Archiv für den Monat: Mai 2018

Rauchen gilt oft als „kleineres Übel“

Weltnichtrauchertag am 31. Mai 2018: In psychiatrischen Einrichtungen gilt Rauchen oft als „kleineres Übel“

Voller Aschenbecherf

zm, Stuttgart, Mai 2018 – In Deutschland gelten seit 2007 die sogenannten Nichtraucherschutzgesetze, die umfangreiche Rauchverbote in öffentlichen Gebäuden vorsehen. Deren Umsetzung – auch in Gesundheitseinrichtungen – liegt jedoch in der Verantwortung der Länder und wird unterschiedlich streng gehandhabt. In manchen Landesgesetzen ist es Einrichtungen der Akutpsychiatrie bislang weitgehend freigestellt, ob und wie sie den Tabakkonsum regulieren. Eine aktuelle Bestandsaufnahme, die Wissenschaftler der Universität München in der Fachzeitschrift „Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2018) vorlegen, zeigt, dass der Nichtraucherschutz dort deutlich verbessert werden kann.

Die Forscher um Dr. Andrea Rabenstein von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München hatten insgesamt 289 psychiatrische Kliniken per Mail kontaktiert und zur Teilnahme an einer Online-Befragung aufgerufen. Dieser Einladung folgte nur jede fünfte Einrichtung. „Vermutlich gerade diejenigen, die sich bereits mit dem Thema Tabakkonsum auseinandergesetzt haben“, sagt die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Suchtmedizin.

Trotz dieser mutmaßlich positiven Vorauswahl gab nur die Hälfte der Kliniken an, den Rauchstatus ihrer Patienten zu erfassen. Tests auf Nikotinabhängigkeit fanden in jeder zehnten Einrichtung statt. Jede dritte Klinik (37 Prozent) gab an, über einen Arbeitskreis zum Thema „Förderung des Nichtrauchens in der Klinik“ zu verfügen. Ebenso hoch war aber auch der Prozentsatz der Kliniken, auf deren Gelände Tabakwaren verkauft wurden. Zwar hatten 81 Prozent der Einrichtungen klare Regeln für das Rauchen aufgestellt, absolute Rauchverbote waren jedoch deutlich seltener: Für tagesklinische Patienten galten sie in der Hälfte der Einrichtungen, für Patienten auf offenen Stationen in 44 Prozent und für Patienten in beschützten Stationen in fünf Prozent der Kliniken.

Laut den Autoren gibt es mehrere Gründe, warum psychiatrische Einrichtungen sich schwertun, ein absolutes Rauchverbot auszusprechen. So wird befürchtet, dass ein Rauchverbot das Erreichen der Therapieziele gefährdet oder zu verstärkter Unruhe und Aggression in der Klinik führt. Diese Annahmen wurden jedoch mittlerweile in Studien widerlegt. Häufig wird das Rauchen in der Psychiatrie auch als das „kleinere Übel“ betrachtet. Ungern möchte man den Patienten – gerade wenn sie geschlossen untergebracht sind – den Wunsch nach einer Zigarette verweigern. „Allerdings werden dabei die erheblichen gesundheitlichen Konsequenzen des Rauchens ausgeblendet“, mahnt Dr. Andrea Rabenstein. Der Raucheranteil sei bei psychiatrischen Patienten zwei- bis viermal so hoch wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Sie rauchten zudem mehr und seien körperlich abhängiger. All das trage wesentlich zur erhöhten Sterblichkeit psychiatrischer Patienten bei.

„Ein absolutes Rauchverbot ist daher wünschenswert und auch möglich“, ist Rabenstein überzeugt und verweist auf Erfahrungen aus Großbritannien, wo bereits seit 2008 ein völliges Rauchverbot in psychiatrischen Kliniken gilt. Auch für Patienten in beschützten Stationen bleibe dann nur der Rauchstopp – darauf müssten sie angemessen vorbereitet und intensiv unterstützt werden, so die Münchener Forscher. Hierfür seien geschultes Personal und medikamentöse Unterstützung notwendig, aber auch therapeutische Programme und Beratungsgespräche mit Ärzten. „Wenn der Ausstieg aus dem Rauchen so gelingt, fördert das nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische Gesundheit der Patienten“, betont Rabenstein. Zudem hätten Studien gezeigt, dass psychiatrische Patienten genauso motiviert seien, mit dem Rauchen aufzuhören, wie Personen der Allgemeinbevölkerung.

A. Rabenstein (vormals Linhardt) et al.:
Rauchfreie Psychiatrie: Eine Bestandsaufnahme
Fortschritte der Neurologie Psychiatrie 2018; (4) 86; S. 213–218

Charité eröffnet Kunstprojekt „Erinnerungsweg REMEMBER“

Die Charité – Universitätsmedizin Berlin hat heute den „Erinnerungsweg REMEMBER“ eröffnet. Das interaktive Denkmal ist im Rahmen des Projekts GeDenkOrt.Charité – Wissenschaft in Verantwortung und in Kooperation mit der Universität der Künste Berlin entstanden. REMEMBER setzt sich mit der Rolle der Charité in der NS-Zeit auseinander und macht Spuren dieser Vergangenheit an authentischen Orten auf dem Campus Charité Mitte sichtbar und hörbar.

REMEMBER Erinnerungsweg-Rundgang mit der REMEMBER App

REMEMBER Erinnerungsweg-Rundgang mit der REMEMBER App

Das Projekt des Künstlerteams REMEMBER um Sharon Paz, Jürgen Salzmann und Karl-Heinz Stenz bringt mittels emotional berührender audiovisueller Installationen die schweigenden Erinnerungsorte auf dem Campusgelände zum Sprechen. Zentrale Ausgangspunkte sind die Gedenkskulpturen an sechs historischen Orten. Die dazugehörige App ermöglicht den Zugang zur interaktiven Videokunst an den jeweiligen Stationen.

Prof. Dr. Karl Max Einhäupl, Vorstandsvorsitzender der Charité, erklärte anlässlich des Pressetermins zur Eröffnung: „Der nun mehr als fünf Jahre laufende Gedenkortprozess findet mit REMEMBER einerseits einen ersten Abschluss, andererseits lebt er durch die Kunstwerke, ihre Inhalte und ergänzende Initiativen weiter. Die Charité hat sich mit ihrer NS-Vergangenheit intensiv auseinandergesetzt. Das Konzept zum Gedenkort Charité wurde realisiert, sodass Mitarbeiter, Patienten, Besucher und Studierende alles über die Aufarbeitung des Nationalsozialismus erfahren können und für die Gefahren sensibilisiert werden, die Leo Alexander 1947 ,als feine Verschiebung in der Grundeinstellung der Ärzte’ charakterisiert hatte.“

Auf dem Campus werden die Besucher mithilfe der App von zwei fiktionalen Charakteren, einer Krankenschwester und einem Hausmeister, auf ihrer Zeitreise begleitet. Die Figuren unterstützen dabei das lebendige Erinnern. Mit der Kunst verbunden ist auch eine Botschaft: „Das Kunstprojekt REMEMBER setzt Zeichen für eine verantwortungsvolle Wissenschaft vom Menschen. Wir wollen den Respekt vor jedem menschlichen Leben stärken und eine Reflexion eigener Haltungen anregen“, sagte Sharon Paz stellvertretend für das Künstlerteam.

Das Kunstprojekt REMEMBER hatte sich 2017 in einem künstlerischen Auswahlverfahren für den Charité-Erinnerungsweg erfolgreich durchgesetzt. Wolfgang Knapp, Beauftragter des Präsidenten für Postgraduale Studien und Kooperationen der Universität der Künste Berlin: „Analoge und medizinisch-technische Bildproduktionen ermöglichen und fördern vertieftes Wissen in der Medizin und aktualisieren den künstlerischen Blick auf den menschlichen Körper. Neue audiovisuelle Formen der Verbildlichung in der künstlerischen Praxis und im Design erweitern die inhaltlichen Potenziale des künstlerischen und medizinischen Handelns. Dieser fachliche Austausch sollte bereits im Studium beginnen und kann so verantwortungsvolles Kooperieren verstärken – dies hat sich in den vergangenen fünfzehn Jahren in der Zusammenarbeit zwischen der Universität der Künste Berlin und der Charité gezeigt.“

Der „Erinnerungsweg REMEMBER“ und die Ausstellung „Der Anfang war eine feine Verschiebung in der Grundeinstellung der Ärzte. Die Charité im Nationalsozialismus und die Gefährdungen der modernen Medizin“ bilden zusammen den GeDenkOrt.Charité – Wissenschaft in Verantwortung. Prof. Dr. Thomas Schnalke, Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité, erklärte dazu: „Hier begegnen sich sachliche Information, künstlerisches Argument und würdiges Erinnern auf kongeniale Weise.“

GeDenkOrt.Charité – Wissenschaft in Verantwortung
GeDenkOrt.Charité ist ein interdisziplinäres Projekt, in dem u. a. das Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, die Universität der Künste Berlin und das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité zusammenarbeiten. Der Erinnerungsweg und die historische Ausstellung in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Bonhoefferweg 3, bilden zusammen den GeDenkOrt.Charité – Wissenschaft in Verantwortung.
Das Projekt wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung von: Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, Friede Springer Stiftung, Freundeskreis der Charité e.V.

Künstlerteam REMEMBER
Sharon Paz, Jürgen Salzmann und Karl-Heinz Stenz arbeiten seit 2005 in verschiedenen nationalen und internationalen Projekten zusammen. Diese reichen von Videokunst über Live Art bis hin zu gemeinsamen Performances. Für REMEMBER luden sie zusätzlich ihre langjährige Kollegin Danielle Ana Füglistaller ins Künstlerteam ein. Sie alle verbindet ein starkes Interesse für gesellschaftlich und politisch relevante Themen.

Hinweis zur REMEMBER-APP:
Bitte laden Sie die kostenfreie App sowie die Videos bereits vor dem Besuch auf dem Campusgelände auf Ihr Smartphone oder Tablet und schließen Kopfhörer an: https://remember.charite.de

Parodontitis verhindern

Rauchen verursacht 40 Millionen schwere Parodontitisfälle

Berlin, 14.05.2018 Wer Parodontitis verhindern will, sollte nicht rauchen. In einer Studie haben Zahnmediziner der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel die Zahl der Parodontitisfälle weltweit berechnet, die auf Zigaretten zurückzuführen ist. Auffällig dabei sind deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Die Studienergebnisse sind im Journal of Clinical Periodontology* erschienen.

Parodontitis ist eine bakteriell bedingte chronische Entzündung des Zahnbettes und zählt genau wie Karies zu den Volkskrankheiten, da jeder zweite Erwachsene davon betroffen ist. Die Entzündung kann zu irreversiblen Schäden führen und die Betroffenen verlieren ihre Zähne. Eine zentrale Krankheitsursache ist das Rauchen und weltweit werden rund 40 Millionen schwere Parodontitisfälle dadurch verursacht. Zudem wird Parodontitis mit verschiedenen Allgemeinerkrankungen assoziiert.

Die Wissenschaftler um Privatdozent Dr. Falk Schwendicke von der Abteilung für Zahnerhaltung und Präventivzahnmedizin der Charité sind der Frage nachgegangen, wie viele Parodontitisfälle bzw. welcher Anteil an Parodontitiserkrankungen weltweit auf das Rauchen zurückgeführt werden können. Dabei haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass insbesondere Männer mittleren Alters Parodontitis aufgrund von Rauchen aufweisen. Zudem gibt es international große Schwankungen hinsichtlich der Häufigkeit: Während in Deutschland rund zehn Prozent der Parodontitisfälle auf Zigaretten zurückzuführen sind, ist dieser Prozentsatz beispielsweise in Spanien, aber auch in vielen Ländern Afrikas, deutlich geringer.

„Rauchen ist ein zentraler Risikofaktor für Parodontitis – und dieser Zusammenhang scheint insbesondere bei jungen Menschen besonders hoch zu sein“, erklärt Privatdozent Dr. Schwendicke. Er fügt hinzu: „Zudem stehen Parodontitis und Rauchen mit zahlreichen anderen Erkrankungen in Verbindung. Das heißt: Nicht zu rauchen und weniger Parodontitis zu haben, ist doppelt sinnvoll, um auch Herzinfarkt oder Schlaganfall vorzubeugen.“

Für die Studie wurden mathematische Modelle verwendet, die die Daten aus einem umfänglichen Pool für insgesamt 186 Länder berechneten. Kooperationspartner waren Dr. Toni Meier von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Kompetenzcluster für Ernährung und kardiovaskuläre Gesundheit (nutriCARD), und Prof. Dr. Christof Dörfer von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie ist.

„Im nächsten Schritt könnten wir uns vorstellen, dass unsere Erkenntnisse für Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen bei Parodontitis eingesetzt werden. Zudem ist es sinnvoll, dass Ärzte und Zahnärzte Rauchen verstärkt als gemeinsamen Risikofaktor für verschiedene Erkrankungen bekämpfen“, gibt Privatdozent Dr. Schwendicke einen Ausblick.

*Schwendicke, F., Dörfer, C.E., Meier, T.: Global smoking-attributable burden of periodontal disease in 186 countries in the year 2015. In: Journal of Clinical Periodontology. Doi: 10.1111/jcpe.12823, 2017.

Den unstillbaren Hunger abschalten

Ein neuer Wirkstoff soll jungen Patienten mit genetisch bedingter Adipositas helfen

Berlin, 08.05.2018 Im Rahmen einer aktuellen Studie haben Forscher des Instituts für Experimentelle Pädiatrische Endokrinologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin Übergewicht erfolgreich behandelt, das durch einen Gendefekt verursacht wurde. Die jungen Patienten profitierten von einem Wirkstoff, der gleichzeitig neue Erkenntnisse über die grundlegenden Signalwege des Sättigungsgefühls ermöglicht. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse im Journal Nature Medicine*.

Eine Mutation in der genetischen Bauanleitung des Leptin-Rezeptor (LEPR) führt bei den Betroffenen bereits in den ersten Lebensmonaten zu einem starken Hungergefühl. Die Folge ist eine ausgeprägte Fettleibigkeit bereits in der Kindheit. In der Regel gelingt es den Patienten nicht, durch vermehrte Bewegung und reduzierte Kalorienaufnahme, das Körpergewicht längerfristig zu stabilisieren. Darüber hinaus ziehen die Patienten häufig keinen Nutzen aus einer Adipositaschirurgie. Umso wichtiger ist der medikamentöse Behandlungsansatz für die Betroffenen.

Bereits vor zwei Jahren konnte Dr. Peter Kühnen mit der Arbeitsgruppe an der Charité zeigen, was für eine zentrale Rolle der Melanocortin-4-Rezeptor (MC4R) für den Energiehaushalt des Organismus und die Regulierung des Körpergewichts spielt. Im Gehirn führt normalerweise die Bindung des sogenannten „Sättigungshormons“ Leptin an den LEPR über mehrere Schritte zur Produktion des Melanozyten-stimulierendes Hormons (MSH). Die Bindung von MSH an MC4R löst dann das eigentliche Sättigungssignal in den Zellen aus. Ist der Rezeptor LEPR jedoch defekt, wird die Signalkaskade der Sättigung unterbrochen und ein ungestilltes Hungergefühl begünstigt das Entstehen einer Adipositas. Das im Rahmen der jetzt veröffentlichten Studie zur Behandlung eingesetzte Peptid bindet im Gehirn der Patienten an MC4R und löst das Sättigungssignal wieder aus. In Zusammenarbeit mit der Clinical Research Unit des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung/Berlin Institute of Health (BIH) konnte das Team eine deutliche Gewichtsreduktion der behandelten Patienten mit LEPR-Gendefekt beobachten.

Dr. Kühnen: „Wir haben außerdem untersucht, weshalb das eingesetzte Peptid so wirksam ist und im Vergleich zu anderen Präparaten mit einem ähnlichen Wirkprinzip zu keinen schweren Nebenwirkungen führte. Hier konnten wir zeigen, dass ein besonderer Signalweg des MC4R aktiviert wird, der eine wichtige und bisher unterschätzte Rolle spielt.“ Im Rahmen der kommenden Untersuchungen will das Team von Dr. Kühnen ermitteln, ob es weitere Patienten gibt, die von dem Wirkstoff profitieren können: „Denkbar ist, dass es Patientengruppen mit einer Funktionsstörung in diesem Signalweg gibt, die für eine derartige Therapie in Frage kommen.“

*Clément K, et al., MC4R agonism promotes durable weight loss in patients with leptin receptor deficiency, Nature Medicine (2018), doi:10.1038/s41591-018-0015-9.