Online Intervention hilft, soziale Kompetenzen zu fördern und psychische Probleme zu reduzieren
Psychische Probleme, Einsamkeit und Polarisierung nehmen rapide zu, insbesondere nach der Covid19-Pandemie. Eine neue groß angelegte Forschungsstudie, das CovSocial-Projekt unter der Leitung von Tania Singer von der Max-Planck-Gesellschaft, hilft Menschen, wieder mit sich selbst, anderen und der Gesellschaft im Allgemeinen in Kontakt zu treten. Jüngste Ergebnisse zeigen, dass ein zehnwöchiges mentales Online-Trainingsprogramm mit täglichen Partnerübungen die Resilienz, das Einfühlungsvermögen und das Mitgefühl steigern und die sozialen Beziehungen vertiefen kann. Gleichzeitig verringern die kurzen täglichen, mit Hilfe einer App durchgeführten Übungen mit einer anderen Person – sogenannte Dyaden – Einsamkeit, Depression, Angst und eine negative Lebenseinstellung. Die Forscher hoffen, dass sich dieses Training weltweit einsetzen lässt, um Einsamkeit und soziale Spaltung zu überwinden.
Tania Singer, Psychologin, Sozialneurowissenschaftlerin und wissenschaftliche Leiterin des Social Neuroscience Lab der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin, entwickelt mentale Interventionsprogramme. Sie basieren auf täglich durchgeführten Partnerübungen (kontemplative Dyaden) und ähneln Achtsamkeitsmeditationen, nur gemeinsam mit einem Partner im Alltag durchgeführt.
Im Gegensatz zu achtsamkeitsbasierten Meditationsübungen, die man alleine macht, beinhalten Dyaden einen strukturierten Austausch zwischen zwei Menschen, von denen jeder abwechselnd mit sich selbst bestimmte Themen erörtert, während der andere empathisch zuhört, ohne zu urteilen oder in irgendeiner Weise zu unterbrechen. Die Affekt-Dyade besteht zum Beispiel aus zwei Fragen, die es leichter machen sollen, herausfordernde Emotionen besser zu verstehen und zu akzeptieren und die Widerstandsfähigkeit durch Dankbarkeit und Fürsorge zu stärken.
Mehr Toleranz und weniger Vorurteile
In den täglichen Dyaden lernen die Teilnehmenden über einen Zeitraum von zehn Wochen soziale Fähigkeiten. Durch wöchentliche Coaching-Sitzungen unter der Leitung eines Lehrers vertiefen sie die tägliche Praxis. Zusammen mit ihren wöchentlich nach dem Zufallsprinzip neu zugewiesenen Partnern erhöhen die Teilnehmenden Toleranz, bauen Vorurteile ab, überwinden Grenzen und fördern ein Gefühl der gemeinsamen Menschlichkeit. Mit ihren Wurzeln in alten Meditationstraditionen und den jüngsten Fortschritten in der sozialen Neurowissenschaft haben sich dyadische Praktiken als wirkungsvolles Instrument für die Kultivierung sozialer Fähigkeiten und der Förderung der Resilienz in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen erwiesen.
Die Wissenschaft zeigt nun die Vorteile solcher sozialen Praktiken auf. Das CovSocial Project, eine groß angelegte Studie zur psychischen Gesundheit unter der Leitung von Tania Singer, die in den Jahren der Covid19-Pandemie mit Tausenden von Berliner Bürgerinnen und Bürgern durchgeführt wurde, zeigte in ihrer ersten Phase, dass Einsamkeit, Stress, Depressionen und Angstzustände mit jedem Lockdown zunahmen. In einer zweiten Phase boten Singer und ihr Team mentale online-Trainingsprogramme an. Das Team verglich darin die Effizienz von zwei zehnwöchigen online-Trainingsprogrammen: ein klassisches achtsamkeitsbasiertes und ein partnerbasiertes sozio-emotionales Dyaden-Interventionsprogramm.
Übungen sind wirksam
Neuste Forschungsergebnisse belegen, dass diese täglichen kontemplativen Übungen, die gemeinsam mit einer anderen Person durchgeführt werden, tatsächlich das psychische Wohlbefinden und die Gesundheit der Teilnehmenden verbessern können. Sie verringern Depressionen, Ängste und Schwierigkeiten bei der Emotionsregulierung und steigern soziale Fähigkeiten wie Empathie und Mitgefühl für sich selbst und andere. Solche sozialen mentalen Praktiken können zudem dazu beitragen, soziale Unterschiede zu überwinden, Einsamkeit zu verringern und die sozialen Beziehungen zwischen Menschen zu verbessern.
Eine kürzlich veröffentlichte Arbeit von Erstautorin Godara zeigte, dass das Online-Dyaden-Programm tatsächlich Depressionen, Ängste und Schwierigkeiten bei der Emotionsregulierung verringern und gleichzeitig die Resilienz verbessern kann. Interessanterweise verringert sich auch der sogenannte „negative Interpretations bias“ – also die Tendenz, andere Menschen oder Situationen negativ zu interpretieren. Negative Gedanken oder Sichtweisen können so abgebaut und eine positivere Weltsicht und Lebenseinstellung trainiert werden.
Weniger Depressionen durch positivere Weltsicht
Diese Verringerung der Negativität könnte für den beobachteten Anstieg des psychischen Wohlbefindens verantwortlich sein. „Beide mentalen Online Interventionen haben die psychischen Probleme der Teilnehmenden verringert. Aber nur bei dem dyadischen sozialen Training konnte die gestiegene Tendenz zu einer positiveren Weltsicht den beobachten Rückgang der Depression erklären. Wir denken, dass das tägliche Üben von Dankbarkeit während einer Dyade mit einem Partner eine positivere Lebenseinstellung fördert und damit die eigene Widerstandsfähigkeit und psychische Gesundheit stärkt“, erklärt Tania Singer.
In einer weiteren Veröffentlichung aus dem CovSocial-Projekt zeigten die Erstautorin Hannah Matthaeus und ihre Kollegen, dass nur das mit Partnern durchgeführte Dyaden-Training, nicht aber das klassische Achtsamkeitstraining, das nur allein durchgeführte Meditationen beinhaltet, die Einsamkeit reduziert. „Wie wir aus einer früheren Studie wissen, können tägliche Dyadenübungen die sozialen Beziehungen stärken und es den Menschen leichter machen, ihre Schwierigkeiten und Verletzlichkeit mit anderen zu teilen. In der aktuellen Studie konnten wir die früheren Ergebnisse erweitern und belegen, dass auch nur online durchgeführte tägliche Dyaden nach nur zehn Wochen soziale Beziehungen vertiefen und sogar die Einsamkeit verringern können. Durch den breiten Einsatz solcher auf Dyaden basierenden mentalen Trainingsprogramme könnten die alarmierenden Trends hin zu sozialer Isolation, Einsamkeit und Spaltung also umgekehrt werden“, sagt Singer.
Breiter Einsatz geplant
Angesichts der sich häufenden Belege für die Wirksamkeit von solchen auf Dyaden beruhenden mentalen Trainingsprogrammen wollen die Forschenden die Dyaden-Interventionen so weiter entwickeln, dass sie in großem Maßstab eingesetzt werden können – vor allem in gesellschaftlichen Bereichen, in denen hohe Burn-out-Raten und Stress an der Tagesordnung sind, wie etwa in dem Gesundheits- oder Bildungssystemen. Tania Singer, Leiterin des CovSocial Projektes fasst zusammen: „In einer Zeit, in der die politischen Entscheidungsträger mit einer zunehmenden Flut schlechter psychischer Gesundheit, zunehmender Einsamkeit und sozialer Spaltung konfrontiert sind, zeigt unsere Studie, dass es möglich ist, Gemeinschaften wieder zusammenzubringen und positive, gesunde menschliche Interaktionen zu fördern. Das ist es, was unsere Gesellschaft dringend braucht. Die Menschen sehnen sich nach einem Gefühl der Zugehörigkeit, Gemeinschaft, Fürsorge und echten sozialen Beziehungen. Ich hoffe, dass wir die Lehren aus dieser Studie ziehen und damit beginnen können, solche Trainingsprogramme für mentale Beziehungen zum Wohle der Gesellschaft auszuweiten und zu verstärken. Deshalb haben wir jetzt eine Folgestudie, das Edu:Social-Projekt, gestartet, um diese Praktiken in die Bereiche Bildung und Gesundheitswesen einzubringen.“
Das nächste Programm, Edu:Social School, wird deshalb untersuchen, ob Dyaden-Programme, die Resilienz sowie die Sozialkompetenzen von Lehrerkräften erhöhen und den Teamgeist unter dem Kollegium sowie das Klassenklima verbessern kann.