Archiv für den Monat: Juli 2018

foodwatch kritisiert geplante Reform des Lebensmittelrechts

„Julia Klöckner macht ihren Job nicht“: foodwatch kritisiert geplante Reform des Lebensmittelrechts – Ministerin will Verbraucherrechte beschneiden

Rot-weiß-Banner mit Aufschrift "Küche kein Zutritt"Berlin, 4. Juli 2018. Die Verbraucherorganisation foodwatch hat eine von Bundernährungsministerin Julia Klöckner geplante Änderung des Lebensmittelgesetzes als Geschenk an die Lebensmittelbranche kritisiert. Der Gesetzentwurf der Ministerin schütze Betriebe, die gegen Hygienevorgaben verstoßen und werde einem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht. Obwohl das Gericht kürzlich eindeutig den Informationsrechten der Verbraucherinnen und Verbraucher verfassungsrechtliche Bedeutung beigemessen hatte, stelle die jetzt vorgelegte Gesetzesänderung aus Verbrauchersicht sogar noch eine Verschlechterung dar, so foodwatch. Kundinnen und Kunden würden damit weiterhin in aller Regel nicht erfahren, wenn Lebensmittelbetriebe bei Kontrollen beanstandet würden.

„Julia Klöckner macht ihren Job nicht. Das höchste deutsche Gericht stärkt mit seinem Beschluss die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher, aber Frau Ministerin Klöckner ist das offenbar herzlich egal. Der Gesetzentwurf ist ein Geschenk an Schmuddelbetriebe und Gammelfleischhändler, die weiter darauf hoffen können, von den Behörden gedeckt zu werden“, sagte Johannes Heeg von foodwatch. „Die Ministerin legt ein Gesetz vor, das weder dem Gesetzeszweck gerecht wird noch dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Karlsruhe hat unmittelbar aus dem Grundgesetz ein umfassendes Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher auf Informationen als Grundlage für eigenständige Kaufentscheidungen abgeleitet – doch stattdessen arbeitet Frau Klöckner daran, die Informationsrechte weiter zu beschneiden.“ 

foodwatch forderte Julia Klöckner auf, dringend nachzubessern und eine echte Gesetzesnovelle vorzulegen: Anstatt – je nach Ermessen der Behörden – nur einzelne Hygieneverstöße von Betrieben zu veröffentlichen, müsse die Ministerin die rechtliche Grundlage für ein Transparenzsystem schaffen, das ausnahmslos alle Ergebnisse amtlicher Lebensmittelkontrollen öffentlich mache. Vorbild müsse das erfolgreiche „Smiley-System“ aus Dänemark sein, wo seit mehr als 15 Jahren alle Kontrollergebnisse öffentlich einsehbar sind – und zwar sowohl im Internet als auch direkt an der Tür von Restaurants, Metzgereien oder Kantinen. Die Verbraucherorganisation hat dazu eine ausführliche Stellungnahme beim Bundesernährungsministerium eingereicht.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Beschluss vom 21. März dieses Jahres ausdrücklich die Informationsrechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern anerkannt. Allerdings verlangten die Richterinnen und Richter, dass eine gesetzliche Frist festgeschrieben wird, nach der Lebensmittelkontrollergebnisse wieder gelöscht werden. Der Gesetzgeber hat bis April 2019 Zeit, eine entsprechende Regelung zu erlassen. Vorausgegangen war eine Normenkontrollklage des Landes Niedersachsen zur zentralen Vorgabe in § 40 Abs. 1a des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB). Bundesverbraucherministerin Julia Klöckner hat daraufhin nun im Juni eine Gesetzesnovelle für § 40 LFGB vorgelegt. Diese adressiert jedoch lediglich den Punkt Löschfristen – und hätte hier sogar noch eine Schlechterstellung der Verbraucherschutzinteressen zur Folge: Anstatt nach zwölf Monaten, wie von den Behörden lange praktiziert, sollen nun bereits nach sechs Monaten alle behördlichen Veröffentlichungen wieder gelöscht werden.

„Es ist nicht damit getan, einfach einen Halbsatz zur Löschfrist im Lebensmittelrecht zu ergänzen – der sogar noch eine Verschlechterung aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher darstellt“, kritisierte Johannes Heeg. „Wenn Frau Klöckner den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ernst nimmt, muss sie jetzt endlich dafür sorgen, dass die Kundinnen und Kunden erfahren, welche Betriebe gegen Hygienevorgaben verstoßen und wo alles in Ordnung ist.“

Quellen und weiterführende Informationen:
– foodwatch-Stellungnahme zur Reform des Lebensmittelgesetzes: tinyurl.com/ybwegvbw
– Bundesverfassungsgericht zu § 40 Abs. 1a LFGB: tinyurl.com/yd488r5z
– Mehr Informationen zum dänischen „Smiley-System“: www.foodwatch.de/smiley

Bluttest ermöglicht das Ablesen der inneren Uhr

Mit einem neuen Bluttest können Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin den Status der inneren Uhr eines Patienten erstmals objektiv bestimmen.

Aus einer Blutprobe (1) werden Zellen isoliert (2) und darin die Aktivität von zwölf speziellen Zeitgenen bestimmt (3). Ein Computeralgorithmus berechnet daraus den Stand der inneren Uhr (4). Copyright: Kramer/Charité.

Aus einer Blutprobe (1) werden Zellen isoliert (2) und darin die Aktivität von zwölf speziellen Zeitgenen bestimmt (3). Ein Computeralgorithmus berechnet daraus den Stand der inneren Uhr (4). Copyright: Kramer/Charité.

Ist der innere Rhythmus bekannt, lässt sich mit der darauf abgestimmten Einnahmezeit der Medikamente auch ihre Wirkung verbessern. Mithilfe dieser Chronotherapie lassen sich Arzneimittel insgesamt wirksamer und verträglicher einsetzen als bisher. Veröffentlicht wurde die Studie in The Journal of Clinical Investigation*.

Die Funktionen des menschlichen Körpers unterliegen tageszeitlichen Schwankungen. So zeigen zum Beispiel Medikamente in Abhängigkeit von der inneren Uhr unterschiedlich starke Wirkung – je nachdem, zu welcher Uhrzeit sie eingenommen werden. Diese Reaktion ist von Mensch zu Mensch verschieden, abhängig davon ob seine innere Uhr zum Spättyp oder zum Frühtyp neigt, also ob die Person eher eine Eule oder eine Lerche ist.

Ziel des internationalen Teams unter Leitung von Prof. Dr. Achim Kramer vom Institut für Medizinische Immunologie der Charité war die Identifizierung von Biomarkern im Blut, die für die individuelle, Innenzeit charakteristisch sind. Zunächst wurde bei mehreren Probanden über den gesamten Tag die Aktivität aller 20.000 Gene einer bestimmten Gruppe von Blutzellen bestimmt. Mit speziellen Computeralgorithmen ließen sich aus diesen Datensätzen zwölf Gene isolieren, die verlässlich die Innenzeit anzeigen. Die Biomarker einer einzigen Blutprobe können auch dann noch einen Spättyp von einem Frühtyp unterscheiden, wenn die betreffende Person entgegen ihrem biologischen Rhythmus früh am Morgen von einem Wecker geweckt wird.

Prof. Kramer ist überzeugt, dass die Chronotherapie der konventionellen Therapie oft überlegen ist: „Eine solche Therapie unter Berücksichtigung der Tageszeit wurde bislang wegen einer fehlenden Diagnostik der Innenzeit selten angewandt. Wir denken, dass dieser erste objektive Test der Innenzeit dazu beitragen wird, dass die Tageszeit bei Therapie und Diagnose viel mehr an Bedeutung gewinnen wird.“

In klinischen Folgestudien wollen die Wissenschaftler nun die Wirksamkeit einer personalisierten Chronotherapie nachweisen. Hierzu wird die Therapie auf die individuelle Innenzeit der Patientinnen und Patienten abgestimmt. Kennt man das Zeitfenster, in dem ein Wirkstoff besonders effektiv ist, kann man die Wirkung der Behandlung so optimieren und gleichzeitig das Risiko von Nebenwirkungen verringern.

*Nicole Wittenbrink et al.: High-accuracy determination of internal circadian time from a single blood sample. The Journal of Clinical Investigation 2018. DOI: 10.1172/JCI120874.

Hirnregionen mit Doppelfunktion für Sprache

Mit einem besonderen Experiment beantworten Freiburger Wissenschaftler eine jahrzehntelang diskutierte Forschungsfrage

In Pink ist das artikulatorische Hirnareal abgebildet, das sowohl bei der Produktion als auch bei der Wahrnehmung der Sprache bei allen Probanden aktiv war. Grafik: Translational Neurotechnology Lab (Freiburg)

In Pink ist das artikulatorische Hirnareal abgebildet, das sowohl bei der Produktion als auch bei der Wahrnehmung der Sprache bei allen Probanden aktiv war. Grafik: Translational Neurotechnology Lab (Freiburg)

Hirnregionen, die an der Produktion von Sprache beteiligt sind, sind auch bei der Wahrnehmung von Sprache aktiv. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team des Exzellenzclusters BrainLinks-BrainTools der Universität Freiburg – und liefert damit einen wesentlichen Beitrag zur Klärung einer jahrzehntelang kontrovers diskutierten Forschungsfrage. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ihre Ergebnisse im Fachjournal „Scientific Reports“ veröffentlicht.

Spontane sprachliche Kommunikation ist ein fundamentaler Teil des sozialen Lebens. Aber was passiert dabei im menschlichen Gehirn? Obwohl die Neurowissenschaft der Sprache in den vergangenen Dekaden dank experimenteller Untersuchungen stetig vorangeschritten ist, ist wenig darüber bekannt, wie Sprache bei nicht-experimentellen, spontanen Bedingungen des Alltags im Gehirn unterstützt wird. Inwiefern die für Artikulation verantwortlichen Gehirnregionen auch bei der Wahrnehmung von Sprache aktiviert werden, ist seit Jahrzehnten umstritten. Manche Forscherinnen und Forscher haben eine solche Aktivierung bei experimentellen Untersuchungen beobachtet und daraus geschlossen, dass es sich um einen Mechanismus handelt, der für die Wahrnehmung von Sprache notwendig ist. Andere haben diese Aktivierung in ihren Experimenten nicht gefunden und daraus abgeleitet, dass sie selten sein muss oder womöglich gar nicht existiert.

Beide Lager waren sich jedoch einig: Wenn sich die Hirnaktivität in artikulationsrelevanten Regionen während der Wahrnehmung von Sprache verändert, könnte dies auch auf den Aufbau des Experiments zurückzuführen sein – schließlich unterscheiden sich experimentelle von spontansprachlichen Bedingungen markant. Deshalb war eine Studie anhand von natürlichen Konversationen notwendig.

Mithilfe eines besonderen Designs ist es den Forschern aus Freiburg gelungen, neuronale Aktivität bei solchen Konversationen zu untersuchen. Dies geschah mithilfe von Aufnahmen von Gehirnaktivität, welche während alltäglicher Unterhaltungen bei neurologischen Patienten zur Diagnostik aufgezeichnet wurden und anschließend mit Einverständnis der Patientinnen und Patienten für Forschung verwertet werden durften. Die Wissenschaftler zeigen, dass artikulationsrelevante Hirnregionen zuverlässige Aktivität bei der Wahrnehmung spontangesprochener Sprache aufweisen. Diese Regionen waren jedoch nicht aktiviert, als die Probanden nicht-sprachliche Geräusche gehört haben.

Originalpublikation:
Olga Glanz (Iljina), Johanna Derix, Rajbir Kaur, Andreas Schulze-Bonhage, Peter Auer, Ad Aertsen, Tonio Ball (2018): Real-life speech production and perception have a shared premotor-cortical substrate. In: Scientific Reports.
https://rdcu.be/VDs2