ersten Behördenpflicht in Europa erklärt. Doch statt dagegen auf die Barrikaden zu gehen, schweigen sich die Verbraucherschutzminister in Bund und Ländern darüber aus. So entlarvt sich ihre jahrelange Ankündigungspolitik von mehr Transparenz als regelrechte Täuschung der Öffentlichkeit“, kritisierte Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer von foodwatch.
foodwatch forderte die Verbraucherminister von Bund und Ländern auf, jetzt mit aller Macht die Notbremse zu ziehen. Die Zeit wolkiger Absichtserklärungen für mehr Transparenz sei vorbei – die Landesverbraucherminister müssten die Bundesregierung unmissverständlich auffordern, den Behördenmaulkorb aus dem EU-Verordnungstext zu streichen.
Das Europäische Parlament hatte am 15. April einem Gesetzentwurf der Europäischen Kommission für eine Novellierung der EU-Kontrollverordnung zugestimmt. Der Gesetzestext sieht eine umfassende „Geheimhaltungspflicht“ für Lebensmittelbehörden vor. Konkret heißt es, dass Behörden die Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen nicht publik machen dürfen, wenn dies „den Schutz der geschäftlichen Interessen“ von Unternehmen „beeinträchtigen“ würde. Selbst bei potentiellen Gesundheitsgefahren müssten die Behörden künftig prüfen, wie groß das Risiko ist, und ob – so wörtlich – „ein übergeordnetes öffentliches Interesse an der Verbreitung der Informationen besteht“. Bisher sind die Behörden zumindest bei Gesundheitsgefahren in jeden Fall dazu verpflichtet, die Öffentlichkeit zu informieren. In Zukunft jedoch dürften sich die Beamten selbst wenn es um Gesundheitsgefahren geht, aus Sorge vor Klagen im Zweifel für eine Geheimhaltung entscheiden.
foodwatch kritisierte, dass die neue EU-Verordnung nicht zu mehr, sondern zu weniger Lebensmittelsicherheit führen würde, weil die Verbraucher noch seltener wichtige Informationen erhalten würden. „Wenn diese EU-Verordnung Gesetz wird, gibt es in Zukunft sicherlich weniger Lebensmittelskandale – weil die Öffentlichkeit von den Skandalen erst gar nicht erfahren wird“, sagte Matthias Wolfschmidt. „Das Rezept für die immer wiederkehrenden Probleme lautet offenbar: Behörden zum Schweigen verdonnern und Verbraucher für dumm verkaufen – ganz im Sinne der Lebensmittelwirtschaft. Die Bundesregierung muss in den Verhandlungen in Brüssel jetzt beweisen, dass ein funktionierender vorsorgender Verbraucherschutz mehr als nur ein leeres Versprechen ist. Nur wenn Betrug und Gesundheitsrisiken öffentlich werden, wird die Lebensmittelwirtschaft wirklich alles tun, um sich konsequent an alle lebensmittelrechtlichen Vorgaben zu halten.“
Link:
– Mehr als 60.000 Bürgerinnen und Bürger fordern über eine foodwatch-Protestaktion die Veröffentlichung aller Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen durch das dänische Smiley-System: www.foodwatch.de/smiley-aktion