Etwa 1,8 Millionen Menschen leben aktuell in Deutschland mit Demenz. Die Krankheit ist zu einer der größten medizinischen und sozialen Herausforderungen in unserer Gesellschaft geworden. In der neuen zweiteiligen Dokumentation „Hirschhausen und das große Vergessen“ nähert sich Dr. Eckart von Hirschhausen dem Thema von verschiedenen Seiten: Er trifft führende Demenzforschende, Betroffene, Angehörige und Pflegende und fragt: “Was wissen wir heute über die Ursachen, die verschiedenen Demenzformen, die Möglichkeiten der Therapie und der Prävention?“
Übereinstimmung von Erkrankungen: Es besteht eine hohe Übereinstimmung zwischen kardiovaskulären und psychischen Erkrankungen, wie Bluthochdruck und Depressionen. Diese Verbindung erfordert ein neues Konzept zur Erklärung.
Körper-Hirn-Zustände: Körperliche Vorgänge wie Herzschlag und Blutdruckänderungen könnten mit mentalen Prozessen verknüpft sein. Diese interagierenden Zustände beeinflussen sowohl die Psyche als auch das Herz-Kreislauf-System.
Prävention und Therapie: In der Behandlung von kardiovaskulären und psychischen Erkrankungen sollten beide Aspekte berücksichtigt werden. Eine integrierte Betrachtung könnte die Prävention verbessern.
Der Einfluss des Herzens und des Kreislaufsystems spielt sich innerhalb von Millisekunden ab, so dass schon jeder einzelne Herzschlag eine Rolle spielt. Die Rolle des Herzens für Psyche und Kognition zeigt sich in einer hohen Koinzidenz von kardiovaskulären Erkrankungen, wie zum Beispiel bei Bluthochdruck und Herzinfarkt, sowie psychischen Erkrankungen, wie bei Depression und Angsterkrankungen.
Kombinationstherapie könnte den Verfall des Gehirns möglicherweise ausbremsen
Das Immunsystem des Gehirns trägt über den Entzündungsbotenstoff IL-12 ursächlich dazu bei, dass sich Alzheimer verschlimmert. Dabei sind Immunzellen des Gehirns, die Mikroglia, eigentlich gute Wächter. Sie beseitigen Eindringlinge wie Mikroben, putzen Zellmüll weg – auch die typischen Plaques, die bei Alzheimer entstehen. Doch im alternden Gehirn sind die Mikroglia in den vielfältigsten Zuständen zu finden. Während manche weiterhin gut funktionieren, verlieren andere nach und nach ihre Schutzwirkung und beginnen, dauerhaft in geringen Mengen Entzündungsbotenstoffe zu produzieren. Den genauen Mechanismus beschreiben Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Center in der Fachzeitschrift Nature Aging*.
Ein Schaltkreis zwischen Gehirn und Darm beeinflusst die Darmflora und reguliert so das Immunsystem
Eine Studie eines internationalen Forschungsteams hat eine wichtige Verbindung zwischen Gehirn und Darm aufgedeckt. Sie erklärt, wie psychische Zustände das Darmmikrobiom beeinflussen und dadurch Immunprobleme und andere Krankheiten auslösen können. Die Arbeit führt aus, dass das Gehirn über die Brunner-Drüsen im Dünndarm die Zusammensetzung des Darmmikrobioms beeinflusst. Dieses neue Verständnis der komplexen Mechanismen, über die sich psychische Zustände auf die körperliche Gesundheit auswirken können, zeigt neue Möglichkeiten für therapeutische Interventionen auf, etwa bei entzündlichen Darmerkrankungen.
Neue Methode ermöglicht präzise Erforschung bislang kaum untersuchter Teile von Immunzellen im Gehirn / Erkenntnisse können helfen, Lernprozesse und Krankheiten wie Alzheimer und Hirntumore besser zu verstehen und neue Therapien zu entwickeln.
Forschende des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München haben herausgefunden, dass die Erweiterung der Pupille als Reaktion auf eine erwartete Belohnung davon abhängt, ob ein Mensch Freude empfinden kann. Dies weist daraufhin, dass eine zu geringe Aktivität des Locus Coeruleus im Gehirn maßgeblich für die Antriebslosigkeit von Menschen mit Depression verantwortlich ist.
Liraglutid wirkt sich positiv auf die Gehirnaktivität bei Menschen mit Adipositas aus
Foto: Mikhail Nilov
Übergewicht führt zu einem veränderten Energiestoffwechsel und zu einer verminderten Insulinempfindlichkeit der Zellen. Zur Behandlung von Übergewicht werden immer häufiger sogenannte „Diät-Spritzen“ eingesetzt. Vor allem in den USA haben diese einen regelrechten Hype ausgelöst. Forschende des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung in Köln haben nun gezeigt, dass eine verminderte Insulinsensitivität der Zellen bei Übergewicht die Fähigkeit zum assoziativen Lernen herabsetzt. Bereits eine einmalige Gabe des Abnehm-Medikaments Liraglutid konnte diese Veränderungen rückgängig machen und das Gehirn wieder in den Normalzustand versetzen.
Das Gehirn setzt ein Hormon frei, das die Autophagie ankurbelt
Fasten löst Recycling in den Zellen, die sogenannte Autophagie, aus. Dadurch kann unser Körper seine Zellen selbständig reinigen und neue Energie gewinnen. Forschende des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung in Köln haben jetzt an Mäusen gezeigt, dass das Gehirn bei diesem Prozess eine entscheidende Rolle spielt. Schon nach einer kurzen Fastenzeit löst das Gehirn die Ausschüttung des Hormons Corticosteron aus und leitet damit die Autophagie in der Leber ein. Die Erkenntnisse könnten helfen zu verstehen, warum Fasten so gesund für den Körper ist.
Warum wir von Schokoriegeln und Co. nicht die Finger lassen können
Schokoriegel, Chips und Pommes – warum können wir sie im Supermarkt nicht einfach links liegen lassen? Forschende des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung in Köln haben, in Zusammenarbeit mit der Yale University, jetzt nachgewiesen, dass Lebensmittel mit hohem Fett- und Zuckergehalt unser Gehirn verändern: Wenn wir regelmäßig auch nur kleine Mengen davon essen, lernt das Gehirn, auch weiterhin genau diese Lebensmittel konsumieren zu wollen.
Erythropoietin, kurz Epo, ist ein berüchtigtes Dopingmittel. Es fördert die Bildung von roten Blutkörperchen und steigert – wie man bislang glaubte – auf diese Weise die körperliche Leistungsfähigkeit. Der Wachstumsfaktor schützt und regeneriert aber auch Nervenzellen im Gehirn. Forscher vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen haben nun herausgefunden, wie Epo dort wirkt. Sie haben entdeckt, dass geistige Herausforderungen in den Nervenzellen des Gehirns einen leichten Sauerstoffmangel (von den Forschern ‚funktionelle Hypoxie‘ genannt) auslösen. Dies regt die Produktion von Epo und seinen Rezeptoren in den aktiven Nervenzellen an. Dadurch werden aus benachbarten Vorläuferzellen neue Nervenzellen gebildet, und die Zellen verbinden sich effektiver untereinander.
Erythropoietin ist ein Wachstumsfaktor, der unter anderem die Produktion von roten Blutkörperchen anregt. So fördert es bei Anämie-Patienten die Blutbildung. Darüber hinaus wird der hochpotente Wirkstoff auch zur illegalen Leistungssteigerung im Sport eingesetzt.
„Die Gabe von Epo verbessert die Regeneration nach einem Schlaganfall (genannt ‚Neuroprotektion‘ und ‚Neuroregeneration‘) und verringert so die Schäden im Gehirn. Patienten mit Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit im Rahmen von Schizophrenie, Depression, Bipolarer Erkrankung oder Multipler Sklerose, die wir mit Epo behandelt haben, sind zudem deutlich leistungsfähiger“, sagt Hannelore Ehrenreich vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin. Die Wissenschaftlerin erforscht zusammen mit ihren Kollegen seit Jahren die Rolle von Epo im Gehirn.
Mehr Nervenzellen
Ehrenreich und ihr Team haben nun in Tierversuchen an Mäusen systematisch untersucht, welcher körpereigene Mechanismus der höheren Leistungsfähigkeit des Gehirns nach Epo zugrunde liegt. Ihre Versuchsergebnisse zeigen, dass erwachsene Mäuse nach der Gabe des Wachstumsfaktors 20 Prozent mehr Nervenzellen in der Pyramidenschicht des Hippocampus, einer für Lernen und Gedächtnis entscheidenden Hirnregion, bilden. „Außerdem vernetzen sich die Nervenzellen besser und schneller mit anderen Nervenzellen und tauschen dadurch effizienter Signale aus“, sagt Ehrenreich.
Die Forscher ließen die Mäuse auf Laufrädern trainieren, deren Speichen in unregelmäßigen Abständen angeordnet waren. „Das Laufen in diesen Rädern erfordert das Erlernen komplexer Bewegungsabläufe, die für das Gehirn eine besondere Herausforderung sind“, erklärt Ehrenreich. Die Resultate belegen, dass die Mäuse nach einer Epo-Behandlung die für die Laufräder erforderlichen Bewegungen schneller lernen. Die Nager sind darüber hinaus deutlich belastbarer.
Höherer Sauerstoffbedarf
Den Göttinger Wissenschaftlern war nun das Verständnis der Mechanismen wichtig, welche diese potenten Epo Effekte erklären. Sie wollten der physiologischen Bedeutung des Epo-Systems im Gehirn auf die Spur kommen. In einer Reihe gezielter Experimente konnten sie belegen, dass Nervenzellen beim Lernen komplexer motorischer Aufgaben mehr Sauerstoff benötigen, als ihnen normalerweise zur Verfügung steht. Der dadurch entstehende leichte Sauerstoffmangel (relative Hypoxie) liefert in den Nervenzellen das Signal zur vermehrten Epo-Produktion. „Es handelt sich hierbei um einen selbstverstärkenden Prozess: Geistige Anstrengung führt zu leichter Hypoxie, von uns als ‚funktionelle Hypoxie‘ bezeichnet, der wiederum die Produktion von Epo und seinen Rezeptoren in den entsprechend aktiven Nervenzellen anregt. Epo steigert anschließend die Aktivität dieser Nervenzellen, bewirkt die Bildung neuer Nervenzellen aus benachbarten Vorläuferzellen, und erhöht deren komplexe Vernetzung, um auf diese Weise zu der bei Mensch und Maus messbaren Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit zu führen“, erklärt Ehrenreich.
Der selbstverstärkende Zyklus aus geistiger Herausforderung, aktivitätsinduzierter Hypoxie und Epo-Produktion kann auf unterschiedliche Weise beeinflusst werden: „Die geistige Leistungsfähigkeit lässt sich durch konsequentes Lernen und geistiges Training über die Epo-Produktion der beteiligten Nervenzellen steigern. Ein ähnlicher Effekt wird bei Kranken durch die Verabreichung von zusätzlichem Epo erzielt“, sagt Ehrenreich.