Langzeitstudie des WIdO: Mehr als ein Viertel der entlassenen Covid-19-Patienten mussten zurück in die Klinik
Berlin. Mehr als ein Viertel der stationär behandelten Patientinnen und Patienten mit Covid-19 mussten nach ihrem Klinikaufenthalt erneut im Krankenhaus behandelt werden. Das zeigt die erste bundesweite Langzeitstudie, die das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) auf Basis der Abrechnungsdaten von AOK-versicherten Patientinnen und Patienten durchgeführt hat. Die Ergebnisse sind jetzt im medizinischen Fachmagazin „PLOS ONE“ veröffentlicht worden. Neben der hohen Wiederaufnahmerate zeigt sich bei den Covid-19-Erkrankten auch eine hohe Sterblichkeitsquote. So starben insgesamt 30 Prozent der Patientinnen und Patienten während des ersten Krankenhausaufenthalts oder in den ersten sechs Monaten danach. Die Kohorten- studie des WIdO liefert erstmals aussagekräftige Daten zu den längerfristigen Folgen der Co- vid-19-Erkrankung von hospitalisierten Patienten und macht deutlich, dass die Nachsorge für die Patientinnen und Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wichtig ist.
In die Auswertung sind die Daten von insgesamt 8.679 bei der AOK versicherten Covid-19-Erkrankten einbezogen worden, die vom 1. Februar bis zum 30. April 2020 nach einer bestätigten SARS-CoV-2-Infektion stationär behan- delt wurden. Von diesen Patientinnen und Patienten mit einem Durchschnittsalter von knapp 69 Jahren verstar- ben 25 Prozent im Krankenhaus. Von den 6.235 Überlebenden mussten 1.668 (27 Prozent) innerhalb eines hal- ben Jahres nach der ersten Krankenhausbehandlung wieder im Krankenhaus aufgenommen werden. Die Wie- deraufnahme erfolgte in den meisten Fällen wegen Problemen mit der Atmung (36 Prozent, siehe Abbildung 1) oder aufgrund neurologischer Störungen (29 Prozent). 6 Prozent der entlassenen Patientinnen und Patienten starben in den ersten sechs Monaten nach dem Krankenhausaufenthalt – die Hälfte von ihnen nach einer erneu- ten Krankenhauseinweisung. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei schweren Verläufen der Erkrankung eine engmaschige Nachsorge durch Haus- und Fachärzte erforderlich ist“, sagt Christian Günster, Leiter des For- schungsbereich Qualitäts- und Versorgungsforschung beim WIdO.
Sterblichkeitsrate von 30 Prozent nach sechs Monaten
Die Studie macht auch die Sterblichkeitsraten der stationär behandelten Covid-19-Erkrankten erstmals über einen längeren Zeitraum transparent. „Der Befund aus früheren Auswertungen, dass ungefähr ein Viertel der stationär behandelten Patientinnen und Patienten mit Covid-19 während des Krankenhausaufenthalts verstirbt, hat sich auch in unserer Analyse bestätigt“, so Günster. „Die längerfristige Betrachtung ermöglicht nun zusätzlich einen Blick auf die schwerwiegenden Langzeitfolgen der Erkrankung.“ So starben von den 8.679 in die Studie
eingeschlossenen Erkrankten 24 Prozent im ersten Monat nach der Krankenhausaufnahme. Drei Monate nach der Erstaufnahme lag der Anteil der Verstorbenen bereits bei 28 Prozent, sechs Monate danach bei 30 Prozent (Abbildung 2). Mehr als jeder zweite über 80-Jährige war ein halbes Jahr nach stationär behandeltem Covid-19 verstorben. „Diese Zahlen zeigen, dass Covid-19 auch nach dem initialen Krankenhausaufenthalt zu vielen To- desfällen führt – insbesondere bei den Älteren. Die Krankheit hat damit auch langfristig schwerwiegende Fol- gen“, sagt Christian Günster.
Die durchschnittliche Verweildauer der Covid-19-Patientinnen und -Patienten beim ersten Krankenhausaufent- halt lag bei 16,5 Tagen. Ein Fünftel (21 Prozent) von ihnen musste künstlich beatmet werden – davon wurden 19 Prozent invasiv und 2 Prozent nicht-invasiv beatmet. Häufige Komplikationen während des Krankenhausauf- enthalts waren der septische Schock (16 Prozent), akutes Lungenversagen (15 Prozent) und akutes Nierenver- sagen (14 Prozent).
Multiple Risikofaktoren für Sterblichkeit
Die Studie untersuchte auch Faktoren, die zu einer erhöhten Mortalität nach dem Krankenhausaufenthalt beitragen. So war der größte Anstieg der Sterblichkeit bei Patienten insbesondere mit Blutgerinnungsstörungen (Koagulopathien), Lebererkrankungen und einem Body-Mass-Index von über 40 zu verzeichnen. „Diese Daten stimmen mit dem überein, was wir bereits aus anderen Studien über die Erkrankung Covid-19 wissen“, so Günster.
Bei der Sterblichkeit gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Die Überlebenswahrscheinlichkeit war bei den Frauen zu allen drei Zeitpunkten etwa 5 Prozentpunkte höher als bei den Männern. Nach 180 Tagen waren 27 Prozent der Frauen und 32 Prozent der Männer verstorben. Dies ist nach Einschätzung der Studienau- toren möglicherweise auf die bessere Immunantwort bei Frauen zurückzuführen. In der Gruppe der über 80- Jährigen lag der Anteil der Verstorbenen innerhalb von sechs Monaten mit 52 Prozent am höchsten. Eine ebenso hohe Sterblichkeitsrate (52 Prozent) wurde bei den beatmeten Patienten verzeichnet, während sie bei den nicht beatmeten Patienten mit 24 Prozent weniger als halb so hoch war. Im Lichte der aktuellen Analyse sollte aus Sicht der Autoren kritisch bewertet werden, ob die derzeitige Intensivtherapie – insbesondere die Beatmung bei Patienten über 80 Jahren – angesichts der hohen Sterblichkeitsraten wirklich wirksam ist.
Die Abrechnungsdaten der AOK, die für die Durchführung der Studie verwendet wurden, bilden etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung ab. Die Ergebnisse können daher als repräsentativ gelten. Eine Limitation der Studie ist, dass den Daten nicht entnommen werden kann, ob die Patienten auf einer Intensivstation oder auf einer Normalstation behandelt wurden. Zudem kann die Beobachtungsstudie den kausalen Zusammenhang von Risikofaktoren und Sterblichkeit nicht sicher belegen.
Link zur Veröffentlichung: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0255427