Aktionsbündnis Patientensicherheit fordert:
Teure Fehlanreize in der Medizin streichen
Berlin – Diagnostik und Therapie in der Medizin werden immer komplexer und damit kostenaufwändiger. Gleichzeitig zwingt ökonomischer Druck Kliniken zum sparen. Krankenhausstationen sind deshalb oft nicht ausreichend mit Pflegekräften und Ärzten besetzt – gleichzeitig aber stark beansprucht. Überlastung kann zu Behandlungsfehlern führen. Wie sich wirtschaftliche Zwänge und Patientensicherheit im Klinikalltag vereinbaren lassen, diskutieren Akteure des Gesundheitswesens auf einer Pressekonferenz des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS) in Anwesenheit der Hamburger Senatorin für Gesundheits- und Verbraucherschutz, Cornelia Prüfer-Storcks, am 3. April 2014 in Hamburg.
Stürze, Druckgeschwüre durch Wundliegen, Infektionen bis hin zu Sepsis, Diagnose- oder Befunderhebungsfehler sind Beispiele für unerwünschte Ereignisse im Krankenhaus, wie sie täglich vorkommen. „Kliniken sind Hochrisikoeinrichtungen“, sagt Hedwig François-Kettner, Vorsitzende des APS. „Um die Risiken beherrschbar zu machen, bedarf es der Zusammenarbeit aller Akteure über die einzelnen Abteilungen und Sektoren hinaus.“ Doch hier seien viele Potentiale noch nicht gehoben: „Gerade beim Zusammenspiel aller Kräfte rund um den Patienten liegt noch viel Potential zur Prozessoptimierung brach“, so die ehemalige Pflegedirektorin der Charité-Universitätsmedizin Berlin.
Mit Handlungsanweisungen, den sogenannten Standard Operating Procedures (SOPs), könnten verbindlich gültige Ablaufpläne rund um den Umgang mit Patienten erarbeitet werden. Damit ließen sich nicht nur Einsparpotentiale nutzen, etwa durch vermeidbare Doppelarbeit, sondern auch bereits bekannte Fehlerquellen von vornherein systematisch ausschließen. „Zudem könnte man auf teure, aber unnötige Maßnahmen verzichten, die in erster Linie der Gewinnerzielung dienen“, so François-Kettner. Denn ein Teil der erbrachten Leistungen sei nicht notwendig. Doch SOPs lassen sich nicht nebenbei erarbeiten. Hierfür müssten wiederum die nötigen Ressourcen an Zeit und Personal bereitgestellt werden, fordert sie. Dieser Aufwand sei sehr gut investiert, indem er langfristig entlaste, anstatt die Arbeit zusätzlich zu verdichten.
Studien haben einen direkten Zusammenhang zwischen der Zahl der Pflegekräfte, ihrer Qualifikation und der Häufigkeit unerwünschter Ereignisse aufgezeigt. „Je weniger Pflegekräfte im Einsatz pro Patient sind, desto mehr Fehler passieren durch Überlastung“, erläutert Professor Dr. med. Hartmut Siebert, stellvertretender Vorsitzender des APS. „60 bis 70 Prozent der unerwünschten Ereignisse und Beinahefehler sind durch menschliches Versagen verursacht“, sagt er. Grund genug, die Zahl der Pflegekräfte aufzustocken. Dass dies aus Kostengründen derzeit nicht möglich sei, hält er für eine Folge der Fehlanreize des Abrechnungssystems über Fallpauschalen, den DRGs. „Das System prämiert Leistungen, die sich kurzfristig ökonomisch lohnen, wie Hüft- oder Knie-OPs.“ Langfristige Investitionen, etwa für mehr Patientensicherheit seien darin nicht enthalten, kritisiert der Vertreter des APS.
Doch jedes unerwünschte Ereignis führt nicht nur zu menschlichem Leid, sondern durch Zweiteingriffe oder Nachbehandlungen auch zu erhöhten Kosten für das Gesundheitssystem. Wir wissen, so Professor Siebert, dass sich Investitionen in mehr Personal für eine Klinik nach mehreren Jahren auch auszahlen. „Deshalb brauchen wir eine Änderung des DRG-Systems von der Leistungs- zu mehr qualitätsorientierter Vergütung.“ Und das bedeutet: mehr Patientensicherheit.