Altersbeschwerden nicht mit Hormondefizit verwechseln
Endokrinologen raten: Nur echten Testosteronmangel behandeln
Bochum – Bei vielen Männern geht besonders ab dem sechzigsten Lebensjahr die Produktion der Geschlechtshormone in den Hoden deutlich zurück. Kommen Beschwerden wie Antriebsschwäche, Müdigkeit oder Libidoverlust auf, denken manche Betroffene, es läge am Wenigerwerden der männlichen Sexualhormone. Ein echter Testosteronmangel in dieser Altersgruppe ist jedoch nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) selten. In Deutschland sind nur drei bis fünf Prozent der Männer betroffen. Eine Behandlung sollte wegen möglicher Risiken nur erfolgen, wenn es tatsächlich zu Symptomen bei gemessenem Testosteronmangel gekommen ist.
Der Testosteronspiegel des Mannes sinkt schon in früheren Jahren jedes Jahr um ein bis zwei Prozent. Dieser natürliche Prozess hat meist keine spürbaren Auswirkungen. Bei Männern über 60 Jahren ist das anders. Sie fühlen sich mitunter nicht mehr vital, die Muskelmasse schwindet, das Fettgewebe wird mehr. Wenn dann noch die Libido nachlässt, sogar Hitzewallungen und depressive Verstimmungen dazu kommen, ist die Irritation groß. „In dieser Situation fallen Medienberichte über die Folgen eines Testosteronmangels im Alter natürlich auf fruchtbaren Boden“, weiß Professor Helmut Schatz, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) aus Bochum. In diesen Berichten würden die Zusammenhänge allerdings stark vereinfacht. „Altersbeschwerden werden generell auf einen Testosteronmangel zurückgeführt. Manchmal wird das Hodenhormon noch immer als Quelle der Jugend angepriesen“, kritisiert Professor Schatz. In den USA fordern die Hersteller von Hormonpräparaten in sogenannten „Low Testosterone“-Kampagnen ältere Männer zum Hormontest auf. Auch in Deutschland häufen sich bei den Endokrinologen die Anfragen von Männern, die über Müdigkeit, Nachlassen des Sexualtriebes, erektile Dysfunktion und Energieverlust klagen und um die Verordnung eines Testosteron-Präparates (Spritze oder Gel) bitten.
Doch die Position der DGE ist zurückhaltend. Mit ein Grund sind zwei neuere Publikationen im amerikanischen Ärzteblatt JAMA vom November 2013 und in der Fachzeitschrift PLoS One vom 29. Januar 2014. Beide Studien berichten über vermehrte Herzinfarkte, Schlaganfälle und eine erhöhte Gesamtsterblichkeit bei Männern, die mit Testosteron behandelt wurden. Ein ursächlicher Zusammenhang sei nicht erwiesen, sagt Professor Schatz. Diese Studien weisen erhebliche Mängel auf und werden von Experten stark kritisiert. Eine Gruppe von international renommierten Andrologen und Endokrinologen setzt sich sogar dafür ein, dass der JAMA-Artikel zurückgezogen wird. Derzeit prüfen die US-Amerikanische Arzneibehörde FDA und die europäische EMA den Zusammenhang. Eine laufende Testosterontherapie sollte nicht abgebrochen werden, meint der Hormonexperte.
Dass eine Testosteronbehandlung bei einem nachgewiesenen Hormonmangel begründet ist, steht außer Zweifel. Professor Eberhard Nieschlag, ehemaliger Direktor des heutigen Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster, fasst die derzeitige Datenlage zusammen. Zwar sei die Zahl der betroffenen Männer geringer als früher angenommen. Statt zehn bis 30 Prozent, wie noch vor wenigen Jahren vermutet, hätten nur drei bis fünf Prozent der 60- bis 79-Jährigen einen Testosteronmangel, der den Libidomangel und andere Symptome erklärt. Diesen Männern könne durch eine Hormontherapie geholfen werden, betont Professor Nieschlag.
Voraussetzung für eine Verordnung von Testosteron ist die genaue Erfassung der Symptome, wobei der Libidomangel die zentrale Beschwerde ist. Professor Nieschlag rät allen Männern mit verminderter Libido und erektiler Dysfunktion zum Labortest. Dazu gehören auch Männer mit Übergewicht, erhöhtem Blutdruck, erhöhten Blutfetten und erhöhtem Blutzucker, bei denen es häufiger zur Potenzstörungen kommt. Dies gilt insbesondere für Männer mit Diabetes Typ 2. „Eine Begleitbehandlung mit Testosteron kann bei diesen Männern eine Potenzstörung lindern“, sagt Professor Nieschlag: „Ein Testosteronpräparat (transdermales Gel oder Spritze) kann zusammen mit Lebensstiländerungen wie Diät und Sport positiv wirken. Eine frühzeitige, niedrig dosierte Testosterontherapie kann bei nachgewiesenem Mangel der Entwicklung eines Diabetes Typ 2 und einer Erkrankung der Herzkranzgefäße entgegen wirken.“
Die Hormonpräparate sollten jedoch von einem Facharzt verschrieben werden. Männer mit Prostatakrebs, mit vermehrten roten Blutzellen, unbehandelter obstruktiver Schlafapnoe oder unbehandelter schwerer Herzschwäche dürfen nicht mit Testosteron behandelt werden, warnen die Experten.
Literatur:
E. Nieschlag: Testosteronsubstitution /-therapie bei Altershypogonadismus? In: Endokrinologie Informationen 2014; Sonderheft, S. 11-15
Blog-Beitrag von Prof. Schatz, 24. Juni 2014
Blog-Beitrag von Prof. Schatz, 3. Mai 2014
Endokrinologie ist die Lehre von den Hormonen, Stoffwechsel und den Erkrankungen auf diesem Gebiet. Hormone werden von endokrinen Drüsen, zum Beispiel Schilddrüse oder Hirnanhangdrüse, aber auch bestimmten Zellen in Hoden und Eierstöcken, „endokrin“ ausgeschüttet, das heißt nach „innen“ in das Blut abgegeben. Im Unterschied dazu geben „exokrine“ Drüsen, wie Speichel- oder Schweißdrüsen, ihre Sekrete nach „außen“ ab.