Archiv für den Monat: Dezember 2015

Kunst und Wissenschaft treffen aufeinander

Das Projekt „Störung/Ha-fra-ah“ bringt Bewegung ins Labor und Erkenntnisse über Morbus Parkinson ins Theater

Das Wissenschafts- und Tanzprojekt "Störung/Ha-fra-ah" behandelt die Themen Bewegung und Bewegungsstörung. Foto: Levin Sottru

Das Wissenschafts- und Tanzprojekt „Störung/Ha-fra-ah“ behandelt die Themen Bewegung und Bewegungsstörung. Foto: Levin Sottru

Das Verständnis von Krankheit hinterfragen, verschiedene Formen der Forschung reflektieren: Das deutsch-israelische Projekt „Störung/Ha-fra-ah“ ließ Kunst und Wissenschaft aufeinander treffen. Entstanden sind Choreografien, Installationen, Workshops und ein Dokumentarfilm, aber auch neue Ansätze zur Messung und zum Verständnis der Wirkung von Tanz auf die Parkinson’sche Krankheit – eine Erkrankung der Bewegungssteuerung. Bei einem zweitägigen Kongress sind die Ergebnisse nun in Freiburg vorgestellt worden. Die Kulturstiftung des Bundes, das Deutsch-Israelische Zukunftsforum und die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördern das Projekt.

Seit dem 20. Februar 2015 trafen sich in Freiburg jede Woche junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Albert-Ludwigs-Universität, Tänzerinnen und Tänzer des Theaters Freiburg und an Morbus Parkinson erkrankte Menschen. Sie diskutierten, bearbeiteten gemeinsame Forschungsfragen zum Thema Bewegung und Bewegungsstörung und tanzten. Zeitgleich trafen sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Israel. Das Projekt des Exzellenzclusters BrainLinks-BrainTools der Albert-Ludwigs-Universität und des Theaters Freiburg verband auf diese Weise subjektive Erfahrungen mit objektiv-wissenschaftlichen Perspektiven auf die Krankheit – Morbus Parkinson ist ein Forschungsschwerpunkt am Exzellenzcluster.

Die Parkinson’sche Krankheit entsteht, wenn Zellen in bestimmten Hirnbereichen absterben. Charakteristische Symptome sind Rigor, also die zunehmende Steifheit der Bewegungen, und bei manchen Patientinnen und Patienten Tremor, ein Zittern. Menschen, die an der Parkinson’schen Krankheit leiden, berichten, dass Tanz ihre Symptome lindere. Diese Effekte sind aber für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schwer zu erfassen. Das Projekt wollte neue Denkanstöße zwischen Tänzern und Forschern schaffen.

Nachwuchswissenschaftler in Freiburg und Tel Aviv testeten die Wirkung von Tanz auf Parkinson, von Musik auf Empathie oder von Rhythmus auf Bewegung. Die Freiburger Forscher Johannes Erhardt und Dr. Juan Ordonez sowie die Künstlerin Mathilde Bonte entwickelten einen Sensor, der mit einem Beschleunigungsmesser das Symptom Tremor erfasst. Julie Philpott bereitete im Projekt ihre medizinische Doktorarbeit zum Effekt von Musik auf rhythmische Bewegungen in der funktionellen Magnetresonanztomografie vor. In Israel entwickelten zwei Teilnehmer einen neuen Messansatz für Parkinsonsymptome namens „Moveinteraction“. Die psychologischen Interviews und Messungen zeigten in ersten Ergebnissen, dass Patienten sich nach dem Besuch der Tanzstunden stärker sozial eingebunden und sicherer fühlten. Eine weitere Gruppe erfand ein Computerspiel und eine Tanzaufgabe, um zu testen, was im Gehirn passiert, wenn Menschen miteinander interagieren.

„Auch Künstlerinnen und Künstler forschen. Sie beschäftigen sich mit der subjektiven Erschließung der Erfahrungswelt“, erklärt Privatdozent Dr. Oliver Müller, Leiter des Projekts an der Universität und Nachwuchsgruppenleiter bei BrainLinks-BrainTools. Die zehn Freiburger Teilnehmenden aus Ingenieurswissenschaften, Medizin, Biologie und Psychologie lernten, wie Tänzer zum Beispiel Bewegungsabläufe in ihre Komponenten aufgliedern und Stück für Stück nachvollziehen. Umgekehrt bekamen die sechs Tänzer Einblicke in die Neurowissenschaften.

Wie frei ist der Wille wirklich?

Berliner Wissenschaftler prüfen Grundmuster von Entscheidungen

 

Proband im Hirnduell gegen den Computer, Copyright Charité, Carsten Bogler.

Proband im Hirnduell gegen den Computer, Copyright Charité, Carsten Bogler.

Unser Wille ist freier als bislang angenommen. In computergestützten Experimenten haben Hirnforscher der Charité – Universitätsmedizin Berlin Entscheidungsabläufe am Beispiel von Bewegungen untersucht. Die entscheidende Frage: Lassen sich Prozesse im Gehirn wieder stoppen, wenn sie einmal angestoßen sind? Die Forscher kommen zu dem Schluss: Ja, bis zu einem gewissen Punkt, dem „point of no return“. Die Ergebnisse der Studie sind im aktuellen Fachmagazin PNAS* veröffentlicht.

Hintergrund der neuen Untersuchungen: Spätestens seit den 1980er Jahren diskutieren Hirnforscher, Psychologen, Philosophen und Öffentlichkeit über die Bewusstheit und Vorbestimmtheit menschlicher Entscheidungen. Seinerzeit studierte der amerikanische Forscher Benjamin Libet Hirnprozesse von Probanden, während sie einfache freie Entscheidungen fällten. Er zeigte, dass das Gehirn Entscheidungen bereits unbewusst vorwegnahm. Noch bevor sich eine Person willentlich entschieden hatte, war ein sogenanntes „Bereitschaftspotenzial“ in ihren elektrischen Hirnwellen zu erkennen.

Wie aber kann es sein, dass das Gehirn vorab weiß, wie sich ein Proband entscheiden wird, obwohl es diesem selbst noch gar nicht bewusst ist? Die Existenz der vorbereitenden Hirnwellen galt bis dato oft als Beleg für den sogenannten „Determinismus“. Demnach ist der freie Wille eine Illusion – unsere Entscheidungen werden durch unbewusste Hirnmechanismen erzeugt und nicht durch unser „bewusstes Ich“ gesteuert. Die Forscher um Prof. Dr. John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience der Charité haben die Thematik gemeinsam mit Prof. Dr. Benjamin Blankertz und Matthias Schultze-Kraft von der Technischen Universität Berlin neu aufgerollt. Mit aktuellen Messtechniken sind sie der Frage nachgegangen, ob Menschen geplante Bewegungsabläufe stoppen können, nachdem das Bereitschaftspotential für eine Handlung ausgelöst worden ist.

„Unser Ziel war herauszufinden, ob mit dem Auftreten der frühen Hirnwellen eine Entscheidung automatisch und unkontrollierbar erfolgt, oder ob sich der Proband noch umentscheiden, also ein ‚Veto’ ausüben kann“, erklärt Prof. Haynes. Dazu haben die Wissenschaftler Probanden in ein „Hirnduell“ mit einem Computer geschickt und während des Spiels die Hirnwellen per Elektroenzephalographie abgeleitet. Ein speziell „trainierter“ Computer versuchte anhand der Hirnwellen vorherzusagen, wann sich ein Proband aufgrund von Anreizen bewegen würde und sollte den Probanden überlisten: Sobald die Hirnwellen Anzeichen dafür gaben, dass sich der Proband in Kürze bewegen würde, wurde das Spiel zugunsten des Computers manipuliert.

Wenn es Probanden möglich ist, aus der Falle der Vorhersagbarkeit ihrer eigenen Hirnprozesse zu entkommen, wäre dies ein Anzeichen dafür, dass sie über ihre Handlungen noch weit länger Kontrolle haben, als bisher angenommen. Genau das konnten die Forscher nun aufzeigen: „Die Probanden sind den frühen Hirnwellen nicht unkontrollierbar unterworfen. Sie waren dazu in der Lage, aktiv in den Ablauf der Entscheidung einzugreifen und eine Bewegung abzubrechen“, sagt Prof. Haynes. „Dies bedeutet, dass die Freiheit menschlicher Willensentscheidungen wesentlich weniger eingeschränkt ist, als bisher gedacht. Dennoch gibt es einen Punkt im zeitlichen Ablauf von Entscheidungsprozessen, ab dem eine Umkehr nicht mehr möglich ist, den ‚point of no return’.“ In weiteren Studien werden die Berliner Wissenschaftler komplexere Entscheidungsabläufe untersuchen.

*Matthias Schultze-Kraft, Daniel Birman, Marco Rusconi, Carsten Allefeld, Kai Görgen, Sven Dähne, Benjamin Blankertz and John-Dylan Haynes. Point of no return in vetoing self-initiated movements. Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA, Dec. 2015. doi/10.1073/pnas.1513569112.

 

Behandlungsmöglichkeit für herzkranke Patienten

Pressemitteilung

TAVI:  Behandlungsmöglichkeit für bisher nicht behandelbare herzkranke Patienten

Freiburger Kardiologen publizieren im New England Journal of Medicine

Seit 2007 können verengte Aortenklappen nicht nur herzchirurgisch, sondern auch minimal-invasiv per Herzkatheter behandelt werden. Auch chirurgisch nicht therapierbaren Patienten kann mit dem Herzkatheter geholfen werden. Wie die sogenannte TAVI-Technik deutschlandweit die Therapie der Aortenklappenstenose verändert hat, hat ein Forscherteam um Dr. Jochen Reinöhl, Oberarzt und Leiter des ISAH-Bereichs (Interventionen bei strukturellen und angeborenen Herzerkrankungen) der Klinik für Kardiologie und Angiologie I (Ärztlicher Direktor: Univ.-Prof. Dr. Christoph Bode) des Universitäts-Herzzentrums Freiburg ∙ Bad Krozingen untersucht. Ihre Ergebnisse: 1.) TAVI ermöglicht die Behandlung der Aortenklappenstenose bei Patienten, für die der chirurgische Aortenklappenersatz zu risikoreich ist. Bisher nicht behandelbare Patienten können nun behandelt werden. Dies hat die Versorgungssituation in Deutschland dramatisch verändert. 2.) Durch TAVI konnten bundesweit die Krankenhaussterblichkeit sowie relevante Komplikationen reduziert werden. Die detaillierten Ergebnisse werden am 17. Dezember 2015 im renommierten New England Journal of Medicine publiziert.

Eine verengte Aortenklappe staut das Blut in der linken Herzkammer und verhindert, dass genügend Blut in den Kreislauf gelangt. Seit den 1960er Jahren können verengte Aortenklappen herzchirurgisch nach Eröffnen des Brustkorbs und Anschluss an die Herz-Lungenmaschine durch künstliche Herzklappen ersetzt werden. 2007 wurde in Deutschland erstmals das minimal-invasive, kathetergestützte TAVI (transcatheter aortic valve implantation)-Verfahren durchgeführt. Das von Prof. Alain Cribier, französischer Kardiologe und Co-Autor der Freiburger Studie, mitentwickelte Verfahren kommt ohne belastende Operation am offenen Herzen und ohne Herz-Lungenmaschine aus. Grundprinzip der TAVI ist die Implantation einer biologischen Herzklappe per Herzkatheter. Dabei wird als Zugang zum Herzen meist eine großen Arterie des Körpers (beispielsweise die Beinarterie) verwendet.

Um die Auswirkungen von TAVI auf die Behandlung der Aortenklappenstenose zu ermitteln, werteten die Freiburger Kardiologen die Daten aller 88.573 Behandlungen verengter Aortenklappen (isolierter Aortenklappenersatz) in Deutschland zwischen 2007 und 2013 aus. Darunter waren 32.581 kathetergestützte Eingriffe und 55.992 Operationen. Es zeigte sich, dass die jährlichen TAVI-Zahlen stark anstiegen (von 144 Eingriffen 2007 auf 9.147 Eingriffe 2013), während die jährlichen chirurgischen Klappenoperationen leicht zurückgingen (von 8.622 auf 7.048 Operationen). Dies belegt, dass mit TAVI vor allem Patienten geholfen wird, die zuvor keiner Therapie zugeführt werden konnten. „Ein Grund hierfür war sicherlich, dass für viele diese sehr alten und sehr kranken Patienten eine Operation am offenen Herzen zu risikoreich gewesen wäre“, sagt Dr. Jochen Reinöhl.

Bei beiden Therapieformen ging die Anzahl an Todesfällen im Krankenhaus über die Jahre  zurück, ebenso die Häufigkeit von Komplikationen wie Schlaganfällen oder schwerwiegenden Blutungen sowie die Notwendigkeit einer zusätzlichen Herzschrittmacherimplantation. Den signifikanten Trend zu besseren Ergebnissen und Überlebensraten begründen die Forscher einerseits mit der stetigen Optimierung des TAVI-Verfahrens und andererseits damit, dass Hochrisikopatienten mittlerweile nicht mehr den Strapazen einer offenen Herzoperation ausgesetzt werden müssen. „Die Patienten, deren Herzklappen kathetergestützt eingesetzt wurden, waren durchschnittlich zehn Jahre älter und weniger belastbar als die offen operierten Patienten“, so Dr. Reinöhl. Doch auch jüngere Patienten profitieren von der neuen Technik: Bei ihnen werden vermehrt biologische Herzklappen aus tierischem Gewebe eingesetzt, bei denen gerinnungshemmende Substanzen wie Marcumar nicht dauerhaft notwendig sind. Die biologischen Herzklappen können bei Bedarf schonend per TAVI ersetzt werden, so dass das Risiko einer Re-Operation entfällt.

Das Forscherteam beleuchtete ergänzend auch die ökonomischen Aspekte des neuen Verfahrens. Seit der Einführung von TAVI ist die jährliche Gesamtzahl an Behandlungen stark angestiegen, wodurch im Gesundheitssystem Mehrkosten von rund 300 Millionen Euro entstanden sind. Demgegenüber stehen die deutliche Lebensverlängerung und Verbesserung der Lebensqualität und somit insgesamt die bessere Versorgungsqualität in Deutschland. Die Kosten für jede einzelne Behandlung lassen sich jedoch deutlich senken, wenn für den richtigen Patienten das richtige Verfahren gewählt wird: „Dadurch lassen sich Komplikationen vermeiden, die erhebliche Zusatzkosten mit sich bringen“, erläutert Erstautor Reinöhl. „Angesichts steigender Patientenzahlen ist es von essentieller Bedeutung, medizinisch und ökonomisch verantwortungsvoll mit den Therapiemöglichkeiten umzugehen“, appelliert er. „Wir stehen erst am Anfang“, kommentiert Prof. Dr. Christoph Bode, „TAVI wird in wenigen Jahren das Standardverfahren sein“.

Im Bereich ISAH (Interventionen bei strukturellen und angeborenen Herzfehlern) werden am Standort Freiburg des Universitäts-Herzzentrums Freiburg ∙ Bad Krozingen in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Kardiologen, Herz- und Gefäßchirurgen sowie Kinderkardiologen und Anästhesisten insbesondere Hochrisikopatienten mit angeborenen oder erworbenen Herzfehlern behandelt. Das ISAH-Team um Dr. Reinöhl konnte sich klinisch und wissenschaftlich in den letzten Jahren ein überregionales, über die Landesgrenzen hinausreichendes Renommee erarbeiten und das Zentrum zu einem der führenden TAVI-Zentren Deutschlands entwickeln.

Tanz Wissenschaft Parkinson

Abschlusskongress des deutsch-israelischen Projekts „Störung/Ha-fra-ah“ am Theater Freiburg am 18./19.12.2015

Am 18. und 19. Dezember 2015 präsentieren Forscherinnen und Forscher der Universität Freiburg, Tänzerinnen und Tänzer und an Morbus Parkinson erkrankte Menschen gemeinsam die Erkenntnisse des Projekts „Störung/Ha-fra-ah“ des Exzellenzclusters BrainLinks-BrainTools und des Theater Freiburg. In Performance-Parcours und Workshops stellen die Teilnehmenden ihre Arbeiten zum Thema Bewegung und Bewegungsstörungen vor. Ein Dokumentarfilm und wissenschaftliche Vorträge berichten über Schnittpunkte zwischen Neurowissenschaften und Tanz, und die Tänzerin Yasmeen Godder aus Tel Aviv/Israel führt einen Teil der Choreografie „Common Emotion“ auf. Seit dem 20. Februar 2015 trafen sich die Teilnehmenden jede Woche, um zu tanzen, zu diskutieren und gemeinsame Forschungsfragen zu bearbeiten.
  • Was: Kongress/Kulturveranstaltung
  • Wann: 18.12.2015, 10:00 Uhr bis 19.12.2015, 14:00 Uhr
  • Wo: Theater Freiburg, Bertoldstraße 46, 79098 Freiburg