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COVID-19-Risikogruppen: Warum das Immunsystem schlechter gegen das Virus ankommt

Ältere Menschen und Personen mit Grunderkrankungen haben ein besonders hohes Risiko, schwer an COVID-19 zu erkranken. 

Grafik zu COVID-19

Eine Forschungsgruppe der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat jetzt herausgefunden, was einer der Gründe dafür sein könnte: Bei diesen Risikogruppen werden wichtige Zellen des Immunsystems, die T-Helferzellen, zwar besonders häufig gebildet, sie sind aber in ihrer Funktion eingeschränkt. Diese „Immunbremse“ zu lösen, könnte ein Therapieansatz beispielsweise bei schweren COVID-19-Verläufen sein. Veröffentlicht ist die Studie im Journal of Clinical Investigation*.

Schon früh nach dem ersten Auftreten von COVID-19 wurde flächendeckend dieselbe Beobachtung gemacht: Die Erkrankung verläuft häufig besonders schwer bei älteren Personen und bei Menschen mit Grunderkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes. Wahrscheinlich gibt es eine Reihe medizinischer Gründe dafür, dass der Körper im Alter oder bei bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen schlechter mit einer SARS-CoV-2-Infektion fertig wird. Ein wichtiger Faktor, so wurde vermutet, könnte das Immunsystem sein. Ein interdisziplinäres Team der Charité hat jetzt Erkenntnisse gesammelt, die diese Vermutung unterstützen.

Für ihre Studie untersuchte die Forschungsgruppe das Blut von 39 Patientinnen und Patienten, die mit SARS-CoV-2-Infektion in die Charité aufgenommen worden waren. Aus diesen Blutproben gewannen die Forschenden Immunzellen, die sie mit kleinen, künstlich hergestellten Bruchstücken des SARS-CoV-2-Erregers stimulierten. Anschließend machten sie die T-Helferzellen, die auf die Virus-Bruchstücke reagierten, mithilfe von spezifischen Farbstoffen sichtbar und bestimmten ihre Anzahl. Schließlich überprüfte das Forschungsteam, ob es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der aktivierten T-Helferzellen und den Risikofaktoren der Patienten gab.

Wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler belegen konnten, wiesen die COVID-19-Betroffenen umso mehr Virus-spezifische T-Helferzellen in ihrem Blut auf, je älter sie waren. Derselbe Zusammenhang fand sich auch für den sogenannten Komorbiditätsindex – eine Maßzahl für die Schwere von 19 verschiedenen Grunderkrankungen: Je höher der Komorbiditätsindex lag, desto mehr SARS-CoV-2-spezifische T-Helferzellen zirkulierten im Blut der Patientinnen und Patienten. Wie das Team jedoch beobachtete, produzierten mit fortschreitendem Alter der Betroffenen und Gesamtlast ihrer Grunderkrankungen immer weniger dieser Zellen den Botenstoff Interferon gamma (IFNγ). Diesen Botenstoff geben die Zellen normalerweise ab, wenn sie ein Virus erkannt haben, um andere Komponenten der Immunabwehr gegen den Erreger zu stimulieren. „Die übermäßig vielen gegen das neue Coronavirus gerichteten T-Helferzellen, die wir im Blut von COVID-19-Betroffenen mit Risikofaktoren gefunden haben, sind also teilweise nicht mehr richtig funktionstüchtig“, erklärt Dr. Arne Sattler, leitender Erstautor der Studie von der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie der Charité. Der Wissenschaftler der Arbeitsgruppe Translationale Immunologie resümiert: „Die T-Helferzellen werden bei Menschen mit Risikofaktoren also gewissermaßen ausgebremst. Wir gehen davon aus, dass das hinderlich für eine effiziente Bekämpfung des Erregers sein könnte.“

Eine bekannte molekulare „Bremse“ des Immunsystems ist das Protein PD-1. Es sorgt auf der Oberfläche von T-Zellen normalerweise dafür, dass eine Immunantwort nicht überschießt und sich beispielsweise gegen den eigenen Körper richtet. Tatsächlich konnte die Charité-Forschungsgruppe nachweisen, dass die Virus-spezifischen T-Helferzellen während einer akuten SARS-CoV-2-Infektion deutlich mehr PD-1 bilden als nach einer Infektion mit vergleichsweise milden Symptomen. „Zusammen mit Beobachtungen anderer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weisen unsere Daten darauf hin, dass PD-1 mitverantwortlich dafür sein könnte, dass das Immunsystem bei einigen COVID-19-Betroffenen zu wenig Botenstoffe zur Erregerabwehr ausschüttet“, sagt Dr. Sattler. „Möglicherweise könnten COVID-19-Patientinnen und -Patienten von Therapien profitieren, die darauf abzielen, eine solche ‚Immunbremse‘ wieder zu lösen. Um das zu klären, sind aber noch zahlreiche Studien nötig.“

*Sattler A#, Angermair S#, Stockmann H, Heim KM, Khadzhynov D, Treskatsch S, Halleck F, Kreis ME, Kotsch K. SARS-CoV-2 specific T-cell responses and correlations with COVID-19 patient predisposition. J Clin Invest. 2020;140965. doi: 10.1172/JCI140965. [#Ko-Erstautoren] 

Studienplattform zur Erforschung von COVID-19 an der Charité
Basis für die Generierung der jetzt veröffentlichten Daten war die Studienplattform Pa-COVID-19. Pa-COVID-19 ist die zentrale longitudinale Registerstudie für COVID-19-Patientinnen und -Patienten an der Charité. Sie zielt darauf ab, COVID-19-Betroffene klinisch sowie molekular schnell und umfassend zu untersuchen, um individuelle Risikofaktoren für schwere Verlaufsformen sowie prognostische Biomarker und Therapieansätze zu identifizieren. Das Protokoll zur Studie ist hier veröffentlicht.

Allgemeines zur Immunantwort
Das Immunsystem bekämpft Erreger zum einen mithilfe von spezifischen Antikörpern und zum anderen durch die Aktivierung spezifischer Immunzellen, darunter T-Zellen. Man spricht von der humoralen und der zellulären Immunantwort. Beide Arme des Immunsystems tragen zur Ausbildung einer Immunität gegen einen spezifischen Erreger bei. Inwiefern und zu welchem Anteil die humorale und die zelluläre Immunantwort zu einer Immunität gegen SARS-CoV-2 beiträgt, ist Gegenstand aktueller Forschung.

T-Helferzellen
T-Helferzellen sind für die Steuerung und Koordinierung der Immunantwort verantwortlich. Dringt ein Erreger in den Körper ein, nehmen sogenannte Fresszellen ihn auf und präsentieren Bruchstücke davon („Antigene“) auf ihrer Oberfläche. T-Helferzellen kontrollieren diese Bruchstücke; verfügen sie über einen mehr oder weniger passenden Rezeptor für diese Erregerfragmente, werden sie aktiviert. Aktivierte T-Helferzellen sorgen dann dafür, dass andere Immunzellen den Erreger direkt bekämpfen und passgenaue Antikörper bilden. Bei den meisten Immunantworten entstehen dann auch sogenannte T-Helfer-Gedächtniszellen, die über viele Jahre im Körper überleben können und verantwortlich für eine schnellere und effizientere Immunantwort im Falle eines erneuten Kontakts mit dem gleichen Erreger sind.

Verändertes Mikrobiom bei Hochaltrigen: Wie die Darmflora das Altern beeinflussen kann

Das Mikrobiom als Ansatzpunkt für Therapien gegen das Altern

Professor Christoph Kaleta
Professor Christoph Kaleta

(01.09.2020) Der Darm mit seinen zahlreichen Mikroorganismen leistet einen maßgeblichen Beitrag zu unserer Gesundheit und unserem Wohlbefinden. Doch wie verändert sich das Mikrobiom des Darms – immerhin größtes Organ des menschlichen Körpers – bei hochaltrigen Menschen? Und welchen Einfluss hat seine veränderte Zusammensetzung auf die Gesundheit geriatrischer Patienten – und ihr Altern? Mit dieser Thematik setzt sich Professor Christoph Kaleta (Foto), Leiter der Arbeitsgruppe „Medizinische Systembiologie“ am Institut für Experimentelle Medizin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, auseinander. In seiner Keynote „Elucidating the contribution of the gut microbiome to aging“ im Rahmen der am Donnerstag beginnenden geriatrisch-gerontologischen Online-Konferenz beleuchtet er das Thema ganzheitlich. Dabei zeigt Kaleta auf, wie mikrobiombasierte Therapien das Altern verlangsamen können. Die Online-Konferenz findet vom 3. bis 5. September statt und wird organisiert von der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) mit Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG).

„Wir haben festgestellt, dass sich das Mikrobiom im alternden Körper opportunistisch verhält. Das bedeutet im Detail, dass es die Produktion von – für seinen Wirt vorteilhaften – Metaboliten reduziert und gleichzeitig seinen eigenen Verbrauch von Nährstoffen erhöht“, sagt Christoph Kaleta und fährt fort: „Diese verminderte Kapazität der Mikrobiota in unserem Darm spielt eine zentrale Rolle für das Altern. Erkennbar wird das beispielsweise bei der Zellproliferation und Reparatur von DNA-Schäden.“ Den Teilnehmern der Online-Konferenz wird er aufzeigen, was diese Veränderung des Mikrobioms im Detail bedeutet, aber auch, wie die Medizin es nutzen kann, um dem Altern entgegenzuwirken.

Mit der medizinischen Systembiologie Krankheiten entschlüsseln

Am Institut für Experimentelle Medizin der Universität Kiel gehen Christoph Kaleta und sein Team der Frage nach, wie unser biologisches System als Ganzes funktioniert, welche Mechanismen Krankheiten auslösen und wie das Mikrobiom mit dem Wirt interagiert. In der sogenannten Systembiologie, einer zukunftsweisenden Forschungsdisziplin, werden integrative Analysen großer Datenmengen, Modellierungen und Nasslaborexperimente vollzogen, um schlussendlich besser zu verstehen, wie biologische Prozesse ablaufen und Krankheiten entstehen. Dadurch werden einerseits Risikofaktoren identifiziert und Forscher können andererseits wesentlich besser verstehen, wie es Krankheitserregern gelingt, sich im Körper zu verbreiten. Zudem wird erkannt, wie sich diese Erreger während einer Infektion an die sich schnell verändernden Bedingungen anpassen.

Das Mikrobiom als Ansatzpunkt für Therapien gegen das Altern

Für Christoph Kaleta steht fest, dass therapeutische Interventionen, die auf das Mikrobiom ausgerichtet sind, das Altern aktiv verlangsamen können. Hierfür haben er und sein Team bereits erste Experimente mit einigen Medikamenten durchgeführt. „Beispielsweise spielt es eine wesentliche Rolle im Wirkungsmechanismus des Typ-2-Diabetes-Medikaments Metformin. Dieses ist in der Lage, die Lebensspanne in einer Vielzahl von Organismen und möglicherweise auch im Menschen zu verlängern“, so der Forscher. Experimente mit Fadenwürmern und Studien mit hochbetagten Patienten haben gezeigt, dass nach der Einnahme des Medikamentes das Mikrobiom aktiver ist.

Erfolgsversprechen Therapien: Erhöhte Kapazitäten des Mikrobioms nutzen

Die Experimente mit Metformin sind nur ein erster Nachweis dafür, dass die Erforschung biologischer Mechanismen Alterserscheinungen verbessern oder gar reduzieren kann. „Das Mikrobiom, besonders im Darm, wird zunehmend als Modulator für die Gesundheit seines Wirts anerkannt, vor allem im Kontext des Alterns“, so Christoph Kaleta. In seiner Keynote will er noch detaillierter aufzeigen, wie erfolgsversprechend Therapien sind, die direkt die Mikrobiota ansprechen. „Wenn wir die mikrobiellen Gemeinschaften im menschlichen Körper verstehen, können wir auch die Pathomechanismen menschlicher Krankheiten besser verstehen – und das Mikrobiom nutzen, um sie zu behandeln.“ Die Erkenntnisse aus der Systembiologie können auch die Therapie von Alterserscheinungen entscheidend verändern.

Zur Person:

Prof. Dr. Christoph Kaleta ist Leiter der Arbeitsgruppe „Medizinische Systembiologie“ am Institut für Experimentelle Medizin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Schwerpunkte der Forschung der Arbeitsgruppe „Medizinische Systembiologie“ sind die Aufklärung gemeinsamer Mechanismen, die menschlichen Krankheiten – besonders im Alter – zugrunde liegen sowie die Entwicklung von Modellierungsansätzen, die es ermöglichen, metabolische Interaktionen innerhalb mikrobieller Gemeinschaften sowie mit dem Wirt zu untersuchen. Unter der Leitung von Christoph Kaleta hat die Arbeitsgruppe zahlreiche Publikationen zur Funktion und dem Einfluss von Mikrobiomen bei zahlreichen Krankheiten veröffentlicht. Kaleta ist zudem Mitglied des Exzellenzclusters „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen/Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) und des Sonderforschungsbereichs „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Termin:

Prof. Dr. Christoph Kaleta
Keynote Lecture: Elucidating the contribution of the gut microbiome to aging
Geriatrisch-gerontologische Online-Konferenz
Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) mit Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG)
Donnerstag, 3. September 2020
15:45 bis 16:25 Uhr

Der diesjährige World Health Summit findet auch Online statt

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Virologe Christian Drosten, WHO-Generaldirektor Dr. Tedros beim World Health Summit 2020

COVID-19 und weltweite Pandemie-Bekämpfung im Mittelpunkt
 
(Berlin, 27.8.2020)
Aktuelle Erkenntnisse zu COVID-19, neue globale Strategien für Pandemie-Bekämpfung und Prävention, die Rolle Europas und der WHO in der globalen Gesundheit sind in diesem Jahr die großen Themen des World Health Summit vom 25. – 27. Oktober in Berlin.
 
„Um Gesundheitsbedrohungen dieser Art zu bekämpfen brauchen wir bessere Bildungsstrukturen“, so Prof. Dr. Detlev Ganten, Präsident und Gründer des World Health Summit.
 
Zu den rund 300 Sprechern gehören:
• Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU Kommission
• Jens Spahn, Gesundheitsminister, Deutschland
• Marta Temido, Gesundheitsministerin, Portugal
• Tomaž Gantar, Gesundheitsminister Slowenien
• Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor, Weltgesundheitsorganisation WHO
• Michelle Bachelet, Hohe Kommissarin für Menschenrechte, UNO
• Christian Drosten, Leiter, Institut für Virologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
• Lothar H. Wieler, Präsident, Robert Koch Institut
• Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender, Charité – Universitätsmedizin Berlin
• Winnie Byanyima, Direktorin, UNAIDS
• Victor Dzau, Präsident, National Academy of Medicine, USA
• Jeremy Farrar, Direktor, Wellcome Trust
• Henrietta H. Fore, Exekutivdirektorin, UNICEF
• George F. Gao, Direktor, Chinese Center for Disease Control and Prevention
• Paul Hudson, CEO, Sanofi
• John Nkengasong, Direktor, Africa Centres for Disease Control and Prevention
• Michael Ryan, Nothilfedirektor, Weltgesundheitsorganisation WHO
 
Wegen COVID-19 ist der World Health Summit 2020 eine Mischung aus Digital- und Vor-Ort-Konferenz: Alle insgesamt 50 Keynotes, Panel Diskussionen und Workshops sind online verfügbar. Vor Ort sind die Teilnehmerzahlen wegen COVID-19 beschränkt, es gelten die Hygiene- und Abstandsregeln.
 
Die Teilnahme am digitalen World Health Summit ist kostenfrei, jede Session ist ohne Anmeldung über einen Link im Programm abrufbar. https://www.conference.worldhealthsummit.org/Program/WHS2020
Dort finden sich auch Details zu den einzelnen Sessions, Themen und Sprechern.
 
Der World Health Summit ist eine der weltweit wichtigsten strategischen Konferenzen für Global Health und bringt international führende Wissenschaftler, Politiker sowie Vertreter aus Industrie und Zivilgesellschaft zusammen. Das Forum wurde 2009 zum 300-jährigen Jubiläum der Charité gegründet und steht unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen und Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO.
 
World Health Summit
25.-27. Oktober 2020 in Berlin und Online

Arzt-Patienten-Kommunikation: „Placebo-Effekte können den Verlauf von Krankheiten verbessern“

Messbare Effekte: Das Immunsystem wird beeinflusst, Schmerzen verbessert

Trotz des medizinischen Fortschritts bei der Diagnose und Behandlung von Krankheiten spielt eines oft nur eine untergeordnete Rolle: die Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Doch was ist mit den Bedürfnissen, Ängsten und Zweifeln der Patienten? Erst in den vergangenen Jahren wurde mit der systematischen Untersuchung des Phänomens „Placebo“ ein Paradigmenwechsel angestoßen. Denn die positiven Effekte der Arzt-Patienten-Kommunikation sind tatsächlich biologisch messbar. Über eben diesen Placeboeffekt und auch seinen Gegenspieler, den Noceboeffekt, seine Wirkung und aktuelle Erkenntnisse spricht Professor Manfred Schedlowski (Foto), Direktor des Institutes für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie am Universitätsklinikum Essen, in seiner Keynote bei der geriatrisch-gerontologischen Online-Konferenz. Diese findet vom 3. bis 5. September statt und wird von der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) mit Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG) organisiert.

Die Medizin hat in den vergangenen Jahrzehnten eine enorme Entwicklung vollzogen: Verfeinerte technische Untersuchungsmethoden erlauben faszinierende Einblicke in die Funktion unserer Organe und des Gehirns, zielgerichtete Medikamente können exakt in Krankheitsprozesse eingreifen und Operationsroboter steigern die Präzision von Chirurgen. Doch in Zeiten der „High-Tech-Medizin“ wird der Kommunikation zwischen Arzt und Patient oft noch zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht – auch nicht in der Wissenschaft. Forschungsansätze, die Vertrauen und Hoffnung der Patienten oder die Wirkung von Mitgefühl in den Mittelpunkt stellen, werden oft als „Wissenschaft light“ abgetan.

Messbare Effekte: Das Immunsystem wird beeinflusst, Schmerzen verbessert

„Placeboeffekte sind äußerst vielfältig und unterscheiden sich, je nach Organ und Patient. Eine Zuckertablette, die Kopfschmerzen vertreibt, eine Infusion mit Kochsalzlösung, die bei Parkinson hilft oder eine vorgetäuschte Akupunktur, die Reizdarmsymptome lindert, sind nur einige erfolgreiche Beispiele“, sagt Manfred Schedlowski. Placeboeffekte können sich auf körperliche und psychische Symptome auswirken und damit den Verlauf von Erkrankungen verbessern. Sie können das Immunsystem und den Blutdruck beeinflussen oder den Erfolg von Operationen und medikamentösen Behandlungen verändern. Der Körper reagiert positiv auf eine Behandlung, obwohl er das eigentlich gar nicht dürfte – weil beispielsweise die Tablette oder Infusion keinen Wirkstoff enthält oder die Akupunkturnadel gar nicht in die Haut eindringt. Doch wie kann ein Scheinmedikament oder eine Scheinbehandlung überhaupt eine Wirkung zeigen?

Der Glaube an Heilung: Das neuropsychologische Phänomen des Placeboeffekts

Placeboeffekte werden auf neuropsychologische Phänomene zurückgeführt, die Selbstheilungskräfte aktivieren. Immer mehr Details dieser Wirkmechanismen werden wissenschaftlich erforscht. Dabei spielen die Erwartungen der Patienten eine zentrale Rolle. Vertrauen sie darauf, dass die Therapie wirkt, oder haben sie eher Zweifel? Haben sie früher gute oder eher negative Erfahrungen mit medizinischen Behandlungen oder Behandlern gemacht? Schöpfen sie nach dem Gespräch mit dem Arzt Hoffnung oder löst die Lektüre des Beipackzettels eher Ängste aus? Erfahrungen führen zu Lernprozessen, die bewusst oder unbewusst ablaufen und große Wirkungen entfalten können: positive Placeboeffekte, aber auch negative „Noceboeffekte“. Je nachdem können sie die Heilung fördern – oder auch verhindern.

Der Placeboeffekt beeinflusst jede medizinische Behandlung

Eine Wirkung erzielt also nicht das Placebo selbst, sondern die an eine Behandlung geknüpfte Erwartung der Patienten. Placeboeffekte beeinflussen demnach jede Art von medizinischer Behandlung, sei es die Wirksamkeit und Verträglichkeit von gut erforschten und bewährten Medikamenten, der Ausgang einer Operation oder Gesprächstherapie – oder eben die Wirkung einer Zuckertablette. Echte Placebobehandlungen, beispielsweise zum Test der Wirksamkeit eines Medikaments, sollten jedoch weiterhin nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen, wie beispielsweise in klinischen Studien stattfinden.
In seiner Konferenz-Keynote fasst Professor Manfred Schedlowski seine Forschungsergebnisse zur Thematik zusammen und gibt einen spannenden Überblick über die neuen und aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Phänomen Placebo- und Noceboeffekt. Da gerade ältere Patienten häufig Noceboeffekten in der Kommunikation ausgesetzt sind, ist dieses Thema besonders für Geriater interessant und relevant.

Zur Person

Professor Manfred Schedlowski ist Direktor des Institutes für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie am Universitätsklinikum Essen

Professor Manfred Schedlowski ist Direktor des Institutes für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie am Universitätsklinikum Essen. Im Lauf seiner Karriere absolvierte er Forschungsaufenthalte an der University of Newcastle und der La Trobe University in Melbourne, Australien sowie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf der Analyse der funktionellen Verbindungen zwischen dem Nervensystem, dem Hormonsystem und dem Immunsystem. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich Professor Schedlowski mit seiner Arbeitsgruppe im Rahmen der Placeboantwort mit dem Phänomen der Klassischen Konditionierung von Immunfunktionen und analysiert die neurobiologischen und biochemischen Mechanismen sowie die klinische Bedeutung der Placebo- und Noceboantwort.

Blutdruckmessgeräte und Blutdruckmittel

Gute Geräte gibt es schon ab knapp 25 Euro*

Nicht alle Produkte für die Selbstmessung bei Bluthochdruck sind zu empfehlen. Gute Blutdruckmessgeräte gibt es aber schon ab knapp 25 Euro. Zu diesem Ergebnis kommt die Stiftung Warentest in ihrer aktuellen Untersuchung für die September- Ausgabe der Zeitschrift test. Von 17 geprüften Geräten sind sieben gut, darunter sechs für den Oberarm, aber nur eins fürs Handgelenk.

Oberarmgeräte sind insgesamt genauer als die Produkte fürs Handgelenk. Das hängt mit ihrer breiteren Manschette zusammen. Durch sie lassen sich die für die Messung nötigen Werte besser erfassen. Außerdem messen die Geräte bei richtiger Anwendung automatisch auf Herzhöhe. Handgelenkgeräte müssen Nutzer aktiv in diese Position bringen, also den Arm korrekt anwinkeln, sonst drohen Messfehler.

Zwei Handgelenkgeräte, darunter das einzige gute, lassen sich mit dem Smartphone koppeln. Die zugehörige App führt ein Blutdrucktagebuch mit Kurvenverläufen und ist laut der Prüfung der Tester beim Umgang mit Daten unbedenklich.

Bluthochdruck kann schwere Krankheiten verursachen bis hin zu Herzinfarkt und Schlaganfall. Viele Betroffene brauchen deshalb Medikamente wie ACE-Hemmer, Sartane oder Betablocker. Mit ihrer aktuellen Untersuchung von Blutdruckmitteln gibt die Stiftung Warentest einen Überblick, welche Wirkstoffe und Präparate für wen in Frage kommen. Auch Aspekte des Lebensstils wie Bewegung, gesunde Ernährung und ein Rauchstopp können den Blutdruck senken.

Die beiden Tests Blutdruckmessgerate und Blutdruckmittel finden sich in der September-Ausgabe der Zeitschrift test und sind online unter www.test.de/blutdruckmessgeraete und www.test.de/bluthochdruckmittel abrufbar.

* Preisangabe korrigiert am 26.08.2020

Unterschätztes Risiko Bahnfahren?

Die Züge der Bahn verfügen über keine Virenfilter

Immer vollere Züge, immer weniger Abstand zwischen Bahn-Reisenden. Zugbegleiter und Experten warnen im ARD-Magazin MONITOR vor einem steigenden Infektionsrisiko mit SARS-CoV-2.

„Alle sind in Deutschland unterwegs, alle sind hier unterwegs mit der Deutschen Bahn zu ihren Reisezielen. Also, die Züge werden immer voller“, beschreibt Christian Deckert die aktuelle Lage. Er ist Zugbegleiter, Mitglied im Bezirksvorstand NRW der Lokführergewerkschaft GdL und sorgt sich um die Gesundheit seiner Kollegen und Kolleginnen und die der Reisenden.

Die Sorgen sind nicht unberechtigt. Eine neue Studie aus China zeigt: Je weniger Abstand zwischen Bahnreisenden ist und je länger die Reise dauert, umso höher ist auch das Risiko sich mit dem Corona-Virus zu infizieren. Es sei „eine bemerkenswerte Studie“, sagt Professor Gerard Krause, Epidemiologe vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, vor allem weil sie einen wichtigen Zusammenhang belege: „Je größer der Abstand, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand anderes infiziert.“ Die Bahn sieht die Studie als Bestätigung für die Maskenpflicht in den Zügen. Allerdings halten sich viele Reisende nicht daran. „Wenn man durch jeden Wagen geht, bei jedem Gang, den man da durchgeht“ komme das „mindestens fünf Mal auf jeden Fall“ vor, sagt Zugbegleiter Deckert. Eine Handhabe gegen die Reisenden haben die Bahnmitarbeiter nicht. Sie können die Maskenverweigerer nicht des Zuges verweisen. Dies dürfte nur die Bundespolizei, die aber nicht über das ausreichende Personal verfügt, um die Maskenpflicht in den Zügen auch durchzusetzen.

Und dann gibt es da noch ein Problem: Die Klimaanlagen. Nach Aussage der Bahn drohe hier keine Gefahr, da die „Schienenfahrzeuge eine hohe Luftwechselrate aufweisen“ würden und „sehr viel Frischluft zugeführt“ werde. Eine Übertragung von Viren durch die Klimaanlagen halte man für „äußerst unwahrscheinlich“.

Anders als in Flugzeugen verfügen die Züge der Bahn allerdings über keine Virenfilter. Inwieweit dadurch ein erhöhtes Infektionsrisiko auch über Aerosole besteht, will die Bahn erst noch erforschen, obwohl sich das Problem wohl schon im Winter verschärfen dürfte. Denn je mehr die Luft in den Zügen erhitzt werden muss, umso höher ist der so genannte Umluft-Anteil und umso weniger Frischluft wird zugeführt. Genau darauf komme es aber an, sagen Experten, wie Markus Hecht, Leiter des Fachgebiets Schienenfahrzeuge an der TU Berlin: „Man sollte den Umluftanteil so klein wie möglich halten. Es wird nur gerade im Winter nicht ohne gehen, weil sonst die Temperaturen zu sehr absinken. Und deshalb müssen wir die Zeit bis zum Winter nutzen, um da die Anlagen noch zu verbessern.“

Außerdem sei die mangelnde Zuverlässigkeit der Klimaanlagen „ein riesiges Problem“, sagt Hecht gegenüber MONITOR. „Ich würde ganz dringend empfehlen, wenn eine Anlage ausfällt, diesen Wagen zu räumen, den Zug zu räumen.”

Trotz all dieser Probleme, trotz noch unerforschter Risiken: Die Bahn setzt auch in Corona-Zeiten weiter auf stärkere Auslastung. „Während der Reise unterstützt zudem das Bordservicepersonal die Kunden dabei, sich innerhalb der Züge bestmöglich zu verteilen“, heißt es. Gewerkschaftsvertreter halten das für unverantwortlich. Claus Weselsky, Vorsitzender der Lokführergewerkschaft GdL, fordert eine allgemeine Reservierungspflicht, um überfüllte Züge zu vermeiden und Abstandsgebote einhalten zu können.

„Mit einer Reservierungspflicht könnten wir zumindest mal sicherstellen, dass nie mehr als hundert Prozent der Sitzplätze tatsächlich vergeben sind. Man sollte nicht davon träumen, von überfüllten Zügen die Fahrgeldeinnahmen zu haben und dabei unsere Kolleginnen und Kollegen einem höherem Risiko auszusetzen.“

Vorbilder dafür gäbe es. In Italien darf niemand ohne eine Reservierung einen Fernzug besteigen. Dort bleiben auch viele Sitze frei. Aber die Deutsche Bahn lehnt einen solchen Vorschlag ab. Man wolle an dem „offenen System, das Bahnkunden in Deutschland sehr schätzen“, festhalten. Stand: 20.08.2020, 06.00 Uhr

Die ZDF-Sendung Markus Lanz am 19.08.2020

Der Physiker Prof. Christian Kähler erklärt sehr anschaulich in der Sendung von Markus Lanz am 19.08.2020, weshalb es wichtig ist, dass die Klimaanlagen funktionieren und Virenfilter haben. Von der Bahn kennen wir allerdings, dass besonders an den heißen Tagen die Klimaanlagen oft nicht funktionieren. Die Maskenverweigerer sind leider überall unterwegs, wenn keine Konsequenzen drohen, dann macht man es ihnen auch recht einfach.

Prof. Christian Kähler, Physiker
Er spricht über die Erzeugung und Verdunstung von Aerosolen, die maßgeblich zur Übertragung von Viren beitragen. Und er äußert sich zur Wirksamkeit von Masken und Raumluftfiltern.

Sven Plöger, Meteorologe
Der Sommer ist geprägt von Temperaturrekorden und Trockenheit. Plöger erklärt die Ursachen des Klimawandels, und er erläutert, wie sich das Wettergeschehen zukünftig entwickeln wird.

Dr. Jördis Frommhold, Pneumologin
Die Chefärztin einer Rehaklinik in Heiligendamm berichtet über die Behandlung von COVID-19-Patienten und über die vielfältigen Spätfolgen von Corona-Infektionen.
Stephan Weil, Politiker
Der Ministerpräsident Niedersachsens und SPD-Politiker äußert sich zur Entwicklung des Corona-Infektionsgeschehens, den Umgang mit Urlaubsrückkehrern und zu seiner Strategie in der Krise.

https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-19-august-2020-100.html#xtor=CS5-95

Langzeitrisiken von Implantaten

Metalle aus Endoprothesen können sich im Knochen ablagern

Synchrotron-Röntgenfluoreszenzanalysen
von humanen Knochen- und Knochenmark-Biopsien 

Berlin, 11.08.2020 Eine Forschungsgruppe der Charité – Universitätsmedizin Berlin konnte mithilfe hochkomplexer Analysemethoden detailliert nachverfolgen, wie verschiedene Metalle aus Endoprothesen freigesetzt werden und sich im umliegenden Knochengewebe anreichern. Auch unabhängig von mechanischer Belastung kann es – anders als bisher angenommen – aus verschiedenen Prothesenteilen zu einer ständigen Freisetzung von Metallen kommen. Die im Fachmagazin Advanced Science veröffentlichen Erkenntnisse sollen helfen, die Materialien von Implantaten zu optimieren und ihre Sicherheit zu erhöhen.

Bevor man sich eine Prothese einsetzen lässt, sollte man überprüfen, ob es Alternativen zur OP gibt. Zum Beispiel die Biokinematik.

Der Arzt Claus Becker aus Badenweiler praktiziert die Biokinematik seit vielen Jahren. In Bad Krozingen gibt es die Klinik für Biokinematik.

Moderne Endoprothesen sollen Patienten mit chronisch degenerativen Gelenkerkrankungen eine schmerzfreie Beweglichkeit ermöglichen und so ihre Lebensqualität deutlich verbessern. Für solchen künstlichen Gelenkersatz werden Materialien mit verschiedenen Metallverbindungen verwendet, um eine mechanische Stabilität des Implantats möglichst lange zu gewährleisten. Entscheidend für den langfristigen Erfolg einer Endoprothese ist jedoch eine stabile Integration in das umliegende Knochengewebe. Frühere Arbeiten zur Implantatstabilität belegten, dass es an den Reibungsflächen, so genannte Gleitpaarungen, zu einem Abrieb von Metallen kommen kann. Diese Metallrückstände können zu einer Rückbildung des umliegenden Knochens, der sogenannten Osteolyse, und somit zu einer frühzeitigen Lockerung der Implantate führen. Allerdings wurde eine mögliche ständige Freisetzung von Metallen aus anderen Teilen der Prothese bisher außer Acht gelassen.

Die Forschungsgruppe um Dr. Sven Geißler am Julius-Wolff-Institut für Biomechanik und Muskuloskeletale Regeneration der Charité hat nun die räumliche Verteilung und lokale Toxikokinetik von freigesetzten metallischen Verschleiß- und Korrosionsprodukten im umliegenden Knochengewebe unter Verwendung eines einzigartigen Synchrotron-basierten Röntgenfluoreszenz-Bildgebungssystems detailliert untersucht. „Mit unserer Arbeit zeigen wir zum ersten Mal, dass sowohl partikuläre als auch gelöste Metalle, die aus Endoprothesen stammen, im umliegenden Knochen und im Knochenmark in überphysiologischen Konzentrationen vorhanden sind“, sagt Dr. Geißler. „Die kollagenhaltige Schicht, die nach der Operation das Implantat verkapselt, isoliert dieses somit nicht in dem Ausmaß vom menschlichen Gewebe wie bisher angenommen.“

Die Forschenden untersuchten hierfür winzige Knochenproben von 14 Patienten, bei denen ein Hüft- oder Kniegelenk ersetzt werden musste. Sie nutzten hierfür die Röntgenfluoreszenzanalyse, um die elementare Zusammensetzung der Proben qualitativ und quantitativ zu bestimmen. Diese Technik gestattet einzigartige Einblicke hinsichtlich Konzentration, Verteilung, Lokalisierung und Anreicherung von metallischen Abbauprodukten wie Kobalt, Chrom oder Titan im angrenzenden Knochen und im Knochenmark. Die notwendige sehr reine und fokussierte Röntgenstrahlung hoher Intensität wurde durch die Synchrotronstrahlungsquelle des Teilchenbeschleunigers der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) im französischen Grenoble erreicht und erlaubt eine weltweit einmalige Ortsauflösung von bis zu 30 Nanometer. „Im Rahmen unserer Arbeit bringen wir also eine klinisch hochrelevante Fragestellung und einen hochkomplexen experimentellen Aufbau zusammen“, erklärt Dr. Janosch Schoon, Erstautor der Studie.

„Unsere Studie leistet einen wesentlichen Betrag zur Verbesserung der Risiko-Nutzen-Bewertung von Medizinprodukten und zeigt, dass diese nicht nur Biokompatibilitätstests von Ausgangsmaterialien, sondern auch von deren späteren Verschleiß- und Korrosionsprodukten umfassen sollte. Auf diese Weise tragen die aktuellen Daten entscheidend dazu bei, die Implantatsicherheit auf dem höchstmöglichen Niveau zu halten“, resümiert Dr. Geißler. Basierend auf den Erkenntnissen sollen in nachfolgenden Untersuchungen die biologischen Konsequenzen der Metallfreisetzung im Knochen und Knochenmark erforscht werden. Zugleich werden neue Ansätze entwickelt, die eine zuverlässige präklinische Testung von Implantatmaterialien in humanen Zellen und im Labor gezüchteten Geweben erlauben. 

*Schoon J et al. Metal-specific biomaterial accumulation in human peri-implant bone and bone marrow. Adv Sci (2020), DOI: 10.1002/advs.202000412 

Originalpublikation
Julius Wolff Institut für Biomechanik und Muskuloskeletale Regeneration

Fortschritte in Diagnostik und Therapie: Geriatrisches Assessment entwickelt sich weiter

Neue Verfahren in Diagnostik und Therapie

Das Foto zeigt Prof. med. Andreas Stuck
Keynote-Lecture: „Geriatrisches Assessment 2020“
Prof. med. Andreas Stuck
Foto: Inselspital Bern

Das geriatrische Assessment von 2020 ist nicht mehr das geriatrische Assessment von einst. Technologische Innovationen, die Einführung schweregradabhängiger Fallpauschalen, Fortschritte in Diagnostik und Therapie, das neue Konzept des Frailty-Syndroms: All dies hat dazu geführt, dass sich das geriatrische Assessment grundlegend verändert hat. Professor Andreas Stuck hat in den 1990-er Jahren eine viel beachtete Metaanalyse zur Wirksamkeit des geriatrischen Assessments publiziert, und in den vergangenen Jahren in Praxis, Lehre und Forschung neue Formen des geriatrischen Assessments evaluiert. In seiner Keynote „Geriatrisches Assessment 2020“ im Rahmen der geriatrisch-gerontologischen Online-Konferenz vom 3. bis 5. September wird Stuck das Heute und Morgen zu diesem Themenschwerpunkt beleuchten.

Es geht unter anderem um technologische Innovationen: Herkömmliche geriatrische Assessmentverfahren basieren auf klinischer Beobachtung und manueller Auswertung. So setzen zum Beispiel Assessmentverfahren zur Erfassung der Mobilität wie der Tinetti-Test oder der „Timed Get Up and Go“-Test die heutigen technologischen Möglichkeiten nicht ein. „Dabei würden es Sensoren ermöglichen, Bewegungsabläufe qualitativ und quantitativ abzubilden“, sagt Andreas Stuck. Auch andere Assessmentverfahren wie der Flüsterzahlentest stammen aus dem letzten Jahrhundert, obschon es auch hier Alternativen geben würde. Es stellt sich also die Frage, ob die herkömmlichen Verfahren ausgedient haben.

Neue Verfahren in Diagnostik und Therapie

Exemplarisch sind die Vorgaben, welche für die Dokumentation der geriatrisch frührehabilitativen Komplexbehandlung gelten. Diese geben vor, in welchem Zeitraum welche Elemente des geriatrischen Assessments dokumentiert sein müssen. Hat dies das geriatrische Assessment verändert? Und vor allem: Führt dies zu einer besseren geriatrischen Versorgung älterer Patientinnen und Patienten? In den vergangenen 20 Jahren haben sich die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten verändert. So ist die Sarkopenie kürzlich als Diagnose in die ICD-Klassifikation aufgenommen worden, und es gibt heute wirksame Interventionen für betroffene Patienten. Bei anderen Diagnosen, wie Delir oder Gangunsicherheit, haben sich die diagnostischen und therapeutischen Verfahren in den vergangenen Jahren ebenfalls wesentlich verbessert. Deshalb wird in der Keynote auch die kritische Frage gestellt: Sind die herkömmlichen geriatrischen Assessmentverfahren noch geeignet für die Aufdeckung dieser Krankheiten?

Das Frailty-Syndrom

Im Jahr 2001 hat die Geriaterin und Epidemiologin Linda Fried erstmals den „Frailty-Phänotyp“ beschrieben, primär als Grundlage für die Erforschung pathopyhsiologischer Abläufe im Alter. Unterdessen hat „Frailty“ auch Einzug in die Klinik gehalten. So wird die „Frailty“ heute zum Teil als Kriterium für medizinische Entscheidungen eingesetzt. Das herkömmliche geriatrische Assessment enthält jedoch keine „Frailty“-Dimension. Muss also das multidimensionale Assessment um eine Dimension ergänzt werden?

Das geriatrische Assessment von morgen

Auch ausserhalb der Geriatrie hat das geriatrische Assessment in den vergangenen Jahren zunehmend Beachtung gefunden. In der Kardiologie und der Traumatologie, und unterdessen in vielen anderen Disziplinen wurde der Mehrwert dieser geriatrischen Abklärungsmethode erkannt. Das geriatrische Assessment ist darum heute nicht mehr ausschliesslich eine Spezialabklärung bei ausgewählten Patientinnen und Patienten in der Geriatrie, sondern Teil der Basisabklärung anderer Disziplinen. Hier ist noch Entwicklungsarbeit notwendig, denn ein geriatrisches Assessment für die Anwendung in nichtgeriatrischen Settings muss in kurzer Zeit durchführbar und trotzdem ausreichend valide sein. 
Zeigt das geriatrische Assessment bei einem älteren Patienten oder einer älteren Patientin eine komplexe Problematik, dann wird auch in Zukunft die Geriatrie gefragt sein. Liegt doch die Kernkompetenz der Geriatrie in der Interpretation und der Synthese der geriatrischen Assessmentbefunde und der Umsetzung eines individuellen, interprofessionellen geriatrischen Managements.

Zur Person

Prof. med. Andreas Stuck ist Chefarzt und Klinikdirektor der Geriatrischen Universitätsklinik in Bern an den drei Standorten Inselspital, Spital Tiefenau und Spital Belp. Unter seiner Gesamtleitung führt die Klinik eine akutgeriatrische Bettenstation, eine stationäre Geriatrische Rehabilitation, ein Ambulatorium sowie eine Kooperation mit der Orthopädischen Universitätsklinik. In Lehre und Forschung sind seine Spezialgebiete das geriatrische Assessment in den verschiedenen Settings Akutspital, Rehabilitation, Alters- und Pflegeheim sowie in der Hausarztpraxis. Dazu hat er Lehrmittel entwickelt, Forschungsprojekte durchgeführt, und gilt national und international als einer der führenden Experten auf diesem Gebiet. Zudem ist Andreas Stuck amtierender Präsident der Schweizerischen Fachgesellschaft für Geriatrie (SFGG).

Termin:

Prof. med. Andreas Stuck
Keynote-Lecture: „Geriatrisches Assessment 2020“
Geriatrisch-gerontologische Online-Konferenz 
Donnerstag, 3. September 2020
16:30 bis 17:15 Uhr

COVID-19: Komplikationen und Erkrankungsverlauf in Kliniken besser verstehen

Systematischer Vergleich von 213 am Universitätsklinikum Freiburg behandelten COVID-19-Patient*innen vorab veröffentlicht

Am Universitätsklinikum Freiburg wurden zeitweise deutschlandweit die meisten COVID-19-Patient*innen behandelt. Zudem verfügt das Klinikum in der Behandlung von akutem Lungenversagen (ARDS) und in der Beatmung mit Lungenersatzmaschinen (ECMO) über hohe Expertise. Welche Risikofaktoren den Verlauf von COVID-19-Erkrankungen in einem Klinikum mit interdisziplinärer Patient*innenversorgung bestimmen, haben Expert*innen des Universitätsklinikums Freiburg in Kooperation mit dem Institut für Medizinische Biometrie und Statistik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg in einer Studie systematisch untersucht und auf dem Preprint-Server medRxiv vorab veröffentlicht.

„Die Angaben zur Sterblichkeit von COVID-19-Patient*innen, die so schwer erkrankt sind, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen, variieren bislang stark. Als Klinikum mit hohen Fallzahlen haben wir nun unsere Erfahrungen zusammengetragen“, sagt der Erstautor der Studie Prof. Dr. Siegbert Rieg, Oberarzt in der Abteilung Infektiologie der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Freiburg.

Therapieverlauf und Risikofaktoren

Vom 25. Februar bis zum 8. Mai 2020 wurden am Universitätsklinikum Freiburg insgesamt 213 COVID-19-Patient*innen behandelt. Im Schnitt waren die Betroffenen 65 Jahre alt, 61 Prozent waren männlich. Insgesamt wurden 70 der Betroffenen auf Intensivstation behandelt, 57 von ihnen mussten beatmet werden, 23 waren zeitweise an eine Lungenersatzmaschine angeschlossen. Mitte Juni waren 161 Betroffene entlassen und 51 verstorben. Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 90 Tagen zu versterben, lag bei insgesamt 24 Prozent und war stark vom Alter und Geschlecht der Patient*innen beeinflusst. Auf den Intensivstationen lag die Sterbewahrscheinlichkeit bei 47 Prozent, unter den künstlich Beatmeten bei 57 Prozent.

Zu den häufigsten Komplikationen bei den Intensivpatient*innen gehörten Mehrorganversagen, häufig mit dialysepflichtigem Nierenversagen, septischer Schock sowie Lungenembolien. „Solange es keine hochwirksamen Medikamente gegen COVID-19 gibt, ist es von größter Bedeutung, Strategien zur Vermeidung oder Abschwächung dieser lebensbedrohlichen Komplikationen zu erforschen“, sagt Letztautor Dr. Paul Biever, Intensivmediziner der Klinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum Freiburg.
Original-Titel der Studie: COVID-19 in-hospital mortality and mode of death in a dynamic and non-restricted tertiary care model in Germany

DOI: 10.1101/2020.07.22.20160127

Link zur Studie: https://medrxiv.org/cgi/content/short/2020.07.22.20160127v1

COVID-19: Komplikationen und Erkrankungsverlauf in Kliniken besser verstehen

Systematischer Vergleich von 213 am Universitätsklinikum Freiburg behandelten COVID-19-Patient*innen vorab veröffentlicht

Am Universitätsklinikum Freiburg wurden zeitweise deutschlandweit die meisten COVID-19-Patient*innen behandelt. Zudem verfügt das Klinikum in der Behandlung von akutem Lungenversagen (ARDS) und in der Beatmung mit Lungenersatzmaschinen (ECMO) über hohe Expertise. Welche Risikofaktoren den Verlauf von COVID-19-Erkrankungen in einem Klinikum mit interdisziplinärer Patient*innenversorgung bestimmen, haben Expert*innen des Universitätsklinikums Freiburg in Kooperation mit dem Institut für Medizinische Biometrie und Statistik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg in einer Studie systematisch untersucht und auf dem Preprint-Server medRxiv vorab veröffentlicht.

„Die Angaben zur Sterblichkeit von COVID-19-Patient*innen, die so schwer erkrankt sind, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen, variieren bislang stark. Als Klinikum mit hohen Fallzahlen haben wir nun unsere Erfahrungen zusammengetragen“, sagt der Erstautor der Studie Prof. Dr. Siegbert Rieg, Oberarzt in der Abteilung Infektiologie der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Freiburg.

Therapieverlauf und Risikofaktoren

Vom 25. Februar bis zum 8. Mai 2020 wurden am Universitätsklinikum Freiburg insgesamt 213 COVID-19-Patient*innen behandelt. Im Schnitt waren die Betroffenen 65 Jahre alt, 61 Prozent waren männlich. Insgesamt wurden 70 der Betroffenen auf Intensivstation behandelt, 57 von ihnen mussten beatmet werden, 23 waren zeitweise an eine Lungenersatzmaschine angeschlossen. Mitte Juni waren 161 Betroffene entlassen und 51 verstorben. Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 90 Tagen zu versterben, lag bei insgesamt 24 Prozent und war stark vom Alter und Geschlecht der Patient*innen beeinflusst. Auf den Intensivstationen lag die Sterbewahrscheinlichkeit bei 47 Prozent, unter den künstlich Beatmeten bei 57 Prozent.

Zu den häufigsten Komplikationen bei den Intensivpatient*innen gehörten Mehrorganversagen, häufig mit dialysepflichtigem Nierenversagen, septischer Schock sowie Lungenembolien. „Solange es keine hochwirksamen Medikamente gegen COVID-19 gibt, ist es von größter Bedeutung, Strategien zur Vermeidung oder Abschwächung dieser lebensbedrohlichen Komplikationen zu erforschen“, sagt Letztautor Dr. Paul Biever, Intensivmediziner der Klinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum Freiburg.

Original-Titel der Studie: COVID-19 in-hospital mortality and mode of death in a dynamic and non-restricted tertiary care model in Germany
DOI: https://doi.org/10.1101/2020.07.22.20160127 
Link zur Studie: https://medrxiv.org/cgi/content/short/2020.07.22.20160127v1