Schlagwort-Archive: Altersmedizin

Das Foto zeigt Prof. Gerd Antes, Medienzentrum Universitaetsklinikum Freiburg

Big Data in der Altersmedizin: „Mehr Daten bedeuten nicht mehr Wissen“

(08.08.2018) Von Big Data versprechen sich viele Akteure im Gesundheitswesen bessere Erkenntnisse und damit bessere Diagnose- und Therapiemöglichkeiten. Professor Gerd Antes, Co-Direktor von Cochrane Deutschland und wissenschaftlicher Vorstand der Cochrane Deutschland Stiftung in Freiburg, warnt davor, dass das Thema viel zu unkritisch betrachtet wird. Warum mehr Daten eben nicht unbedingt mehr Wissen bedeuten, und wie ein verantwortungsvoller Umgang damit aussehen sollte, legt er in seiner mit Spannung erwarteten Keynote „Big Data – Datenrauschen auch in der Geriatrie?“ dar – beim gemeinsamen Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG). Der Kongress findet unter dem Motto „Vielfalt des Alterns: biomedizinische und psychosoziale Herausforderungen“ vom 6. bis 8. September 2018 in Köln statt.

Das Foto zeigt Prof. Gerd Antes, Medienzentrum Universitaetsklinikum Freiburg
Prof. Gerd Antes

Herr Professor Antes, warum setzen Sie sich mit dem Thema „Big Data im
Gesundheitswesen“ auseinander?

Big Data ist gerade in aller Munde und viele Akteure im Gesundheitswesen versprechen sich davon, dass mehr Daten auch zu mehr Wissen und damit zu besseren Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten führen. Sicherlich gibt es zum Beispiel hervorragende Apps oder Erinnerungssysteme, die insbesondere in der Altersmedizin die Versorgung erleichtern. Ich bin allerdings der festen Überzeugung und kann auch belegen, dass das
Thema Big Data, insbesondere im Gesundheitswesen, viel zu unkritisch gesehen wird.

Was müsste denn kritischer gesehen werden?

Ich kritisiere, dass dabei das wissenschaftliche Denken außer Kraft gesetzt wird. Dank unbegrenzter Datenmengen wird Korrelation auf einmal zu Kausalität. Nach dem Motto: Je mehr Daten wir haben, desto genauere Aussagen können wir daraus ableiten. Dieser versprochene Nutzen lässt sich bisher aber nicht feststellen und die Risiken und Kosten werden nicht dazu in Bezug gesetzt. Die Vermutung, dass mehr Daten automatisch auch zu mehr Wissen führen, ist schlichtweg falsch. Im Gegenteil: Mehr
Daten können auch mehr Fehler bedeuten, was ein großes Risiko in der
Patientenversorgung darstellt. Wir brauchen eine wissenschaftlich fundierte rationale Betrachtung von Big Data, wie es in jeder Technikfolgenabschätzung üblich ist. Es braucht nicht weniger, sondern mehr Methoden als sonst.

Warum ist das Thema besonders relevant in der Altersmedizin?

Weil sie in der Altersmedizin noch mehr Daten zu den Patientinnen und Patienten haben, aufgrund der längeren Lebenszeit und der Multimorbidität. Wenn man bei diesen hochdimensionalen Daten einzelne Mechanismen herausfischen will, läuft man noch mehr Gefahr, etwas richtig falsch zu machen. Besonders in der Geriatrie sollte man also
nicht einfach die Datenkrake loslaufen lassen. Der Begriff Qualität, der sonst im Gesundheitswesen allerhöchste Priorität hat, taucht bei dem Thema Big Data interessanterweise an keiner Stelle auf!

Aber Big Data und Co bringen ja auch neue Möglichkeiten mit sich, um der Vielfalt des Alterns zu begegnen.

Wir erleben gerade eine große Entfremdung der Bevölkerung von der Medizin. Alle wollen mehr Sprechzeiten und persönliche Zuwendung. Aber alles, was jetzt gerade passiert im Hinblick auf die Digitalisierung und Big Data, geht in eine ganz andere Richtung. Das trifft massiv die älteren Patientinnen und Patienten. Neue Technologien bringen zwar neue Möglichkeiten und damit Vielfalt mit sich, haben jedoch ernsthafte
Nebenwirkungen, die mit hoher Priorität ebenfalls betrachtet werden müssen.

Wie wird das Thema Big Data im Gesundheitswesen in anderen Ländern gehandhabt und was wünschen Sie sich hier für die Zukunft?

Einzelne Länder gehen derzeit sehr unterschiedlich mit dem Thema Datenschutz und Datenmanagement im Gesundheitswesen um. Während in Ländern wie den USA die Privatheit der eigenen Daten kaum noch existiert, wird das in Europa sehr viel anders gehandhabt, seit Kurzem durch die EU-Datenschutzverordnung auch mit zunehmender Harmonisierung zwischen den einzelnen Ländern. Insgesamt wäre es wünschenswert, wenn international das Thema Big Data und der Umgang damit kritischer gesehen wird und wissenschaftlich fundierte Datenqualität in Zukunft den nötigen Stellenwert bekommt. Praktisch heißt das, sich nicht nur von den Versprechungen leiten zu lassen, sondern für die Nutzung sorgfältig abwägende Nutzen-Risiko-Betrachtungen verpflichtend zu machen.

Zur Person:

Professor Gerd Antes ist Co-Direktor von Cochrane Deutschland sowie
wissenschaftlicher Direktor der Cochrane Deutschland Stiftung in Freiburg und gilt als einer der Wegbereiter der evidenzbasierten Medizin in Deutschland. Der Mathematiker und Biometriker ist seit 2000 Gründungs- und Vorstandsmitglied des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Seit 1987 ist er, mit einer Unterbrechung von zwei Jahren, angestellt beim Universitätsklinikum Freiburg, 2012 wurde er zum Honorarprofessor ernannt. Professor Antes war Mitglied der Ständigen Impfkommission
am Robert-Koch-Institut. Im Jahr 2009 erhielt er das Ehrenzeichen der deutschen Ärzteschaft.

Prof. Dr. Gerd Antes

Keynote-Lecture: „Big Data – Datenrauschen auch in der Geriatrie?“

Hörsaalgebäude 105, Hörsaal B, Universität zu Köln

Freitag, 07.09.2018

09:45 – 10:30 Uhr

Die Zukunft der Altersmedizin

Auf die Altersmedizin rollt ein Tsunami zu: Geriater werden die Superspezialisten der P4-Medizin sein

Prof. John MorleyAuf die Altersmedizin rollt ein Tsunami zu: Eine begrenzte Anzahl von Geriatern muss in Zukunft immer mehr ältere Patienten mit ihren spezifischen Bedürfnissen adäquat versorgen. Wie soll das funktionieren? Was muss sich ändern? Wie sieht die Altersmedizin der Zukunft aus? Auf Einladung der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) hat sich Professor John Morley von der Saint Louis University in den USA – einer der berühmtesten lebenden Geriater – mit dieser Frage nach den Herausforderungen der Zukunft intensiv auseinander gesetzt.
Große Bedeutung kommt Professor Morleys Meinung nach eine dieser demographischen Veränderung angemessene Ausstattung der Krankenhäuser zu: „Alle stationären Einrichtungen sollten eine Akutpflege für ältere Menschen, eine Delir-Intensivstation, eine geriatrische Notfallabteilung und eine geronto-unfallchirurgische Einheit besitzen.“ Ebenso müssen Instrumente implementiert werden, mit denen die wichtigsten geriatrischen Syndrome Gebrechlichkeit (Frailty), Muskelabbau (Sarkopenie), Mangelernährung (Anorexie) und Gedächtnisverlust (kognitiver Abbau) frühzeitig erkannt und konsequent behandelt werden können. „Und vieles davon wird computergestützt durchgeführt werden.“

Im September kommt Morley nach Deutschland. Während des Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie wird er seine Forschungsergebnisse und Denkanstöße persönlich vorstellen. Seine Keynote-Lecture: „The future of Geriatric Medicine” wird bereits jetzt in Fachkreisen mit Spannung erwartet.

Telemedizin, Exoskelette & Co: Neue Technologien spielen eine wichtige Rolle

Moderne Technologie spielt für Morley eine große Rolle und in Zukunft eine noch größere. Sie helfen, Kapazitäten in den Krankenhäusern freizuhalten. So könnten in Zukunft Patienten mit weniger schweren akuten Beschwerden laut Morley durch telemedizinische Programme adäquat zuhause versorgt werden. Auch Rehabilitation könnte so funktionieren: „Moderne Technologien wie Exoskelette und computergesteuerte Physiotherapie werden eingesetzt, um die Patientenergebnisse zu verbessern“, ist sich Professor Morley sicher. Die „Geronto-Technologie“ wird eine bedeutende Rolle in der zukünftigen Altersmedizin spielen und so besonders für Geriater an Bedeutung gewinnen.

Durch immer mehr Technik das Leben verlängern

Wir werden uns leider daran gewöhnen müssen, dass in der Medizin und Pflege in Zukunft immer mehr Technik zum Einsatz kommt, weil das erforderliche Personal fehlen wird. Nicht alles, was medizinisch machbar ist, sollte auch angewandt werden. Um jeden Preis am Leben bleiben, das wollen nicht alle alten Menschen. Wer garantiert uns ein selbstbestimmtes Leben, wenn wir alt und gebrechlich sind?

Geriater werden Superspezialisten der vorausschauenden Medizin sein

Bereits auf molekularbiologischer Ebene könnte in Zukunft eine Menge getan werden, um altersbedingte Probleme präventiv zu bekämpfen – mit Stammzellen, Genanalysen und Genetic Engineering. Damit bekommen Geriater eine besondere Stellung innerhalb der sogenannten P4-Medizin – einem patientenorientierten vorausschauenden Ansatz, der die vier Prinzipien Prädiktion, Prävention, Personalisierung und Partizipation in den Vordergrund stellt. „Geriater werden in der Tat die Superspezialisten der zukünftigen P4-Medizin sein“, so John Morley. Um diese Art der Medizin in der Geriatrie umzusetzen, bedarf es vor allem einer stärkeren interdisziplinären Zusammenarbeit entlang der kompletten Versorgungskette.

Dringend notwendig: Enge Zusammenarbeit, einheitliche Standards und mehr Altersmediziner!

Überhaupt ist die enge Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams unabdingbar, um dem Alters-Tsunami Herr zu werden – zum Beispiel bei der Entwicklung von Programmen, die die eigene Stärke (Resilienz) älterer Patienten und deren kognitive Fähigkeiten trainieren. „Wir brauchen Standards, um eine hohe Qualität für diese geriatrischen Programme in den Krankenhäusern zu gewährleisten“, fordert Morley. Auch für das Image und die Wahrnehmung der Altersmedizin in der Öffentlichkeit ist noch Einiges zu tun: „Wir brauchen mehr Geriater, um präsenter zu sein. Und dafür brauchen wir ein größeres Bewusstsein für den Bedarf an Spezialisten für den Alten Menschen: den Geriatern.“

Zur Person:

Morley_John_Keynotespeaker_2017.jpg

Morley_John_Keynotespeaker_2017.jpg

John E. Morley ist Professor of Gerontology und Direktor der Division of Geriatric Medicine an der Saint Louis University Medical School in Missouri/USA. International bekannt ist er als Forscher, Kliniker und Ausbilder. Neben umfangreichen wissenschaftlichen Errungenschaften hat Morley klinische Ausbildungsprogramme sowohl in der Endokrinologie als auch in der Geriatrie geleitet. Er ist Herausgeber der renommierten Fachzeitschrift Journal of the American Medical Director`s Association (JAMDA) und hat zahlreiche Auszeichnungen für seine Forschungs- und Ausbildungskompetenz erhalten, etwa 2004 den Gerontological Society of America´s Freeman Award und 2011 den AMDA Pattee Award for Educational Excellence.

Geriatrie auf den Intensivstationen muss gestärkt werden!

Die ist eine Stellungnahme der Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG).

Altersmedizin: „Die Position der Geriatrie auf den
Intensivstationen muss gestärkt werden!“

Der demografische Wandel macht es zwingend notwendig, dass verstärkt
Altersmediziner in die Arbeit auf Intensivstationen eingebunden werden. Die Deutsche
Gesellschaft für Geriatrie (DGG) sieht akuten Handlungsbedarf und ruft dazu auf, die
internistische Intensivmedizin in Deutschland jetzt zu stärken und weiterzuentwickeln.
Mehr als 20 Prozent der Menschen auf einer internistischen Intensivstation sind 80 Jahre
alt und älter. Es sind klassisch geriatrische, multimorbide Patienten. Sie haben nicht nur
ein internistisches Grundproblem, sondern eingeschränkte Mobilität, Verlust der
Autonomie – möglicherweise sind es Patienten am Lebensende. „Dies ist eine spezielle
Herausforderung, zu der sich die Geriatrie als Fachgesellschaft ganz klar bekennen
muss“, sagt Professor Hans Jürgen Heppner, President-elect der DGG. „Wir sind
Internisten und Geriater und wir wollen bei der akuten Diskussion um die
intensivmedizinische Versorgung von kranken geriatrischen Patienten mitreden und
mitarbeiten!“ Heppner fordert, nicht nur die internistische Intensivmedizin sondern vor
allem die geriatrischen Besonderheiten in der Intensivmedizin nicht aus den Augen zu
verlieren: „Die Position der Geriatrie auf den Intensivstationen muss gestärkt werden!“.
Im Interview erklärt der Chefarzt der Geriatrie im Helios Klinikum Schwelm und
Lehrstuhlinhaber an der Universität Witten/Herdecke, vor welchen Herausforderungen
die Geriatrie und internistische Intensivmedizin nun stehen.

Herr Professor Heppner, die Internisten sorgen sich um den Verlust der
Leitungsfunktionen auf Intensivstationen. Jetzt fordern Sie hier auch die Position des
Geriaters zu stärken. Ist das nicht ein bisschen vermessen?
Heppner: Auf keinen Fall. Es ist zwingend erforderlich, dass Geriater und Internisten den
Schulterschluss suchen. Das ist meine persönliche Erfahrung aus vielen Jahren in der Akutund
Intensivmedizin. Stichwort demografischer Wandel: Wenn auf den Intensivstationen bald
jeder vierte Patient mit internistischen Krankheiten 80 Jahre und älter sind, also oft multimorbide
und in den Kompetenzen stark eingeschränkt, dann müssen wir Geriater unser Wissen zu
Lebensqualität, Funktionalität und Selbstständigkeit dieser Menschen an die Internisten
weitergeben. Auch die Erwartungen älterer Menschen an die Therapieansätze und
Unterstützung sind andere – deswegen sind Geriater in der Intensivmedizin so wichtig.

Geriatrisches Wissen auf den Intensivstationen ist also unumgänglich?

Geriatrisches Wissen auf den Intensivstationen ist also unumgänglich?
So ist es. Aber wir wollen niemandem die Arbeit abnehmen oder Kompetenzen beschneiden.
Ich bin ein klassischer Unterstützer der internistischen Intensivmedizin. Deswegen: Innere
Medizin und Geriatrie müssen sich hier zusammentun, das ist unsere gemeinsame Domäne.
Deswegen unterstützen wir die internistische Intensivmedizin uneingeschränkt.

Nun sehen wir die Geriatrie im Aufwind. Es werden verstärkt geriatrische Kliniken
gegründet. Sehen Sie diese Entwicklung auch in der Intensivmedizin?

Hier beobachte ich eher das Gegenteil: Die Intensivmedizin steht oft auf der Kippe. Sie ist eben
sehr teuer, auch wenn die anteilige Bettenzahl gering ist. Man will vielerorts weg von kleinen
Intensiveinheiten, hin zu größeren Zusammenschlüssen. Da mögen auch politische
Entscheidungen eine Rolle spielen, um Einfluss auf die Krankenhauslandschaft zu nehmen.

Aber müssten die Kliniken nicht gerade wegen des demografischen Wandels ihre
Bettenplätze in der Intensivmedizin aufstocken, um auf mehr geriatrische Patienten

vorbereitet zu sein?
Genau das wäre wichtig. Schon jetzt ist in der Notaufnahme jeder vierte Patient 80 Jahre oder
älter. 35 Prozent der Patienten sind über 70 Jahre. Bei denen erreichen wir beispielsweise
durch moderne, nichtinvasive Beatmungsmethoden große Behandlungserfolge, die zusätzliche
Komplikationen bei multimorbiden Patienten vermeiden. Diese Methoden gab es so vor zehn
Jahren noch nicht in dieser Form. Aber entsprechend ist dadurch aktuell die Zahl der
Beatmungstage und der Bedarf an entsprechenden Betten stark gestiegen. Darauf müssen wir
reagieren! Und das zeigt auch wieder, wie wichtig geriatrisches Knowhow in der Intensivmedizin
ist.

Sie sind selbst Internist, Geriater, aktiver Notarzt und Intensivmediziner. Das klingt nach
einer langen Ausbildung. Welche Qualifikationen sind notwendig, um als Geriater in der
internistischen Intensivmedizin zu arbeiten?

Die Basis ist eine medizinische Grundausbildung zum Internisten über mindestens fünf Jahre.
Dem folgt eine zweijährige Zusatzweiterbildung internistische Intensivmedizin. Anschließend
sind noch 18 Monate geriatrische Weiterbildung notwendig. Um als leitender Arzt eine
Intensivstation führen zu können, braucht man neben den Zusatzausbildungen der speziellen
oder allgemeinen Intensivmedizin auch noch viele Jahre Führungserfahrung. Die
Zusatzausbildung internistische Intensivmedizin ist nicht nur wegen der medizinischen Qualität
notwendig, sondern auch, um die Leistungen der Intensivstationen abrechnen zu können.

Damit steht der internistischen Führung einer Intensivstation doch nichts im Wege,
oder?
Leider schon. Denn im Gegensatz zu den Anästhesisten haben immer weniger Internisten den
skizzierten Ausbildungsweg durchlaufen. Es fehlen die Zusatzweiterbildungen. Das Problem ist
nun, dass der Anästhesist einen ganz anderen Ausbildungsschwerpunkt hat. Nur bis er sich
neben seiner täglichen Routine die wichtigen internistisch-geriatrischen Fragestellungen
einverleibt hat, vergeht viel Zeit. An der Stelle sehen wir in den Kliniken ganz deutlich, dass es
eben zu wenige geriatrische Intensivmediziner gibt.

Warum ist das so? Ist das kein attraktives und spannendes Arbeitsumfeld?
Natürlich ist es spannend – hochinteressant sogar. Und vor allem als Geriater kann ich
entscheidend in den Behandlungsverlauf eingreifen. Aber die Ausbildung ist eine echte
Herausforderung, das zusätzliche Lernen ist aufwändig, es geht zudem sehr viel um technische
Fragen. Am Ende winkt der Schichtdienst, der bringt manchen an die Grenzen der
Belastbarkeit. Auch für die Krankenhausträger entstehen zusätzliche Ausbildungskosten.
Weil sie also fehlen, warum können Geriater und Internisten dann nicht doch besser den
Anästhesisten in der Leitung konsiliarisch unterstützen?
Formal geht das schon. Aber der Aufwand dafür wäre enorm. Nicht nur für den Anästhesisten,
der sich neben seiner täglichen Arbeit zusätzlich mit unserm internistisch-geriatrisches
Knowhow beschäftigen muss. Auch für mich als Geriater und Internist wird der Zeitaufwand
größer. Denn in der Beobachtung des Patienten brauchen wir eine gewisse
Behandlungskontinuität. Ich muss sehen, wie sich der Patient entwickelt. Das ist oft eine Frage
von Stunden. Und wenn ich dann als Zuarbeiter so oft vor Ort bin, dann kann ich die Arbeit auch
direkt selbst machen. Das vereinfacht alle Prozesse und belastet die Anästhesisten nicht
zusätzlich. Deswegen ist es auf den Stationen von vorn herein wichtig, dass Internisten und
Geriater eng zusammenarbeiten. Das hat sich auch in der Vergangenheit bewährt.

Wie lässt sich dieser Konflikt also lösen? Woran arbeitet die DGG?
Wir wissen genau, wie die Behandlung älterer Patienten in der Intensivmedizin am besten
umzusetzen ist. Unsere zentralen Forderungen zur Zusammenarbeit mit Internisten haben wir
nun in einem gemeinsamen Aufruf aller internistischen Fachgesellschaften und des
Bundesverbandes Deutscher Internisten formuliert. Zusätzlich werden wir unsere Forderungen
mit wissenschaftlichen Argumenten untermauern. Dazu erarbeiten wir aktuell mit der Deutschen
Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) ein Positionspapier
zum geriatrischen Intensivpatienten, das voraussichtlich Ende des Jahres veröffentlicht wird.

Und wie kann die Situation für geriatrische Patienten auf der Intensivstation langfristig
verbessert werden?
Wir fordern, dass grundsätzliches Wissen über geriatrische Patienten in die Intensivmedizin
hineingehört. Moderne Intensivmedizin ohne das Wissen über den alten Menschen ist schlicht
nicht mehr möglich. Dazu brauchen wir motivierte Mediziner, die sich ihr Wissen über die
Schiene Innere Medizin und Akutmedizin sowie Zusatzweiterbildung Geriatrie aneignen und
dadurch noch bessere Arbeit auf den Intensivstationen leisten können. Noch ist dort nicht im
breiten Bewusstsein angekommen, wie wichtig das geriatrische Wissen ist. Denn: Beim alten
Menschen ist alles anders! Röntgenbilder, die Anatomie, physiologische Eigenschaften – alles
muss neu interpretiert werden. Wichtig ist, dass wir JETZT reagieren, denn die in den
kommenden Jahren werden noch deutlich mehr ältere Patienten in die Kliniken kommen.

Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG)
Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) ist die wissenschaftliche
Fachgesellschaft der Ärzte, die sich auf die Medizin der späten Lebensphase
spezialisiert haben. Wichtige Schwerpunkte ihrer Arbeit sind neben vielen anderen
Bewegungseinschränkungen und Stürze, Demenz, Inkontinenz, Depressionen und
Ernährungsfragen im Alter. Häufig befassen Geriater sich auch mit Fragen der
Arzneimitteltherapie von alten Menschen und den Wechselwirkungen, die verschiedene
Medikamente haben. Bei der Versorgung geht es darum, den alten Menschen
ganzheitlich zu betreuen und ihm dabei zu helfen, so lange wie möglich selbstständig
und selbstbestimmt zu leben. Die DGG wurde 1985 gegründet und hat heute rund 1700
Mitglieder.