Verstopfte Gefäße frühzeitig durchlässig machen
Berlin – Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 werden einerseits immer jünger, andererseits immer älter. Angesichts der enormen Herausforderungen, die dem Gesundheitssystem damit bevorstehen, fordern Diabetologen und Gefäßmediziner ein Umdenken in der Diabetestherapie. „Bei Durchblutungsstörungen sind frühe Kathetereingriffe zur Aufdehnung verstopfter Gefäße angezeigt, um Folgeschäden wie Amputationen oder Herzinsuffizienz möglichst lange zu verhindern“, erklärt Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland, Mediensprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Weil die Generation Computer immer zeitiger an Diabetes Typ 2 erkrankt, sinkt in den USA erstmals seit Jahrzehnten die Lebenserwartung. Vorzeitige Sterblichkeit und massenhafte Frühberentung drohen angesichts der zunehmenden Übergewichtsepidemie auch in Deutschland, warnen die Experten anlässlich der 43. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (DGA), die am vergangenen Wochenende in Hamburg zu Ende ging. Experten der DDG hatten an der Tagung teilgenommen.
Gefäßmediziner sehen in ihren Sprechstunden immer häufiger Diabetespatienten, die statt mit 60 bereits mit 45 Jahren an schweren Durchblutungsstörungen leiden. „Oft genug ist das die Quittung für Übergewicht, Bewegungsmangel und Rauchen“, berichtet Dr. med. Holger Lawall, Kongresspräsident der 43. Jahrestagung der DGA. Zunächst könne ein Stent helfen, die Gefäße wieder durchgängig zu machen, später ein Bypass. „Anschließend sind die Patienten vielleicht 55 Jahre alt und ausbehandelt. Und was machen wir dann?“, fragt Gefäßexperte Lawall. Stammzell- und Gentherapie als weitere Therapieoptionen stehen in absehbarer Zeit vermutlich nicht zur Verfügung.
Vor diesem Hintergrund plädieren die Mediziner dafür, Gefäßprobleme rechtzeitig und möglichst schonend zu behandeln – insbesondere Durchblutungsstörungen in den Beingefäßen, die ein großes Problem bei Diabetespatienten darstellen. Sie können zum diabetischen Fußsyndrom (DFS) führen, zu Gefühlsstörungen, Geschwüren und offenen Wunden. „Das DFS wird etwa eine Million der jetzt lebenden Deutschen im Laufe ihres Lebens treffen“, berichtet Lawall. „Derzeit wendet Deutschland für das DFS jährlich 2,5 Milliarden Euro auf.“ Bei achtzehn Prozent der Betroffenen kommt es innerhalb von fünf Jahren zu einer Amputation, wie Studien belegen.
Grundsätzlich stehen zwei effektive Verfahren in der Gefäßmedizin zur Verfügung, um verstopfte Gefäße wieder durchlässig zu machen – die offene Bypasschirurgie oder ein Kathetereingriff mit Ballonerweiterung und/oder Stent. „Sofern technisch verfügbar, lautet die gemeinsame Empfehlung von Diabetologen und Gefäßmedizinern: erst Kathetereingriff, dann Operation“, erläutert Professor Dr. med. Stephan Matthaei, Chefarzt des Diabeteszentrums am Christlichen Krankenhaus Quakenbrück. Dieses Vorgehen stelle sicher, dass eine Amputation möglichst lange verhindert werden könne oder, sofern unumgänglich, sich auf einen Teil des Vorderfußes beschränke. „Bei beiden Verfahren können in 80 Prozent der Fälle die Beine erhalten werden“, so Matthaei. Idealerweise sollte der Arzt bei einem Kathetereingriff gleich mehrere Gefäße behandeln.
Ein Kathetereingriff hat bei älteren Diabetespatienten zudem den Vorteil, dass sie sich in der Regel schneller wieder erholen und das Krankenbett verlassen können. „Ab diesem Zeitpunkt ist eine angemessene Nachsorge ebenfalls sehr wichtig“, betont Privatdozent Dr. med. Erhard Siegel, Präsident der DDG. So raten die Ärzte den Patienten nach einem Gefäßeingriff häufig, gezielt Sport zu treiben, um die Durchblutung zusätzlich zu fördern. „Die Erfahrung zeigt, dass Diabetespatienten in einer Diabetiker-Sportgruppe oftmals besser aufgehoben sind als in einer Gefäßsportgruppe“, ergänzt Müller-Wieland. „Bei älteren Diabetespatienten sollte der Blutzucker zudem nicht mehr so streng eingestellt werden, ein HbA1c-Wert von 8,5 reicht aus“, meint der DDG-Experte.