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Medizinische Versorgung von Flüchtlingen

Medizinische Versorgung von Flüchtlingen: Hier behandelt Dr. Zufall!?

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fzm, Stuttgart, Dezember 2016 – Welche Behandlung ein Asylsuchender bei einer Erkrankung erhält, hängt in Deutschland sehr stark von der Gemeinde ab, der er „zufällig“ zugewiesen wurde und von der Person, die ihn „zufällig“ im Sozialamt betreut sowie von den „zufälligen“ juristischen Kenntnissen der Ärzte, die ihn behandeln. Gesundheitswissenschaftler fordern in der Fachzeitschrift “Das Gesundheitswesen“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2016) verlässliche und einheitliche Regelungen für die medizinische Betreuung von Flüchtlingen.

In den meisten Bundesländern und Gemeinden entscheidet ein Mitarbeiter des Sozialamtes, ob ein Asylsuchender im Krankheitsfall einen Arzt aufsuchen kann. Eine Behandlung steht ihm nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen zu. Eingeschlossen sind zudem noch Schutzimpfungen sowie die Versorgung werdender Mütter und Wöchnerinnen. Diese Einschränkungen bestehen in der Regel für 15 Monate. Von den Leistungen, die gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland erhalten, ist dies weit entfernt, kritisiert Professor Oliver Razum, Dekan der Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld. Andere Einwanderungsgruppen, wie Arbeitsmigranten oder (Spät-)Aussiedler würden dagegen wie Kassenpatienten eingestuft und wie solche behandelt.

Bei Asylsuchenden stellt es sich hingegen wie folgt dar: In Hamburg, Bremen, Berlin und Schleswig-Holstein erhalten alle Asylsuchenden eine elektronische Gesundheitskarte, mit der sie im Fall einer akuten Erkrankung direkt eine Arztpraxis aufsuchen können. In einigen Bundesländern, etwa Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachen, gibt es die elektronische Gesundheitskarte nur in einzelnen Kommunen. Sachsen, Bayern und Baden-Württemberg geben keine elektronischen Gesundheitskarten aus. Dort entscheidet ein Mitarbeiter des Sozialamtes, ob eine akute Erkrankung vorliegt. Viele Angestellte seien dazu kaum befähigt, vermutet Professor Razum, da sie in der Regel keine medizinische Ausbildung haben. Für den Asylsuchenden sei es dann oft vom Zufall abhängig, ob er eine Behandlung erhalte oder nicht.

Die Notwendigkeit, vorab einen Behandlungsschein im Sozialamt zu beantragen, könne zudem zu Verzögerungen führen, die eine Früherkennung und rechtzeitige Behandlung von Erkrankungen behindern, befürchtet einer der Co-Autoren der Studie, Dr. Kayvan Bozorgmehr vom Universitätsklinikum Heidelberg. Darüber hinaus sei für Ärzte häufig nicht erkennbar, ob die Behörden die Kosten für eine Behandlung übernehmen. Dr. Bozorgmehr und Professor Razum sehen hier die Therapiefreiheit der Ärzte eingeschränkt. Für den Asylsuchenden wiederum komme es einem weiteren Zufall gleich, welche Behandlung er erhalte.

Nach Einschätzung von Judith Wenner von der Universität Bielefeld sind die Motive, die zur Einschränkung der Gesundheitsversorgung führen, sachlich nicht immer begründet. Die Annahme, dass die Asylsuchenden sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten und deshalb keinen dauerhaften Anspruch auf eine Behandlung benötigen, sei falsch. Fast die Hälfte der Asylanträge würde derzeit anerkannt. Die meisten Schutzsuchenden mit „schlechter Bleibeperspektive“ würden zudem oft länger als 15 Monate auf die Bearbeitung ihrer Anträge warten. Auch die Befürchtung, dass die Aussicht auf eine gesundheitliche Versorgung die Asylsuchenden nach Deutschland locke, ist ihrer Ansicht nach nicht zutreffend. In Österreich, Frankreich und der Schweiz würden Asylsuchende nach der Registrierung vollen Zugang zu allen Leistungen des Regelsystems erhalten. Die Zuwanderung sei in diesen Ländern dennoch niedriger als in Deutschland.

Professor Razum fordert daher ähnliche Regelungen für Deutschland. Das Ziel müsse sein, die gesetzlichen Einschränkungen des Anspruchs aufzuheben. Asylsuchende sollten bundeseinheitlich den gleichen Anspruch auf gesundheitliche Versorgung haben.

O. Razum, J. Wenner, K. Bozorgmehr:
Wenn Zufall über den Zugang zur Gesundheitsversorgung bestimmt: Geflüchtete in Deutschland
Das Gesundheitswesen 2016; 78 (11); S. 711–714