Ärzte, Apotheken, AOKs, Patientenverbände und selbst das Gesundheitsministerium wollten Anfang 2019 Arznei-Importe zurückdrängen. Doch E-Mails aus dem Wirtschaftsministerium, die WDR, NDR und SZ vorliegen, zeigen, dass sich Minister Altmaier Mitte Januar persönlich bei Minister Spahn für die Importeure einsetzte. Wenige Tage später war die Abschaffung der Importquote vom Tisch.
Das
saarländische Unternehmen Kohlpharma ist eine der Firmen, die ihr Geld
damit machen, Arzneimittel billig im Ausland einzukaufen, in eine
deutsche Packung zu stecken und als Importarzneimittel an Apotheken zu
verkaufen. Die Apotheken wiederum sind gezwungen, einen bestimmten Teil
ihres Umsatzes mit diesen Importarzneimitteln zu machen.
Die Regel war einst als Sparmaßnahme für die Krankenkassen gedacht,
doch die tatsächlichen Einsparungen sind mittlerweile gering. Wenn zum
Beispiel ein Medikament in Deutschland 1000 Euro kostete und in
Griechenland 600 Euro, könnte es ein Importeur in Griechenland einkaufen
und in Deutschland für 950 verkaufen. Ein glänzendes Geschäft – für den
Importeur. Im vergangenen Jahr sorgten die Importe nur für
Einsparungen von schätzungsweise 0,3 Prozent der Arzneimittelausgaben
der Gesetzlichen Krankenkassen. Auf diese Zahl beruft sich der
Bundesrat. Kohlpharma spricht von doppelt so hohen Einsparungen.
Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft,
Wolf-Dieter Ludwig, forderte jüngst aus einem anderen Grund, den
Importzwang abzuschaffen. Man dürfe Patienten nicht unnötig gefährden.
Hintergrund ist, dass bei mehreren Arzneimittel-Skandalen einigen
kleineren Importeuren vorgeworfen wurde, die ausländische Ware schlecht
zu kontrollieren. Auch die zuständigen Landesbehörden tun sich mit der
Kontrolle der Importe schwer. Patientenverbände, der AOK-Bundesverband
und der Dachverband der Apotheker wollten deshalb ebenfalls den
Importzwang beenden. Kohlpharma hatte mit diesen Skandalen nichts zu
tun.
Das Gesundheitsministerium legte im November 2018 zunächst einen
Gesetzentwurf vor, in dem die Importklausel eingeschränkt werden sollte,
Mitte Januar wollte Spahn die Klausel dann in einem überarbeiteten
Gesetzentwurf sogar komplett abschaffen. Kurz zuvor hatte auch der
Bundesrat die Regierung aufgefordert, die Importpflicht abzuschaffen.
Einzig das Saarland stimmte dagegen. Kohlpharma sagt, die Abschaffung
der Importklausel hätte „der Interessenlage” der großen Pharmakonzerne
entsprochen.
Kohlpharma selbst ist mit mehr als 600 Millionen Euro Umsatz und 800
Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber im Saarland. Der Firmensitz
Merzig liegt im Wahlkreis von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier
(CDU). Laut internen E-Mails und Vorlagen aus dem
Wirtschaftsministerium, die WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung mit Hilfe
des Informationsfreiheitsgesetzes erlangt haben, hat sich Altmaiers
Ministerium seit November 2018 massiv für den Erhalt der Arznei-Importe
eingesetzt. In einem Vermerk des zuständigen Fachreferats zu Spahns
Gesetzesentwurf vom 21. November 2018 heißt es bereits: „Für die
Arzneimittelimporteure bedeutet die beabsichtigte Regelung eine
Verschlechterung ihrer Marktbedingungen. Daher ist mit Widerstand der
Importeure zu rechnen.” Dennoch empfahl die Fachabteilung im
Wirtschaftsministerium die Zustimmung zur damals noch geplanten
Einschränkung der Importregelung. Auf einer Vorlage für Staatssekretärin
Claudia Dörr-Voß vom 10. Dezember ist das Wort “Zustimmung” aber mit
rotem Stift durchgestrichen und handschriftlich “Leitungsvorbehalt”
hinzugefügt, das heißt, die Leitung des Wirtschaftsministeriums behielt
sich das letzte Wort bei der vom Gesundheitsministerium geplanten
Änderung vor. Einen Tag später, am 11. Dezember 2018, hieß es in einer
E-Mail an die Fachabteilung im Wirtschaftsministerium: “Bundesminister
möchte dazu direkt mit Bundesminister Spahn sprechen”.
Am 8. Januar hält das Wirtschaftsministerium in einem Vermerk zu einer
Abteilungsleitersitzung mit ausdrücklichem Verweis auf den
saarländischen Importriesen noch einmal fest: “Position BMWI:
Minister-Vorbehalt („Kohlpharma“)”.
Drei Tage später wendet sich Kohlpharma direkt per E-Mail an den
Minister. “Sehr geehrter Herr Altmaier”, heißt es darin, “wenn eine
Änderung überhaupt Sinn macht, dann wäre es am Besten, die Ergänzungen
aus dem Rahmenvertrag nachzuvollziehen. Gerne würde ich darüber kurz mit
Ihnen telefonieren.” In diesem so genannten Rahmenvertrag hatte sich
der Spitzenverband der Krankenkassen einige Monate vorher mit dem
Apothekerverband auf eine Neuregelung bei den Importen verständigt.
Importarzneimittel unter 100 Euro sollen demnach mindestens 15 Prozent
günstiger sein, zwischen 100 und 300 Euro mindestens 15 Euro und ab 300
Euro nur noch 5 Prozent. Kohlpharma räumt auf Nachfrage zu der E-Mail
ein: “In einem wenige Tage später stattgefundenen kurzen Telefonat hat
sich Herr Altmaier nach den ökonomischen Auswirkungen der geplanten
Regelung erkundigt”, habe aber keine Zusagen gemacht.
Wenige Stunden nachdem die Mail von Kohlpharma bei Altmaier eintraf,
wurde der Abteilungsleiter Gesundheitswirtschaft um eine Einschätzung
(“EILT sehr”) zu dem Vorschlag gebeten. “Für eine kurzzeitige
Rückmeldung noch heute wäre ich sehr dankbar, gerne per Mail, damit wir
BM (Bundesminister Altmaier, d. Red.) dies noch ergänzend zur Vorlage
mitgeben können.” In seiner Antwort hielt der Abteilungsleiter den
Vorschlag von Kohlpharma für “nicht tragfähig”: “Er geht weiter hinter
den Gesetzentwurf des BMG zurück und hinter die Position der
Bundesländer.” Doch nur sechs Tage später findet sich in einer E-Mail
des Gesundheitsministeriums ans Wirtschaftsministerium die Feststellung:
“Wie bereits angekündigt, haben sich BM Altmaier und BM Spahn nach
hiesiger Kenntnis zur Importregelung verständigt”. Es folgten genau die
Konditionen aus dem Apotheken-Rahmenvertrag, die Kohlpharma am 11.
Januar an Peter Altmaier vorgeschlagen hatte. In einer Vorlage für Peter
Altmaier am 21. Januar heißt es: “Dieser Vorschlag entspricht
inhaltlich dem Vorschlag, den Sie mit BM Spahn ausgehandelt haben.”
Damit bestünden “seitens des BMWI keine Hindernisse mehr für einen
Beschluss durch das Kabinett”.
Die Abschaffung der Importförderklausel war damit vom Tisch. Mehrere
Bundestagsabgeordnete berichten gegenüber WDR, NDR und SZ, dass sich vor
allem ihre saarländischen Kollegen in den vergangenen Monaten massiv
für den Erhalt der Importregel eingesetzt hätten.
Warum auch Jens Spahn nachgegeben und die Importklausel doch nicht
abgeschafft hat, beantwortet das Gesundheitsministerium auf Anfrage
nicht. Sein Sprecher teilt dazu lediglich mit: “Kein Gesetzentwurf, der
in den Bundestag eingebracht wird, wird ohne Änderungen vom Parlament
beschlossen.”
Die Frage, ob Peter Altmaier sich bei Spahn für das von Kohlpharma
vorgeschlagene Preismodell eingesetzt hat, beantwortet das
Wirtschaftsministerium nicht. Altmaiers Sprecherin teilt nur knapp mit:
“Zu etwaigen internen bilateralen Gesprächen nehmen wir wie üblich keine
Stellung.”
Baden-Württembergs AOK-Chef Christopher Hermann wunderte sich über den
Sinneswandel innerhalb der Bundesregierung. All die mit der Importquote
verbundenen Probleme bleiben nun bestehen, sagt Hermann auf Anfrage.
“Profiteure der Importförderung sind heute ausschließlich die
Importunternehmen, deren Absatz per Gesetz garantiert wird.” Seine AOK
werde dagegen “weiterhin für die Abschaffung der Importquote eintreten”.
Kohlpharma selbst kann mit der neuen Regelung dagegen zufrieden sein,
auch wenn “die jetzige Regelung für die Importeure eine deutliche
Verschlechterung ist”, wie das Unternehmen offiziell mitteilt.
Tatsächlich rechnet Geschäftsführer Jörg Geller aber auch damit, dass
die neuen Regeln “wohl zu einer Umsatzausweitung führen”, weil sie so
komplex seien, dass die Apotheker sie “wahrscheinlich übererfüllen”
werden.
Stand: 23.08.2019, 18.00 Uhr