Archiv für den Monat: Mai 2016

Gleich klappt’s – gleich klappt’s nicht

Verfahren ermöglicht anhand von Gehirnsignalen eine Prognose, ob Menschen eine Bewegung präzise ausführen werden

Ob eine Türe aufschließen oder nach einem Gegenstand greifen: Selbst einfache, oft ausgeübte Bewegungsaufgaben lösen Menschen nicht immer gleich gut – mal sind sie schneller, mal langsamer, mal genauer, mal weniger präzise. Ein Teil dieser von Forscherinnen und Forschern als Leistungsvariabilität bezeichneten Schwankungen ist auf Unterschiede in der Gehirnaktivität zurückzuführen. Eine fächerübergreifende Nachwuchsforschungsgruppe des Exzellenzclusters BrainLinks-BrainTools der Universität Freiburg um den Informatiker Dr. Michael Tangermann hat einen selbstlernenden Algorithmus entwickelt, der es erlaubt, kurz vor der Ausführung einer motorischen Aufgabe deren Präzision vorherzusagen. Das Verfahren könnte zukünftig eingesetzt werden, um sportwissenschaftliche Trainingsmethoden sowie die Rehabilitation von Patientinnen und Patienten nach einem Schlaganfall zu verbessern. Die Studie ist im Fachjournal „Frontiers in Human Neuroscience“ erschienen.

Mithilfe der Elektroenzephalografie (EEG) wurden im Gehirn bereits vor Jahrzehnten Aktivitätsmuster entdeckt, die einer motorischen Handlung vorausgehen. Die Studie aus Freiburg basiert ebenfalls auf der Auswertung von EEG-Signalen. Die Forschenden untersuchten dazu 20 gesunde Probandinnen und Probanden im Durchschnittsalter von 53 Jahren. Diese versuchten, durch wiederholtes Drücken eines Kraftsensors einem vorgegebenen Pfad auf dem Computerbildschirm zu folgen. Vor und während der Übungen wurde ihre Gehirnaktivität aufgezeichnet. Ein Algorithmus lernte, innerhalb der komplexen Gehirnsignale wichtige Merkmale zu erkennen, mit deren Hilfe vorhersagbar ist, wie gut der Proband die motorische Übung bewältigen wird. Solche Verfahren des maschinellen Lernens werden oft im Zusammenhang mit hochdimensionalen Daten und großen Datenmengen verwendet, etwa zur Verbesserung von Suchmaschinen. Basierend auf vielen Einzelbeispielen lernt der Algorithmus eine Vorschrift, die es ihm erlaubt, auch zukünftige, unbekannte Datensätze zu entschlüsseln.

Im nächsten Schritt wollen die Forscher beleuchten, inwieweit sich derartige Vorhersagemodelle praktisch nutzen lassen. Für die motorische Rehabilitation von Schlaganfallpatienten könnte es etwa hilfreich sein, den Start einer Bewegungsaufgabe kurzzeitig zu verzögern, bis ein geeigneter Hirnzustand vorliegt. Diesen Trainingseffekt will das Team gemeinsam mit Forschern des Universitätsklinikums Freiburg in einer Studie untersuchen.

Originalveröffentlichung:
Meinel, A./Castaño-Candamil, S./Reis, J./Tangermann, M. (2016): Pre-Trial EEG-Based Single-Trial Motor Performance Prediction to Enhance Neuroergonomics for a Hand Force Task. In: Frontiers in Neuroscience.
DOI: 10.3389/fnhum.2016.00170
URL: http://journal.frontiersin.org/article/10.3389/fnhum.2016.00170/full

Freiburger Forscher melden: Neue Zika-Diagnostik zuverlässig

Neue Zika-Diagnostik zuverlässig

Freiburger Forscher weisen hohe Treffsicherheit eines neuen, kommerziellen Zikavirus-Tests nach

Das Zikavirus breitet sich derzeit rasant in Süd- und Mittelamerika aus. Ein wichtiges diagnostisches Kriterium ist der Nachweis von Antikörpern im Blut, die gegen das Zikavirus gerichtet sind. Doch bisher verfügbare Tests reagierten oft auch auf Antikörper gegen verwandte Viren, wie das von Zecken übertragene FSME-Virus oder eine entsprechende Schutzimpfung. Forscher des Universitätsklinikums Freiburg konnten nun nachweisen, dass ein neuer, seit Kurzem kommerziell erhältlicher Antikörper-Test durch solche früher erfolgten Infektionen oder Impfungen nicht gestört wird. Ihre Ergebnisse präsentierten die Wissenschaftler im Fachmagazin Eurosurveillance. Das Universitätsklinikums Freiburg ist eine der ersten Kliniken in Deutschland, die die neue Zikavirus-Diagnostik einsetzt und vorrätig hält.

Infektionen mit dem Zikavirus in der Schwangerschaft können die Gehirn- und Schädelentwicklung des Ungeborenen schwerwiegend stören. Eine solche Mikrozephalie kann zu geistiger Behinderung führen und sogar tödlich sein. Die Sicherheit, die der neue Test bietet, ist darum vor allem für Schwangere relevant. „Im schlimmsten Fall konnte bisher ein falscher Verdacht zu einem unbegründeten Schwangerschaftsabbruch führen“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Marcus Panning, Oberarzt am Institut für Virologie des Universitätsklinikums Freiburg. „In Zukunft sollte niemand mehr durch ein fälschlicherweise positives Testergebnisse verunsichert werden“, so Prof. Panning weiter, der sich seit über 15 Jahren intensiv mit tropischen Viruserkrankungen beschäftigt. Für ihre Studie untersuchten die Forscher insgesamt 114 Zikavirus-freie Blutproben von Personen mit laborbestätigter FSME-Infektion, FSME-Impfung, Hepatitis C, Dengue-Infektion oder Gelbfieberimpfung, sowie zur Kontrolle elf Proben mit Antikörpern gegen Zikaviren. In allen Fällen lieferte der Test das richtige Ergebnis. Die Blutproben stammten aus der Blutserum-Bank des Instituts für Virologie des Universitätsklinikums Freiburg. Dort werden Proben mindestens für zehn Jahre anonymisiert und datenschutz-konform aufbewahrt. „Dadurch können wir auf eine sehr große Zahl und Vielfalt von Proben zurückgreifen“, sagt Prof. Panning.

In Deutschland schätzt Prof. Panning die Ansteckungsgefahr mit dem Zikavirus als sehr gering ein: „Bislang ist nicht einmal sicher nachgewiesen, ob die in Süddeutschland sporadisch vorkommende Asiatische Tigermücke das Virus übertragen kann.“

Etwa jeder fünfte Zikavirus-Infizierte entwickelt Symptome wie Fieber, fleckigen Hautausschlag, Kopf- und Gliederschmerzen sowie Gelenkschmerzen, die alle nach etwa einer Woche abklingen. Eine Behandlung der Infektion ist bislang nicht möglich. Bei Verdacht auf eine Zikavirus-Infektion wird eine labordiagnostische Abklärung empfohlen. Hiermit kann auch eine länger zurückliegende Infektion erkannt werden.

Titel der Originalarbeit: High specificity of a novel Zika virus ELISA in European patients after exposure to different flaviviruses

DOI: 10.2807/1560-7917.ES.2016.21.16.30203

Link zur Publikation: www.eurosurveillance.org/ViewArticle.aspx?ArticleId=21450  

Weitere Informationen:
Institut für Virologie
Forschungsgruppe Prof. Panning (englisch)
Übersichtsseite des Robert-Koch-Instituts zu Zikavirus-Infektionen

Arzt-Patienten-Beziehung wird durch Transparenz gestärkt

Wenn Patienten vollen Zugang zu ihren medizinischen Daten erhalten, verbessert sich Arzt-Patienten-Beziehung

Erhöhte Transparenz in der medizinischen Versorgung stärkt zudem Mitarbeit, Verständnis und Selbstfürsorge der Behandelten

Prof. Dr. Tobias Esch

Prof. Dr. Tobias Esch

Wenn Patienten vollen Zugriff auf ihre medizinischen Befunde und die Notizen des Arztes zu ihrer Erkrankung erhalten, verbessert dies die Arzt-Patienten-Beziehung erheblich. Dies hat eine Gruppe von Forschern der Universität Witten/Herdecke (UW/H) und der Harvard University (Boston, USA) herausgefunden. Zudem stärkt die erhöhte Transparenz in der Behandlung die Mitarbeit und das Selbstmanagement der Patienten, verbessert das Verständnis der medizinischen Probleme und unterstützt die Selbstfürsorge.

„Nach Studienlage versteht etwa die Hälfte der Patienten, die zum Arzt gehen, nicht genau, was gerade besprochen wurde“, erläutert der Studienleiter Prof. Dr. Tobias Esch. Der 45-Jährige hat an der Harvard Medical School zum Thema Arzt-Patienten-Beziehung geforscht und ist nun Professor für Integrierte Gesundheitsversorgung und -förderung an der UW/H. „Durch das OpenNotes-Projekt hat sich das Verständnis für das Besprochene radikal verbessert. Dadurch, dass die Patienten alles noch einmal nachlesen und auch die Notizen der Ärzte online einsehen können, haben sie die Möglichkeit, sich noch intensiver mit dem Thema zu beschäftigen, etwas noch einmal nachzulesen oder mit Angehörigen und Bekannten darüber zu sprechen.“ Als das Projekt OpenNotes in den USA ins Leben gerufen wurde, seien viele Ärzte skeptisch gewesen. „Wir wollten herausfinden, wie sich die Beziehung zwischen Arzt und Patient verändert, wenn den Patienten volle Transparenz gewährt wird. Das für viele durchaus erstaunliche Ergebnis war, dass sich die Beziehung deutlich verbessert.“ So ist mittlerweile auch die Skepsis der Ärzte gewichen. Prof. Esch: „Am Anfang hatten wir 120.000 Patienten, die sich beteiligt haben. Mittlerweile sind schon rund acht Millionen dabei. In zwei Jahren möchten wir 50 Millionen Leute erreichen.“

Überlegungen, wie Patienten aktiv in ihre Heilung einbezogen werden können, beschäftigen den Forscher schon seit längerer Zeit. „Ich glaube, OpenNotes kann hier eine gute Lösung sein“, so Esch. „In der Zukunft wird es für Ärzte immer wichtiger werden, nicht nur die Krankheit des Patienten zu betrachten, sondern gemeinsam mit dem Patienten an seiner Genesung zu arbeiten. Dazu muss er involviert sein, verstehen, was passiert und sich als aktiven Teil der Behandlung ansehen. Patienten, die sich eingebunden fühlen, erzielen in der Regel auch bessere Therapieerfolge. Dafür brauchen wir eine patientenbasierte und integrative Medizin.“

In der Studie gaben mehr als 77 Prozent der Patienten an, durch OpenNotes mehr Kontrolle über ihre Behandlung zu haben als zuvor. Mehr als 60 Prozent konnten durch das Programm ihre Medikation korrekt oder besser dosieren. Und fast alle Befragten fanden mindestens einmal einen Irrtum oder ein Missverständnis in den Unterlagen, die sie dank der freien Zugänglichkeit schnell korrigieren lassen konnten. Einige Patienten gaben zudem zu, Informationen zum Schutz ihrer Privatsphäre zunächst zurückgehalten zu haben, bis ihnen durch die Einsicht in die Unterlagen klar geworden sei, dass sie zur Behandlung wichtig seien.

„Letztlich ist dieser transparente Ansatz ein Gewinn für beide Seiten”, sagt Prof. Esch. „Die Patienten haben mehr Vertrauen, nehmen ihre Medikamente wie verschrieben, erinnern sich besser an das Besprochene und arbeiten aktiv an ihrer Gesundung mit. Die Ärzte können dadurch ihre Kommunikation verbessern, haben besser informierte und vorbereitete Patienten und auch andere Ärzte und Pflegende können besser über die gewünschte Behandlung unterrichtet werden. Und zu guter Letzt hilft das auch dem Gesundheitssystem. Wenn besser kommuniziert und die Dosierung der Medikamente eingehalten wird, medizinische Fehler vermieden werden und der Arzt seine Zeit effizienter nutzen kann, reduziert das am Ende auch die Kosten der Behandlung.“

Die Studie finden Sie unter: http://bmjopen.bmj.com/content/6/1/e010034.full

Studie könnte zum besseren Verständnis von Hirnerkrankungen beitragen

Neurowissenschaftler entdecken bislang unbekannte Funktion von Cannabinoid-Rezeptor
Studie könnte zum besseren Verständnis von Hirnerkrankungen beitragen

Berlin, 02.05.2016 Im Gehirn herrscht ein sensibles Zusammenspiel von Signalstoffen und zellulärer Aktivität. Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) haben in diesem Orchester einen weiteren Akteur identifiziert: In einer Laborstudie stellten sie fest, dass der sogenannte Cannabinoid-Rezeptor Typ 2 die Informationsverarbeitung innerhalb des Hippocampus beeinflusst. Dieses Hirnareal ist maßgeblich an der Bildung von Langzeit-Erinnerungen beteiligt. Die Erkenntnisse könnten zu einem besseren Verständnis der Krankheitsmechanismen von Schizophrenie und Alzheimer beitragen, sie sind im aktuellen im Fachjournal Neuron* veröffentlicht.

Der Cannabinoid-Rezeptor Typ 2, auch CB2-Rezeptor genannt, ist ein spezielles Membranprotein, über das eine Zelle chemische Signale empfangen kann. Dadurch wird ihre Aktivität gesteuert. „Dieser Rezeptor galt bisher vor allem als Teil des Immunsystems, ohne Funktion in Nervenzellen. Unsere Studie zeigt nun, dass er auch für die Signalverarbeitung des Gehirns eine wichtige Rolle spielt“, erläutert Prof. Dr. Dietmar Schmitz, Direktor des Neurowissenschaftlichen Forschungszentrums an der Charité (NWFZ) und Berliner Standortsprecher des DZNE. Neben Berliner Fachkollegen haben sich an der aktuellen Studie auch Wissenschaftler der Universität Bonn und des US-amerikanischen National Institute on Drug Abuse beteiligt.

Wie die Forscher im Tiermodell nachweisen konnten, hebt der CB2-Rezeptor die Erregungsschwelle von Nervenzellen des Hippocampus. „Die Arbeitsweise des Gehirns beruht darauf, dass Nervenimpulse auf nachgeschaltete Zellen in manchen Situationen erregend, in anderen Fällen unterdrückend wirken“, sagt Dr. Vanessa Stempel, Erstautorin der aktuellen Veröffentlichung. „Der CB2-Rezeptor wirkt wie eine Stellschraube, mit der solche Kommunikationsprozesse justiert werden“, so die Wissenschaftlerin weiter, die inzwischen im britischen Cambridge forscht.

Der CB2-Rezeptor zählt zum endogenen Cannabinoid-Systems (ECS). Diese Familie aus Rezeptoren und Botenstoffen kommt bei vielen Lebewesen vor, so auch beim Menschen. Es handelt sich um ein biochemisches Regelsystem, das an der Steuerung zahlreicher physiologischer Vorgänge beteiligt ist. Sein Name basiert auf der bereits länger bekannten Tatsache, dass Wirkstoffe der Cannabispflanze an Rezeptoren des ECS ankoppeln. Bislang sind zwei Sorten solcher Rezeptoren bekannt. Der CB2-Rezeptor hat keine psychoaktive Wirkung. Die durch Einnahme von Cannabis aufgelösten Rauscheffekte werden daher dem Cannabinoid-Rezeptor Typ 1 zugeschrieben.

Die Ergebnisse der aktuellen Studie könnten zum besseren Verständnis von Krankheitsmechanismen beitragen und einen Ansatzpunkt für neuartige Medikamente aufzeigen. „Bei Schizophrenie, Depression, Alzheimer und anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen ist die Hirnaktivität gestört. Pharmaka, die an den CB2-Rezeptor binden, könnten die Aktivität der Hirnzellen möglicherweise beeinflussen und somit Bestandteil einer Therapie sein“, resümiert Prof. Schmitz.

*A. Vanessa Stempel, Alexander Stumpf, Hai-Ying Zhang, Tugba Özdogan, Ulrike Pannasch, Anne-Kathrin Theis, David-Marian Otte, Alexandra Wojtalla, Ildikó Rácz, Alexey Ponomarenko, Zheng-Xiong Xi, Andreas Zimmer, Dietmar Schmitz. Cannabinoid type 2 receptors mediate a cell type-specific plasticity in the hippocampus. April 2016, Neuron. doi: 10.1016/j.neuron.2016.03.034.
http://www.cell.com/neuron/fulltext/S0896-6273(16)30025-3