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Lebensmittelkennzeichnung schafft mehr Verwirrung als Aufklärung

3 von 4 Verbrauchern scheitern an Lebensmittelkennzeichnung: Produktqualität kaum zu bewerten – Kunden wünschen sich mehr Information auf der Verpackung – „Verbraucherreport 2014“ mit repräsentativen Umfragedaten von Emnid vorgestellt

Fehlende Informationen, unverständliche Angaben, zu kleine Schrift: Die gegenwärtige Kennzeichnung von Lebensmitteln lässt Kunden oft ratlos zurück. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung, die das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid im Auftrag der Verbraucherorganisation foodwatch durchgeführt hat. Drei Viertel der Befragten (74 Prozent) halten es demnach für schwierig, die Qualität von Lebensmitteln anhand der Angaben auf der Verpackung richtig zu beurteilen. 69 Prozent wünschen sich „mehr Informationen“ über die Produkte direkt auf den Etiketten. Rund 9 von 10 Bundesbürgern halten beispielsweise eine Angabe zur Herkunft der wichtigsten Zutaten für wichtig – eine solche Kennzeichnung fehlt bislang auf den meisten Lebensmitteln, da sie nicht verpflichtend vorgeschrieben ist.

Dass viele Werbeaussagen und Produktkennzeichnungen irreführend sind, liegt demnach auch an lückenhaften Kennzeichnungspflichten: Obwohl sich die Hersteller in den allermeisten Fällen an die gesetzlichen Vorgaben halten, werden die Verbraucher oft getäuscht. Wenn ein Lebensmittel beispielsweise als „regional“ beworben wird, gleichzeitig aber die Herkunft der Zutaten nicht deklariert werden muss, fehlt den Kunden die Möglichkeit zur Überprüfung der Werbeversprechen. Ein solches Produkt ist auch Kandidat bei der Wahl zum Goldenen Windbeutel, die foodwatch jährlich durchführt, um auf das Problem des „legalen Etikettenschwindels“ hinzuweisen. Bei der laufenden Abstimmung können Verbraucher unter www.goldener-windbeutel.de noch bis zum 30. September über die „dreisteste Werbelüge des Jahres“ abstimmen.

„Alle reden vom mündigen Verbraucher – doch weder Hersteller noch Gesetzgeber geben uns die Informationen an die Hand, die uns Verbraucher erst mündig machen würden“, erklärte foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode. „Eine klare Information über die wesentlichen Eigenschaften eines Lebensmittels ist Voraussetzung für das Funktionieren des Marktes, sie ist Voraussetzung für bewusste Kaufentscheidungen und gleichzeitig der beste Schutz vor Täuschung. Nicht zuletzt hilft Transparenz auch allen Qualitätsanbietern, weil erst Information Qualität erkennbar macht. Die heutigen Gesetze reichen nicht aus, um für ein ausreichendes Maß an verständlicher und verlässlicher Information zu sorgen.“

Die Emnid-Befragung ist Teil des heute in Berlin vorgestellten foodwatch-Verbraucherreports 2014, der unter dem Titel „Was der Kunde nicht weiß…“ umfassend über die derzeitigen Kennzeichnungsvorgaben und -lücken informiert. Demnach gaben 68 Prozent der Befragten an, sich „manchmal“ oder „häufig“ Sorgen darüber zu machen, „dass wichtige Angaben zu den Inhaltsstoffen nicht oder nur versteckt auf der Packung stehen“. Die Sorge, „dass ein Lebensmittel nicht so gesund ist, wie es die Verpackung verspricht“, haben ebenfalls zwei Drittel (67 Prozent) zumindest „manchmal“; „dass in einem Produkt nicht drin ist, was drauf steht“ 61 Prozent der Befragten.

Die Umfrageergebnisse stellen auch der Politik ein schlechtes Zeugnis aus. So hatte die Europäische Kommission für Pflichtangaben auf Lebensmitteletiketten ursprünglich eine Mindestschriftgröße von 3 Millimetern vorgeschlagen. Auf Druck der Wirtschaftslobby und mit Zustimmung der Bundesregierung wurden schließlich jedoch 1,2 Millimeter festgesetzt, für kleine Verpackungen sogar nur 0,9 Millimeter (bezogen auf das kleine „x“). Die Vorgabe greift zwar erst im Dezember 2014, in der Regel werden diese Maße jedoch auch heute von den Herstellern nicht unterschritten. Für die meisten Kunden ist das eindeutig zu klein: Zwei Drittel der Bundesbürger geben an, sich schon über eine zu kleine Schrift auf Verpackungen geärgert zu haben. In der Altersgruppe der Über-60-Jährigen sind es 87 Prozent, aber auch bei den 14-29-Jährigen bereits bemerkenswerte 31 Prozent. Nach Auffassung von foodwatch zeigt dieses Beispiel exemplarisch, dass sich die Gesetzgebung vor allem an den Interessen der Lebensmittelwirtschaft und nicht an denen der Verbraucher ausrichtet.

Weitere Ergebnisse der TNS-Emnid-Befragung:

Vertrauen: Wenn es um zuverlässige Informationen über Qualität und Beschaffenheit von Lebensmitteln geht, vertrauen nur 36 Prozent der Befragten den Herstellern, 39 Prozent den Supermärkten. Die höchsten Vertrauenswerte erzielen Behörden wie Lebensmittelkontrollämter (76 Prozent) vor Verbraucherorganisationen, Verwandten/Bekannten sowie Test- und Prüforganisationen (alle mehr als 70 Prozent).

Wunsch nach mehr Information: Angaben über alle verwendeten Zutaten finden 89 Prozent der Befragten „eher wichtig“ oder „sehr wichtig“. Auch Informationen zur Herkunft (88 Prozent), Hinweise auf in der Herstellung eingesetzte Tierbestandteile (78) und Agrargentechnik in der Produktion (76) werden als wichtig angesehen – eine grundsätzliche Kennzeichnungspflicht besteht für diese Punkte nicht.

Gesundheitsversprechen: Dass Hersteller selbst für Produkte wie Süßigkeiten oder Softdrinks mit Gesundheitsversprechen werben dürfen, wenn sie einfach Mineralstoffe oder Vitamine zusetzen, finden 82 Prozent der Verbraucher unangemessen.

Zusatzstoffe: 6 von 10 Befragten (62 Prozent) sprechen sich dafür aus, auf Zusatzstoffe vorsorglich zu verzichten, wenn diese gesundheitlich umstritten sind – selbst wenn bislang kein eindeutiger Beweis für ein gesundheitliches Risiko erbracht ist.

Nährwertangaben: Mit 58 Prozent hält zwar eine Mehrheit der Befragten die Prozentangaben, mit denen Hersteller häufig den Nährwertgehalt ihrer Produkte angeben, für verständlich. Doch auch nach jahrelanger Gewöhnung finden immer noch 4 von 10 Verbrauchern dieses von der Industrie entwickelte Kennzeichnungsmodell unverständlich.

Aromendeklaration: Wenn Fruchtaromen zum Beispiel aus Baumwurzeln oder mit Hilfe von Pilzkulturen im Labor gewonnen werden, dürfen sie als „natürliches Aroma“ deklariert werden. 69 Prozent der Verbraucher sind damit einverstanden, dass der Gesetzgeber eine solche Kennzeichnung erlaubt.

Geschmacksverstärker: 82 Prozent der Bundesbürger halten es für „irreführend“, wenn auf Etiketten der Hinweis „ohne Zusatzstoff Geschmacksverstärker“ prangt, das Produkt aber die geschmacksverstärkende Zutat Hefeextrakt enthält.

Mogelpackungen: Drei Viertel der Befragten haben sich schon einmal darüber geärgert, dass in einer Packung weniger Inhalt steckte, als sie aufgrund von Größe und Gestaltung der Verpackung vermutet haben.

Im Auftrag von foodwatch hatte TNS Emnid am 29. und 30. August 1.005 Bundesbürger bevölkerungsrepräsentativ befragt.

2014-09-12_foodwatch-Verbraucherreport_2014

Billiges Restfleisch ohne Kennzeichnung im Handel?

WANTED: foodwatch startet Fahndungsaktion nach 70.000 Tonnen „Separatorenfleisch“ –

Billiges Restfleisch ohne Kennzeichnung im Handel?

Berlin, 29. April 2014. Rund 70.000 Tonnen Separatorenfleisch werden in Deutschland jedes Jahr verarbeitet – doch niemand erfährt, in welchen Lebensmitteln dieses billige, mechanisch vom Knochen abgelöste Restfleisch landet. Trotz Kennzeichnungspflicht finden sich kaum Produkte mit dem Hinweis auf „Separatorenfleisch“ im Handel. foodwatch hat heute einen Fahndungsaufruf nach den verschwundenen zigtausend Tonnen gestartet: Über die Internetseite www.foodwatch.de/separatorenfleisch sammelt die Verbraucherorganisation auch anonym Hinweise darüber, welche Anbieter Separatorenfleisch verwenden, ohne es auf der Verpackung oder Speisekarte zu kennzeichnen.

Bei verpackten Produkten muss laut Gesetz die Zutat „Separatorenfleisch“ ausgewiesen werden. In den vergangenen Jahren wurden jedoch etliche Betrugsfälle bekannt, in denen die Restware undeklariert in den Handel kam. Gegenüber foodwatch äußerten Branchen-Insider den Verdacht, dass regelmäßig und im großen Stil Separatorenfleisch ohne Kennzeichnung für Lebensmittel wie Würste oder Buletten verwendet werde. Fakt ist: Nach offiziellen Angaben werden in Deutschland pro Jahr rund 70.000 Tonnen Separatorenfleisch verarbeitet. In einer intensiven Recherche hat foodwatch versucht zu rekonstruieren, wo es landet – ohne Erfolg. Im Einzelhandel gibt es allenfalls einzelne Produkte mit dem Hinweis „Separatorenfleisch“. foodwatch-Anfragen beim Bundesernährungsministerium, dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, bei den 16 zuständigen Ministerien der Bundesländer, bei Verbänden der Fleischindustrie sowie dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband, bei Separatorenfleisch- und Tiernahrungs-Herstellern sowie bei führenden Anbietern der Systemgastronomie (wo es keine gesetzliche Deklarationspflicht gibt) brachten keine Klarheit: Vereinzelte Hinweise erklären nur einen Bruchteil der gesuchten Menge – über den Verbleib der Massen an Separatorenfleisch kann oder will niemand Auskunft geben.

„Keiner in der Lebensmittelbranche will mit Separatorenfleisch etwas zu tun haben – aber 70.000 Tonnen pro Jahr können sich nicht in Luft auflösen“, erklärte Luise Molling von foodwatch. „Wenn einfach tausende Tonnen Restfleisch wie in einem schwarzen Loch verschwinden können, zeigt das einmal mehr, wie intransparent der Fleischmarkt ist – und wie anfällig für Betrug und dunkle Geschäfte.“

Werden bei der Produktion alle Vorgaben eingehalten, ist die Verwendung von Separatorenfleisch gesundheitlich unbedenklich. Die Herstellung ist allerdings hygienisch besonders sensibel und das abgelöste und zerkleinerte Fleisch ist – ähnlich wie Hackfleisch – anfälliger für mikrobakterielle Verunreinigungen. Für Lebensmittelhersteller ist der Anreiz groß, Separatorenfleisch ohne Kennzeichnung einzusetzen: Es ist im Schnitt zwei bis fünf Mal günstiger als gewachsenes Muskelfleisch, kann aber durch die amtlichen Lebensmittelkontrollen im Labor nur schwer nachgewiesen werden.

Aus den verschollenen jährlich 70.000 Tonnen Separatorenfleisch ließen sich rund zwei Milliarden Bockwürstchen herstellen – eine Würstchenkette, die sieben Mal um die Erde  reicht. Das entspricht einer Kolonne von fast 13.000 Lkw. „Das verschwindet einfach im Nirwana“, sagte ein Branchen-Experte im Zuge der Recherche. Luise Molling von foodwatch: „Das Gerede von einer funktionierenden Überwachung des Fleischmarkts ist blanker Hohn. Der Fleischmarkt lädt geradezu ein zum Betrügen und Täuschen. Die Lebensmittelbehörden interessiert das offensichtlich wenig.“

In Deutschland werden nach Angaben der Europäischen Union jedes Jahr etwa 130.000 Tonnen Restfleisch maschinell mit Hilfe von Druck vom Knochen gelöst. Etwa 60.000 Tonnen dieses Separatorenfleischs werden exportiert, die übrigen rund 70.000 Tonnen bleiben im Land. Seit dem BSE-Skandal dürfen nur noch Gerippe von Schwein, Huhn oder Pute zur Gewinnung von Separatorenfleisch verwendet werden.

Link:
– foodwatch-Kontaktformular für anonyme Hinweise auf die Verwendung von Separatorenfleisch in der Lebensmittelwirtschaft: www.foodwatch.de/separatorenfleisch