Das Kino im Kopf

Über den Sinn und Zweck des Träumens streitet die Wissenschaft

Warum wir träumen? Fest steht jedenfalls, dass der Mensch seelisch und körperlich krank wird, wenn man ihn am Träumen hindert. 
Regensburg (obx-medizindirekt) – Jeder tut“s. Auch wenn viele Leute behaupten, sie träumen nie. Sie wissen nur nicht, dass sie träumen, weil sie sich nicht daran erinnern können. Jeder träumt drei- bis viermal pro Nacht, insgesamt ungefähr zwei Stunden lang. Frauen anders als Männer und Kinder anders als Greise. So viel steht fest. Was bis heute aber nicht wissenschaftlich genau geklärt ist: Welchen Sinn und Zweck für den Menschen das Träumen hat. 

Das Foto zeigt eine Frau, die im Bett liegt und schläft.
Foto: obx-medizindirekt
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Die Forscher vertreten da unterschiedliche Standpunkte. „Es ist vollkommen sinnlos“, sagen die einen. „Wir brauchen den Traum, um unsere täglichen Erlebnisse zu verarbeiten“, behaupten die anderen. „Wir träumen, um zu vergessen und unser Gedächtnis gewissermaßen auszumisten – eine Art Selbstreinigungsmechanismus des Gehirns“, sagen die dritten. Und die Vierten: „Wir brauchen Träume, um besser lernen zu können.“ Vermutlich haben alle recht. Es gibt übrigens noch weitere mögliche Funktionen des Traums. Schlaf und Traum sind erforderlich für die Gehirnreifung, Neugeborene haben besonders häufig Traumphasen.

Traumphasen…
• ordnen das Gedächtnis
• dienen dazu, durch Verarbeitung von Erlebnissen die Individualität des Menschen aufrecht zu erhalten
• füttern das Unterbewusstsein mit Impulsen aus dem Alltag
• können Gefühle und Stimmungen, auch Kränkungen und Blamagen verarbeiten helfen
• sind unverzichtbar für das geistige und seelische Entspannen
• unterstützen den Menschen bei der Lösung von Alltagsproblemen.

Nur eines können Träume ganz bestimmt nicht: Die Zukunft vorhersagen, wie das häufig von selbst ernannten Traumdeutern behauptet wird. Die Wissenschaft weiß heute eine ganze Menge über Dauer und Art des menschlichen Träumens. Zum Beispiel wurde das Hormon Vasotocin entdeckt, das während der Traumphasen in der Zirbeldrüse gebildet wird und das offenbar neben dem Schlafhormon Melatonin unverzichtbar ist für das Träumen.

Wir wissen auch, dass etwa die Hälfte unserer Traumzeit in die sechste und siebte Stunde des Nachtschlafes fällt. Längst hat sich die moderne Traumforschung von der Theorie Sigmund Freuds verabschiedet, jedem Traum liege ein uneingestandener (sexueller) Wunsch zugrunde. Sex ist zwar ein Thema bei Träumen von Männern und Frauen, aber nur jeder zehnte Traum hat erotische Bezüge. Heute wird angenommen, dass vor allem Dinge, die den Menschen bei der Arbeit und während der Freizeit beschäftigen, dann auch die nächtlichen Träume bestimmen.

Dass Träume oft wirr, gefühlstief und bizarr erscheinen, hat damit zu tun, dass das Gehirn aus Erholungsgründen das kritische Bewusstsein ausschaltet. Kontrollinstanzen, die auf Logik achten, werden im Schlaf einfach abgestellt. Dafür werden Gehirnareale, die Gefühle produzieren, gleichzeitig besonders aktiv. Übrigens stimmt die häufig gehörte Behauptung nicht, dass Träume nur eine Sekunde dauern. Ein amerikanisches Schlaflabor hat als Rekord einen Traum gemessen, der drei Stunden und acht Minuten lang dauerte.

Es ist auch nicht richtig, dass der Mensch nur in den so genannten REM-Phasen (rapid-eye- movement-Phasen) träumt, in denen schnelle Bewegungen der Augen beobachtet werden. Träume können die ganze Nacht über auftreten. Eine große Hoffnung der Wissenschaft hat sich leider nicht erfüllt: Die Vermutung, dass der Mensch im Traum durch das Abspielen von Tonbändern Fremdsprachen, Atomphysik und die Kulturgeschichte der Menschheit lernen könne. Alle Versuche in dieser Richtung haben sich als nutzlos erwiesen.

Trotzdem sind Schlaf und Traum enorm wichtig für das Lernen: Das tagsüber Gelernte bleibt nämlich nur dann richtig im Gedächtnis haften, wenn ein erholsamer Schlaf mit angeregten Träumen folgt. Denn im Traum erfolgen biochemische Prozesse, die Gehirnzellen neu miteinander verbinden und so die Erinnerungen vom Tag im Gedächtnis behalten. Hindert man dagegen Menschen nach dem Lernen am Schlaf, dann wird das Erlernte nicht im Gedächtnis verankert.

Ganze Heerscharen von Wissenschaftlern haben sich damit beschäftigt, was beim Träumen passiert und wie Träume verlaufen. Hier einige interessante Erkenntnisse:

• Träume bestehen zu mehr als der Hälfte aus Bildern, zu einem Viertel aus akustischen Eindrücken, zu 20 Prozent aus Körperempfindungen und zu 0,5 Prozent aus Gerüchen und Geschmacksempfindungen.
• Männer träumen doppelt so oft von Männern als von Frauen, Frauen dagegen von beiden Geschlechtern gleich häufig.
• Frauen träumen häufiger von Ereignissen in der Wohnung, Männer dagegen von Situationen im Freien.
• Kinder träumen häufiger vom Fliegen und von Tieren als Erwachsene, haben aber auch häufiger Alpträume.
• Blinde träumen genauso intensiv wie Sehende. Wer aber vor dem 5. Lebensjahr erblindet, der träumt nicht in Bildern.
• Den Beatles-Song „Yesterday“ hat Paul McCartney nach eigenen Angaben in einem Traum komponiert.
• Geräusche, Gerüche, Lichteffekte, Temperaturänderungen wie etwa vorbei fahrende Autos, Weckerklingeln oder der Duft von Kaffee können Einfluss auf Traumhandlungen nehmen.
• Der Pianist Vladimir Horowitz behauptete, er habe besonders schwierige Fingerpassagen im Traum geübt und bewältigt.
• Was kaum je in Träumen vorkommt: Rechnen, Schreiben oder Lesen.