Neue Methode ermöglicht präzise Erforschung bislang kaum untersuchter Teile von Immunzellen im Gehirn / Erkenntnisse können helfen, Lernprozesse und Krankheiten wie Alzheimer und Hirntumore besser zu verstehen und neue Therapien zu entwickeln.
Mangelnde Aktivierung des Locus Coeruleus im Gehirn hemmt den inneren Antrieb
Forschende des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München haben herausgefunden, dass die Erweiterung der Pupille als Reaktion auf eine erwartete Belohnung davon abhängt, ob ein Mensch Freude empfinden kann. Dies weist daraufhin, dass eine zu geringe Aktivität des Locus Coeruleus im Gehirn maßgeblich für die Antriebslosigkeit von Menschen mit Depression verantwortlich ist.
Liraglutid wirkt sich positiv auf die Gehirnaktivität bei Menschen mit Adipositas aus
Übergewicht führt zu einem veränderten Energiestoffwechsel und zu einer verminderten Insulinempfindlichkeit der Zellen. Zur Behandlung von Übergewicht werden immer häufiger sogenannte „Diät-Spritzen“ eingesetzt. Vor allem in den USA haben diese einen regelrechten Hype ausgelöst. Forschende des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung in Köln haben nun gezeigt, dass eine verminderte Insulinsensitivität der Zellen bei Übergewicht die Fähigkeit zum assoziativen Lernen herabsetzt. Bereits eine einmalige Gabe des Abnehm-Medikaments Liraglutid konnte diese Veränderungen rückgängig machen und das Gehirn wieder in den Normalzustand versetzen.
Das Gehirn setzt ein Hormon frei, das die Autophagie ankurbelt
Fasten löst Recycling in den Zellen, die sogenannte Autophagie, aus. Dadurch kann unser Körper seine Zellen selbständig reinigen und neue Energie gewinnen. Forschende des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung in Köln haben jetzt an Mäusen gezeigt, dass das Gehirn bei diesem Prozess eine entscheidende Rolle spielt. Schon nach einer kurzen Fastenzeit löst das Gehirn die Ausschüttung des Hormons Corticosteron aus und leitet damit die Autophagie in der Leber ein. Die Erkenntnisse könnten helfen zu verstehen, warum Fasten so gesund für den Körper ist.
Warum wir von Schokoriegeln und Co. nicht die Finger lassen können
Schokoriegel, Chips und Pommes – warum können wir sie im Supermarkt nicht einfach links liegen lassen? Forschende des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung in Köln haben, in Zusammenarbeit mit der Yale University, jetzt nachgewiesen, dass Lebensmittel mit hohem Fett- und Zuckergehalt unser Gehirn verändern: Wenn wir regelmäßig auch nur kleine Mengen davon essen, lernt das Gehirn, auch weiterhin genau diese Lebensmittel konsumieren zu wollen.
Wissenschaftler decken den Wirkungskreislauf von Epo in Nervenzellen auf
Erythropoietin, kurz Epo, ist ein berüchtigtes Dopingmittel. Es fördert die Bildung von roten Blutkörperchen und steigert – wie man bislang glaubte – auf diese Weise die körperliche Leistungsfähigkeit. Der Wachstumsfaktor schützt und regeneriert aber auch Nervenzellen im Gehirn. Forscher vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen haben nun herausgefunden, wie Epo dort wirkt. Sie haben entdeckt, dass geistige Herausforderungen in den Nervenzellen des Gehirns einen leichten Sauerstoffmangel (von den Forschern ‚funktionelle Hypoxie‘ genannt) auslösen. Dies regt die Produktion von Epo und seinen Rezeptoren in den aktiven Nervenzellen an. Dadurch werden aus benachbarten Vorläuferzellen neue Nervenzellen gebildet, und die Zellen verbinden sich effektiver untereinander.
Erythropoietin ist ein Wachstumsfaktor, der unter anderem die Produktion von roten Blutkörperchen anregt. So fördert es bei Anämie-Patienten die Blutbildung. Darüber hinaus wird der hochpotente Wirkstoff auch zur illegalen Leistungssteigerung im Sport eingesetzt.
„Die Gabe von Epo verbessert die Regeneration nach einem Schlaganfall (genannt ‚Neuroprotektion‘ und ‚Neuroregeneration‘) und verringert so die Schäden im Gehirn. Patienten mit Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit im Rahmen von Schizophrenie, Depression, Bipolarer Erkrankung oder Multipler Sklerose, die wir mit Epo behandelt haben, sind zudem deutlich leistungsfähiger“, sagt Hannelore Ehrenreich vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin. Die Wissenschaftlerin erforscht zusammen mit ihren Kollegen seit Jahren die Rolle von Epo im Gehirn.
Mehr Nervenzellen
Ehrenreich und ihr Team haben nun in Tierversuchen an Mäusen systematisch untersucht, welcher körpereigene Mechanismus der höheren Leistungsfähigkeit des Gehirns nach Epo zugrunde liegt. Ihre Versuchsergebnisse zeigen, dass erwachsene Mäuse nach der Gabe des Wachstumsfaktors 20 Prozent mehr Nervenzellen in der Pyramidenschicht des Hippocampus, einer für Lernen und Gedächtnis entscheidenden Hirnregion, bilden. „Außerdem vernetzen sich die Nervenzellen besser und schneller mit anderen Nervenzellen und tauschen dadurch effizienter Signale aus“, sagt Ehrenreich.
Die Forscher ließen die Mäuse auf Laufrädern trainieren, deren Speichen in unregelmäßigen Abständen angeordnet waren. „Das Laufen in diesen Rädern erfordert das Erlernen komplexer Bewegungsabläufe, die für das Gehirn eine besondere Herausforderung sind“, erklärt Ehrenreich. Die Resultate belegen, dass die Mäuse nach einer Epo-Behandlung die für die Laufräder erforderlichen Bewegungen schneller lernen. Die Nager sind darüber hinaus deutlich belastbarer.
Höherer Sauerstoffbedarf
Den Göttinger Wissenschaftlern war nun das Verständnis der Mechanismen wichtig, welche diese potenten Epo Effekte erklären. Sie wollten der physiologischen Bedeutung des Epo-Systems im Gehirn auf die Spur kommen. In einer Reihe gezielter Experimente konnten sie belegen, dass Nervenzellen beim Lernen komplexer motorischer Aufgaben mehr Sauerstoff benötigen, als ihnen normalerweise zur Verfügung steht. Der dadurch entstehende leichte Sauerstoffmangel (relative Hypoxie) liefert in den Nervenzellen das Signal zur vermehrten Epo-Produktion. „Es handelt sich hierbei um einen selbstverstärkenden Prozess: Geistige Anstrengung führt zu leichter Hypoxie, von uns als ‚funktionelle Hypoxie‘ bezeichnet, der wiederum die Produktion von Epo und seinen Rezeptoren in den entsprechend aktiven Nervenzellen anregt. Epo steigert anschließend die Aktivität dieser Nervenzellen, bewirkt die Bildung neuer Nervenzellen aus benachbarten Vorläuferzellen, und erhöht deren komplexe Vernetzung, um auf diese Weise zu der bei Mensch und Maus messbaren Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit zu führen“, erklärt Ehrenreich.
Der selbstverstärkende Zyklus aus geistiger Herausforderung, aktivitätsinduzierter Hypoxie und Epo-Produktion kann auf unterschiedliche Weise beeinflusst werden: „Die geistige Leistungsfähigkeit lässt sich durch konsequentes Lernen und geistiges Training über die Epo-Produktion der beteiligten Nervenzellen steigern. Ein ähnlicher Effekt wird bei Kranken durch die Verabreichung von zusätzlichem Epo erzielt“, sagt Ehrenreich.
Am Beispiel einer Polarexpedition haben Wissenschaftler*innen der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung die Effekte von sozialer Isolation und extremen Umweltbedingungen auf das Gehirn untersucht.
Studie auf der Neumayer-Station III in der Antarktis
Sie fanden Veränderungen im Gyrus dentatus, einem für das räumliche Denken und das Gedächtnis verantwortlichen Teilbereich des Hippokampus. Die Ergebnisse ihrer Studie sind in der Fachzeitschrift The New England Journal of Medicine erschienen.
Wer zu einer Antarktis-Expedition auf die deutsche Neumayer-Station III des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), aufbricht, muss mit Temperaturen bis zu minus 50 Grad und nahezu vollständiger Dunkelheit im Winter rechnen. Das Leben auf der Station bietet wenig Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten. Kontakte zur Außenwelt sind auf ein Minimum reduziert. Den Aufenthalt abzubrechen, ist zumindest während der langen Wintermonate keine Option: Evakuierungen im Notfall oder Nachschub von Nahrungsmitteln und Equipment sind nur während des relativ kurzen Sommers möglich. „Dieses Szenario bietet uns die Gelegenheit zu untersuchen, wie sich das Leben unter extremen Bedingungen auf das menschliche Gehirn auswirkt“, sagt Alexander Stahn vom Institut für Physiologie der Charité, Leiter der Studie und Assistant Professor an der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania. Gemeinsam mit Simone Kühn, Leiterin der Lise-Meitner-Gruppe Umweltneurowissenschaften am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, und mit Unterstützung des AWI erforschte er in der aktuellen Studie, ob sich die Struktur und die Funktion des menschlichen Gehirns im Verlaufe einer Antarktis-Expedition verändern.
An der Studie nahmen fünf Männer und vier Frauen freiwillig teil, die
insgesamt 14 Monate auf der Polarforschungsstation verbrachten. Davon
waren sie 9 Monate auf sich allein gestellt. Vor, während und nach der
Mission absolvierten sie eine Reihe von computergestützten
Kognitionstests. Diese prüften unter anderem die
Konzentrationsfähigkeit, die Gedächtnisleistung und die
Reaktionsfähigkeit sowie das räumliche Denken. Regelmäßige Bluttests
sollten darüber hinaus Aufschluss über die Konzentration des sogenannten
Wachstumsfaktors BDNF (brain-derived neurotrophic factor) geben – ein
Protein, das sich stimulierend auf das Wachstum der Nervenzellen und
Synapsen im Gehirn auswirkt. Um Veränderungen im Volumen insbesondere
des Hippokampus, einer tief im Gehirn liegenden Region, feststellen zu
können, bestimmte die Forschungsgruppe die Hirnstruktur der
Proband*innen vor sowie nach der Mission in einem
Magnetresonanztomografen. „Dazu nutzten wir eine besonders
hochauflösende Methodik, die es ermöglicht, die einzelnen Teilbereiche
des Hippocampus exakt zu vermessen“, sagt Simone Kühn. Eine neunköpfige
Kontrollgruppe durchlief die gleichen Tests.
Die Messungen ergaben, dass sich ein bestimmter Teilbereich des
Hippokampus, der Gyrus dentatus, bei den Expeditionsteilnehmer*innen
nach Expeditionsende im Vergleich zur Kontrollgruppe verkleinert hatte.
Der Gyrus dentatus spielt für die Festigung von Gedächtnisinhalten und
das räumliche Denken eine wichtige Rolle. Die Veränderungen gingen dabei
mit einer Verringerung des Wachstumsfaktors BDNF einher. Bereits nach
dreimonatigem Aufenthalt in der Antarktis war die Konzentration des
Wachstumsfaktors unter das vor der Expedition gemessene Niveau gesunken
und hatte sich auch eineinhalb Monate nach der Expedition noch nicht
normalisiert. In den Kognitionstests zeigten sich Effekte auf das
räumliche Denken und die sogenannte selektive Aufmerksamkeit, die nötig
ist, um nicht relevante Informationen zu ignorieren. Während sich
Studienteilnehmer*innen nach wiederholter Absolvierung der Tests
normalerweise darin verbessern, fiel dieser Lerneffekt geringer aus, je
stärker das Volumen des Gyrus dentatus abgenommen hatte.
„Angesichts der geringen Anzahl an Probandinnen und Probanden sind
die Ergebnisse unserer Studie vorsichtig zu interpretieren. Sie geben
aber – wie auch erste Erkenntnisse bei Mäusen – einen wichtigen Hinweis
darauf, dass sich extreme Umweltbedingungen negativ auf das Gehirn,
insbesondere auf die Bildung neuer Nervenzellen im Gyrus dentatus des
Hippocampus, auswirken können“, erklärt Alexander Stahn. Im nächsten
Schritt wollen die Wissenschaftler*innen nun untersuchen, ob
beispielsweise Sport den beobachteten Veränderungen des Gehirns
entgegenwirken kann.
Original Publication Stahn, A. C., Gunga, H.-C., Kohlberg, E., Gallinat, J., Dinges, D. F., & Kühn, S. (2019). Brain changes in response to long-duration Antarctic expeditions. The New England Journal of Medicine, 381, 2273–2275. doi:10.1056/NEJMc1904905
Charité – Universitätsmedizin Berlin Die Charité – Universitätsmedizin Berlin ist mit rund 100 Kliniken und Instituten an 4 Campi sowie 3.001 Betten eine der größten Universitätskliniken Europas. Im Jahr 2018 wurden hier 152.693 voll- und teilstationäre Fälle sowie 692.920 ambulante Fälle behandelt. An der Charité sind Forschung, Lehre und Krankenversorgung eng miteinander vernetzt. Konzernweit sind rund 18.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Berliner Universitätsmedizin tätig. Damit ist die Charité eine der größten Arbeitgeberinnen Berlins. Rund 4.500 der Beschäftigten sind im Pflegebereich und 4.300 im wissenschaftlichen und ärztlichen Bereich tätig. Im Jahr 2018 hat die Charité Gesamteinnahmen von mehr als 1,8 Milliarden Euro erzielt. Mit mehr als 170,9 Millionen Euro eingeworbenen Drittmitteln erreichte die Charité einen erneuten Rekord. An der medizinischen Fakultät, die zu den größten in Deutschland gehört, werden mehr als 7.500 Studierende der Humanmedizin und der Zahnmedizin ausgebildet. Darüber hinaus gibt es 619 Ausbildungsplätze in 9 Gesundheitsberufen. http://www.charite.de
Verschiedenste Erscheinungsformen von Immunzellen im menschlichen Gehirn erstmalig identifiziert
Besondere Subform der Immunwächter bei Hirntumoren entdeckt / Studie im Fachmagazin Nature Neuroscience erschienen
Ein internationales Forscherteam unter Leitung des Universitätsklinikums Freiburg, des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik Freiburg sowie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, hat das hirneigene Immunsystem des Menschen im gesunden und erkrankten Gehirn neu vermessen. Dabei fanden die Forscherinnen und Forscher überraschend viele unterschiedliche Erscheinungsformen von Immunzellen, Mikroglia genannt. Mit neuartigen, hochauflösenden Techniken untersuchte das Team aus Freiburg und Berlin die Bausteine und den Stoffwechsel einzelner Immunzellen im Hirngewebe. So wiesen sie detailliert nach, wie sich das menschliche Immunsystem bei Hirntumoren verändert, was für zukünftige Therapieansätze von Bedeutung sein dürfte. Die Studie erschien am 18. November 2019 im Fachmagazin Nature Neuroscience.
„Wir waren sehr überrascht zu sehen, in wie vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen Mikrogliazellen im menschlichen Gehirn zu finden sind. Der Zustand der Zellen wird offensichtlich stark durch Faktoren wie Altern, Tumoraktivität und umgebende Zellen beeinflusst“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Marco Prinz, Ärztlicher Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsklinikum Freiburg und Mitglied im Exzellenzcluster CIBBS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. „Die Vielfalt der Immunzellen eröffnet neue Therapieansätze gegen Hirntumoren oder neurodegenerative Erkrankungen“, fasst Prinz zusammen. Für ihre Studie werteten die Forscher Gewebeproben von 15 Patienten aus, bei denen aufgrund einer Epilepsie oder eines Tumors Hirngewebe entnommen werden musste. Frühere Studien an Nagergehirnen waren zu dem Schluss gekommen, dass Mikroglia nur wenige unterschiedliche Aktivitätszustände einnehmen können.
Mikroglia, die Immunwächter im Gehirn, übernehmen während der Hirnentwicklung wie auch im gesunden und kranken Erwachsenengehirn viele verschiedene Aufgaben, von der Ernährung bis hin zur Gewebereparatur. In den letzten Jahren wird diesen hirneigenen Immunwächtern zunehmend auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung zahlreicher degenerativer Hirnerkrankungen wie Alzheimer, Parkinson aber auch bei entzündlichen Erkrankungen wir Multipler Sklerose und bei Hirntumoren zugeschrieben. Daher sind Wissenschaftler weltweit sehr daran interessiert, Mikrogliazellen detaillierter zu verstehen, um diese zukünftig gezielt therapeutisch verändern zu können.
Eine Manege voll von verschiedenen Immunwächtern bei Hirntumoren
Detailliert verglichen die Forscher um Prinz und Dr.Dominic Grün, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg, gemeinsam mit den Erstautoren der Studie, Dr. Roman Sankowski vom Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Freiburg, und Dr. Chotima Böttchervon der Charitè Universitätsmedizin Berlin, die unterschiedlichen Zustände der Mikrogliazellen in menschlichen Hirntumoren. Bislang wurde angenommen, dass es vor allem im Blut zirkulierende Immunzellen sind, die in Hirntumoren zu finden sind. Sankowski konnte zeigen, dass es im Hirntumorgewebe speziell aktivierte hirneigene Mikrogliazellen gibt. Diese Zellen unterscheiden sich von anderen Mikroglia in zellulärer Ausstattung und Zellstoffwechsel. „Wir haben die Hoffnung, dass jetzt neue zellspezifischere und nebenwirkungsarme Therapieansätze entwickelt werden können, mit denen sich Tumorerkrankungen besser behandeln lassen“, sagt Sankowski.
Mit Laser und Molekularanalyse die Zelle erforschen
Die Untersuchung wurde dank neu entwickelter Einzelzell-Analysen (englisch single cell analyses) möglich. Damit ermittelten die Forscher anhand von RNA-Analysen die Genaktivität und mittels Lasermessung die Proteinausstattung einzelner aus dem Hirngewebe extrahierter Zellen. „Mit diesen Methoden erhalten wir ein wesentlich präziseres zelluläres Bild von sehr komplexen Geweben wie dem Hirn und darin stattfindende Veränderungen“, sagt Grün, einer der Entwickler dieser Technik. „Deshalb dürften die Methoden ein enormes Potenzial für die medizinische Diagnostik haben“, so Grün.
Bildunterschrift: Einzelzellanalyse von Mikrogliazellen: Jeder Punkt zeigt eine Zelle und die Farben signalisieren verschiedene Gruppen von Mikrogliazellen, wie sie im menschlichen Gehirn vorkommen. Bildrechte: Roman Sankowski / Universitätsklinikum Freiburg
Originaltitel der Studie: Mapping microglia states in the human brain through the integration of high-dimensional techniques.
Mit einem besonderen Experiment beantworten Freiburger Wissenschaftler eine jahrzehntelang diskutierte Forschungsfrage
In Pink ist das artikulatorische Hirnareal abgebildet, das sowohl bei der Produktion als auch bei der Wahrnehmung der Sprache bei allen Probanden aktiv war. Grafik: Translational Neurotechnology Lab (Freiburg)
Hirnregionen, die an der Produktion von Sprache beteiligt sind, sind auch bei der Wahrnehmung von Sprache aktiv. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team des Exzellenzclusters BrainLinks-BrainTools der Universität Freiburg – und liefert damit einen wesentlichen Beitrag zur Klärung einer jahrzehntelang kontrovers diskutierten Forschungsfrage. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ihre Ergebnisse im Fachjournal „Scientific Reports“ veröffentlicht.
Spontane sprachliche Kommunikation ist ein fundamentaler Teil des sozialen Lebens. Aber was passiert dabei im menschlichen Gehirn? Obwohl die Neurowissenschaft der Sprache in den vergangenen Dekaden dank experimenteller Untersuchungen stetig vorangeschritten ist, ist wenig darüber bekannt, wie Sprache bei nicht-experimentellen, spontanen Bedingungen des Alltags im Gehirn unterstützt wird. Inwiefern die für Artikulation verantwortlichen Gehirnregionen auch bei der Wahrnehmung von Sprache aktiviert werden, ist seit Jahrzehnten umstritten. Manche Forscherinnen und Forscher haben eine solche Aktivierung bei experimentellen Untersuchungen beobachtet und daraus geschlossen, dass es sich um einen Mechanismus handelt, der für die Wahrnehmung von Sprache notwendig ist. Andere haben diese Aktivierung in ihren Experimenten nicht gefunden und daraus abgeleitet, dass sie selten sein muss oder womöglich gar nicht existiert.
Beide Lager waren sich jedoch einig: Wenn sich die Hirnaktivität in artikulationsrelevanten Regionen während der Wahrnehmung von Sprache verändert, könnte dies auch auf den Aufbau des Experiments zurückzuführen sein – schließlich unterscheiden sich experimentelle von spontansprachlichen Bedingungen markant. Deshalb war eine Studie anhand von natürlichen Konversationen notwendig.
Mithilfe eines besonderen Designs ist es den Forschern aus Freiburg gelungen, neuronale Aktivität bei solchen Konversationen zu untersuchen. Dies geschah mithilfe von Aufnahmen von Gehirnaktivität, welche während alltäglicher Unterhaltungen bei neurologischen Patienten zur Diagnostik aufgezeichnet wurden und anschließend mit Einverständnis der Patientinnen und Patienten für Forschung verwertet werden durften. Die Wissenschaftler zeigen, dass artikulationsrelevante Hirnregionen zuverlässige Aktivität bei der Wahrnehmung spontangesprochener Sprache aufweisen. Diese Regionen waren jedoch nicht aktiviert, als die Probanden nicht-sprachliche Geräusche gehört haben.
Originalpublikation:
Olga Glanz (Iljina), Johanna Derix, Rajbir Kaur, Andreas Schulze-Bonhage, Peter Auer, Ad Aertsen, Tonio Ball (2018): Real-life speech production and perception have a shared premotor-cortical substrate. In: Scientific Reports. https://rdcu.be/VDs2
Forscher des Universitätsklinikums Freiburg finden Mechanismus, mit dem im Mausmodell Alzheimer-typische Veränderungen reduziert werden konnten / Dafür klären sie die epigenetische Steuerung von Immunzellen des Gehirns / Studie im Fachmagazin Immunity
Durch das gezielte Ausschalten zweier Gene lässt sich das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit aufhalten und die kognitive Leistung verbessern. Das haben jetzt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Universitätsklinikums Freiburg bei Mäusen gezeigt, die Alzheimer-ähnliche Veränderungen des Gehirns aufwiesen. Die Forscher veränderten das Erbgut von Immun-Fresszellen im Gehirn, den sogenannten Mikrogliazellen. Dadurch veränderten sich die Fresszellen funktionell und entfernten mehr von den schädlichen Eiweißablagerungen, die bei Alzheimer zur Schädigung des Gehirns führen. Die beiden ausgeschalteten Gene gehören zur epigenetischen Steuerung und regulieren, welche Gene wann wie stark abgelesen werden. Bislang war über diese Steuerung bei Mikroglia wenig bekannt. Die Erkenntnisse der Freiburger Forscher könnten Grundlage für neue Therapien bei neurodegenerativen Erkrankungen werden. Die Studie erschien am 13. März 2018 in der Fachzeitschrift Immunity.
„Die behandelten Tiere mit Alzheimer-Symptomen erzielten deutlich verbesserte Lern- und Erinnerungsleistungen. Sie erreichten nahezu die Werte gesunder Tiere“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Marco Prinz, Ärztlicher Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsklinikum Freiburg. „Durch das Ausschalten der Gene nahmen die Mikroglia-Fresszellen mehr Alzheimer-typische Ablagerungen im Gehirn auf, wodurch sich die Menge dieser Ablagerungen deutlich verringerte.“ Abgesehen von der erwünschten Erhöhung der Fressaktivität verhielten sich die Zellen normal.
Mikroglia räumen im Gehirn auf
Mikroglia sind gehirnspezifische Makrophagen oder Fresszellen. Sie räumen während der Reifung des Gehirns nicht funktionierende Zellen ab und schützen Nervenzellen vor Krankheitserregern. Es wird aber auch angenommen, dass Mikroglia eine entscheidende Rolle bei Krankheiten wie Alzheimer, Multiple Sklerose oder bestimmten psychiatrischen Erkrankungen wie Autismus und Schizophrenie spielen. Dabei können unvollständig aktivierte Mikroglia ebenso wie übermäßig aktivierte Zellen zu einer Hirnschädigung beitragen.
Für die Entwicklung und Regulation von Zellen spielen neben genetischen Informationen, welche in der DNA der Zelle kodiert sind, epigenetische Veränderungen eine entscheidende Rolle. Diese haben Einfluss darauf, welche DNA-Abschnitte wann und wie stark abgelesen werden. Das Team des Instituts für Neuropathologie am Universitätsklinikums Freiburg um Prof. Prinz, die Wissenschaftlerin Dr. Moumita Datta und den Neuropathologen Dr. Ori Staszewski schalteten jetzt zwei dieser epigenetischen Faktoren aus, so genannte Histondeacetylasen (Hdac1 und Hdac2). Dadurch wurden mehr Gene abgelesen, die das Fressverhaltender Zellen lenken. „Die Epigenetik ist von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung und Funktion von Mikrogliazellen“, sagt Prof. Prinz.
Wie die Freiburger Forscher aber auch feststellten, wird die Reifung der Mikroglia gehemmt, wenn die Gene bereits während der Gehirnreifung fehlen. „Ohne die Funktion dieser epigenetischen Faktoren nimmt die Zahl der Mikroglia während der Hirnentwicklung ab und die Zellen reifen nicht normal aus“, sagt Dr. Staszewski.
Die Arbeit ist Teil des Sonderforschungsbereichs „Medizinische Epigenetik (MedEp)“ (SFB 992). Ziel dieser Forschungsinitiative ist es, grundlegende Mechanismen epigenetischer Regulation zu untersuchen und die gewonnenen Erkenntnisse in klinische Anwendungen zu übertragen.
Bildunterschrift: Fresszellen des Gehirns (Mikroglia – in rot) interagieren mit Ablagerungen (Amyloidplaques – in grün) im Rahmen der Alzheimer-Erkrankung und nehmen diese in sich auf.
Bildquelle: Universitätsklinikum Freiburg
Originaltitel der Studie: Histone Deacetylases 1 and 2 Regulate Microglia Function during Development, Homeostasis, and Neurodegeneration in a Context-Dependent Manner.