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Studie könnte zum besseren Verständnis von Hirnerkrankungen beitragen

Neurowissenschaftler entdecken bislang unbekannte Funktion von Cannabinoid-Rezeptor
Studie könnte zum besseren Verständnis von Hirnerkrankungen beitragen

Berlin, 02.05.2016 Im Gehirn herrscht ein sensibles Zusammenspiel von Signalstoffen und zellulärer Aktivität. Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) haben in diesem Orchester einen weiteren Akteur identifiziert: In einer Laborstudie stellten sie fest, dass der sogenannte Cannabinoid-Rezeptor Typ 2 die Informationsverarbeitung innerhalb des Hippocampus beeinflusst. Dieses Hirnareal ist maßgeblich an der Bildung von Langzeit-Erinnerungen beteiligt. Die Erkenntnisse könnten zu einem besseren Verständnis der Krankheitsmechanismen von Schizophrenie und Alzheimer beitragen, sie sind im aktuellen im Fachjournal Neuron* veröffentlicht.

Der Cannabinoid-Rezeptor Typ 2, auch CB2-Rezeptor genannt, ist ein spezielles Membranprotein, über das eine Zelle chemische Signale empfangen kann. Dadurch wird ihre Aktivität gesteuert. „Dieser Rezeptor galt bisher vor allem als Teil des Immunsystems, ohne Funktion in Nervenzellen. Unsere Studie zeigt nun, dass er auch für die Signalverarbeitung des Gehirns eine wichtige Rolle spielt“, erläutert Prof. Dr. Dietmar Schmitz, Direktor des Neurowissenschaftlichen Forschungszentrums an der Charité (NWFZ) und Berliner Standortsprecher des DZNE. Neben Berliner Fachkollegen haben sich an der aktuellen Studie auch Wissenschaftler der Universität Bonn und des US-amerikanischen National Institute on Drug Abuse beteiligt.

Wie die Forscher im Tiermodell nachweisen konnten, hebt der CB2-Rezeptor die Erregungsschwelle von Nervenzellen des Hippocampus. „Die Arbeitsweise des Gehirns beruht darauf, dass Nervenimpulse auf nachgeschaltete Zellen in manchen Situationen erregend, in anderen Fällen unterdrückend wirken“, sagt Dr. Vanessa Stempel, Erstautorin der aktuellen Veröffentlichung. „Der CB2-Rezeptor wirkt wie eine Stellschraube, mit der solche Kommunikationsprozesse justiert werden“, so die Wissenschaftlerin weiter, die inzwischen im britischen Cambridge forscht.

Der CB2-Rezeptor zählt zum endogenen Cannabinoid-Systems (ECS). Diese Familie aus Rezeptoren und Botenstoffen kommt bei vielen Lebewesen vor, so auch beim Menschen. Es handelt sich um ein biochemisches Regelsystem, das an der Steuerung zahlreicher physiologischer Vorgänge beteiligt ist. Sein Name basiert auf der bereits länger bekannten Tatsache, dass Wirkstoffe der Cannabispflanze an Rezeptoren des ECS ankoppeln. Bislang sind zwei Sorten solcher Rezeptoren bekannt. Der CB2-Rezeptor hat keine psychoaktive Wirkung. Die durch Einnahme von Cannabis aufgelösten Rauscheffekte werden daher dem Cannabinoid-Rezeptor Typ 1 zugeschrieben.

Die Ergebnisse der aktuellen Studie könnten zum besseren Verständnis von Krankheitsmechanismen beitragen und einen Ansatzpunkt für neuartige Medikamente aufzeigen. „Bei Schizophrenie, Depression, Alzheimer und anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen ist die Hirnaktivität gestört. Pharmaka, die an den CB2-Rezeptor binden, könnten die Aktivität der Hirnzellen möglicherweise beeinflussen und somit Bestandteil einer Therapie sein“, resümiert Prof. Schmitz.

*A. Vanessa Stempel, Alexander Stumpf, Hai-Ying Zhang, Tugba Özdogan, Ulrike Pannasch, Anne-Kathrin Theis, David-Marian Otte, Alexandra Wojtalla, Ildikó Rácz, Alexey Ponomarenko, Zheng-Xiong Xi, Andreas Zimmer, Dietmar Schmitz. Cannabinoid type 2 receptors mediate a cell type-specific plasticity in the hippocampus. April 2016, Neuron. doi: 10.1016/j.neuron.2016.03.034.
http://www.cell.com/neuron/fulltext/S0896-6273(16)30025-3

Wie erzeugt unser Gehirn Temperatur-Empfindungen?

Berlin, 04.11.2014 Auf welche Weise erfassen die Rezeptoren auf unserer Haut, ob etwas warm oder kalt ist? Und wie erzeugt unser Gehirn aus diesen Informationen dann eine Empfindung von der Temperatur eines Objektes? Der Antwort auf diese Fragen sind jetzt Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin Berlin-Buch (MDC) näher gekommen. Sie konnten zeigen, dass die Gehirnregion, die Informationen über haptische Reize verarbeitet, ebenso für die Wahrnehmung von feinen Temperaturunterschieden zuständig ist. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience* veröffentlicht.

Temperatur- oder Thermorezeptoren befinden sich überall im Körper und in der Haut. Sie informieren das zentrale Nervensystem über die Temperaturverhältnisse des Körpers und der Außenwelt. In welchem Bereich des Gehirns diese Informationen dann zusammenlaufen und daraus eine Empfindung entsteht, wird schon länger diskutiert. Experimente zu Sinnestäuschungen haben gezeigt, dass das Temperaturempfinden und das haptische Empfinden eng miteinander verknüpft sind. So scheint beispielsweise eine kalte Münze in unserer Hand schwerer zu wiegen als eine warme. Die zugrundeliegenden neuronalen Verschaltungswege und Mechanismen sind bislang jedoch nicht vollständig geklärt.

Die Forscher um Dr. James Poulet, Neurowissenschaftler am Exzellenzcluster NeuroCure der Charité – Universitätsmedizin Berlin und am MDC, konnten in Verhaltensexperimenten  zeigen, dass Mäuse Temperaturen in gleichem Maße unterscheiden können wie Menschen. Mit einem optischen Messverfahren (Intrinsic Optical Imaging) sowie Einzelzellableitungen wiesen die Forscher weiterhin nach, dass Informationen über die Temperatur und die Haptik eines Objekts in derselben Hirnregion, dem sogenannten primären somatosensorischen Cortex, verarbeitet werden. Während bei einer Einzelzellableitung die elektrische Aktivität einer einzelnen Nervenzelle mit einer Elektrode gemessen wird, wird beim Intrinsic Optical Imaging über ein Kamerasystem der lokale Blutfluss als Maß für die Aktivität vieler Nervenzellen gemessen.

„Die Ergebnisse waren für uns überraschend, da dieses Hirnareal normalerweise als Zentrum für die Verarbeitung von Berührungen, nicht aber von Temperatur angesehen wird“, sagt Nevena Milenkovic, die Erstautorin der Studie. In einem weiteren Experiment untersuchten die Forscher Nervenzellen der Haut und zeigten, dass Zellen, die bislang als Schmerzrezeptoren angesehen wurden, auch Informationen über nicht schmerzhafte Temperaturreize weiterleiten. Dies leistet einen Beitrag zum Verständnis übermäßiger Schmerzempfindlichkeit, die mit vielen neurologischen Störungen einhergeht. Schließlich wiesen die Forscher nach, dass Mäuse, deren Hautnervenzellen ein bestimmtes Rezeptorprotein fehlte, keine Abkühlung wahrnehmen konnten. „Unsere Ergebnisse helfen dabei zu verstehen, wie unser Gehirn Informationen aus verschiedenen Sinnessystemen integriert und so die einheitliche Wahrnehmung eines Objekts produziert – eine der fundamentalsten Aufgaben unseres Großhirns“, betont Dr. Poulet.

* Milenkovic N, Zhao WJ, Walcher J, Albert T, Siemens J, Lewin GR, Poulet JF. A somatosensory circuit for cooling perception in mice. Nat Neurosci. 2014 Nov;17(11):1560-6. doi: 10.1038/nn.3828. Epub 2014 Sep 28.

Wie blendet das Gehirn Störungen aus?

Berlin, 02.07.2014 Wie schafft es unser Gehirn, Störreize zu ignorieren und aus einer Vielzahl an Informationen die relevanten herauszufiltern? Dieser Frage sind zwei Neurowissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Universität Tübingen in einer experimentellen Studie nachgegangen. Die Ergebnisse der Studie sind in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Neuron* veröffentlicht.

Täglich ist unser Gehirn einer Flut von wichtigen und unwichtigen Reizen ausgesetzt. Dennoch sind wir in der Lage, aus der Masse an Informationen, diejenigen herauszufiltern, die für uns relevant sind. Welche Mechanismen diesen Filterungsprozessen zugrunde liegen, haben Dr. Simon Jacob von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Mitte und Prof. Dr. Andreas Nieder von der Fakultät für Biologie der Eberhard Karls Universität Tübingen an Rhesusaffen untersucht. Die Tiere sollten sich eine bestimmte Anzahl an Punkten in einem Musterbild merken. In einer sich anschließenden Gedächtnisphase wurde ein Störreiz gezeigt. Danach sollten sie das Musterbild wiedererkennen.

Während die Rhesusaffen die Aufgabe durchführten, wurde die elektrische Aktivität einzelner Nervenzellen im Stirnlappen und im Scheitellappen gemessen, zwei für das Arbeitsgedächtnis wesentliche Regionen im Großhirn. Der Stirnlappen ist Sitz komplexer kognitiver Funktionen, während der Scheitellappen unter anderem eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung sensorischer Informationen spielt. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Nervenzellen im Stirnlappen zwar durch den Störreiz aktiviert werden, nach Ausschalten des störenden Reizes jedoch wieder das im Gedächtnis gespeicherte Musterbild darstellen. Demgegenüber wurden die Nervenzellen im Scheitellappen durch den Störreiz überhaupt nicht aktiviert.

„Die Studie hilft zu erklären, warum das Arbeitsgedächtnis bei vielen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen gestört ist“, sagt Dr. Jacob von der Charité. Weiterhin erklärt er: »Verschiedene Hirnareale scheinen bei der Ausblendung eines störenden Reizes unterschiedliche Strategien zu verwenden. Während Nervenzellen im Scheitellappen den Störreiz einfach unterdrücken, lassen sich die Zellen im Stirnlappen kurzzeitig ablenken, um aber sofort danach die eigentlich wichtige Gedächtnisinformation wieder herzustellen.« Prof. Nieder fügt hinzu: »Uns hat vor allem die unterschiedliche Anfälligkeit der beiden Hirnareale gegenüber Störreizen überrascht. Bisher war man davon ausgegangen, dass der Stirnlappen alle Arten von Störreizen filtert, während der Scheitellappen sensibler für Störungen ist. Unsere Ergebnisse fordern ein Umdenken hinsichtlich der Beiträge und Strategien der jeweiligen Hirnareale während Arbeitsgedächtnisaufgaben.»

*Jacob S, Nieder A. Complementary roles for primate frontal and parietal cortex in guarding working memory from distractor stimuli. Neuron. 2014 July 02.