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Alzheimer: entscheidender Durchbruch fehlt noch

Die Müllabfuhr im Gehirn ankurbeln
Können körpereigene Abwehrzellen für den Kampf gegen Alzheimer mobilisiert werden?

Berlin, Oktober .2015 Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben untersucht, inwieweit spezielle Zellen des Immunsystems, sogenannte Makrophagen oder Fresszellen, für die Entsorgung der alzheimertypischen Eiweißablagerungen im Gehirn genutzt werden können. Die Ergebnisse der Studie sind in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals The Journal of Experimental Medicine* veröffentlicht.

Mehr als 20 Prozent der über 85-jährigen Menschen weltweit leiden an einer Alzheimer-Demenz. Wichtiger Ansatzpunkt für die Erforschung der Krankheit sind die Beta-Amyloid-Plaques (Aβ-Plaques). Diese Eiweißfragmente lagern sich im Gehirn von Alzheimer-Patienten ab und stehen im Zentrum der Krankheitsentstehung. Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Frank Heppner, Direktor des Instituts für Neuropathologie an der Charité, konnte bereits in früheren Arbeiten zeigen, dass die Immunzellen des Gehirns, die Mikroglia, bei Alzheimer-Patienten nicht mehr richtig funktionieren und sozusagen erlahmen. Sie kommen ihrer Aufgabe des Abräumens fremder Substanzen, wie dem krankhaften Aβ-Eiweiß, nicht mehr nach.

In ihrer aktuellen Studie haben die Forscher nun untersucht, ob möglicherweise die „Schwesternzellen“ der Mikroglia, die Makrophagen, das sind Immunzellen des Blutes und innerer Organe, ins Gehirn geschleust werden könnten, damit sie dort die Aufgabe der funktionsuntüchtigen Mikroglia übernehmen. Dazu entwickelten die Forscher zunächst ein Mausmodell, in dem die Mikrogliazellen der an Alzheimer erkrankten Mäuse ausgeschaltet waren. Angesichts dieser Notsituation setzte das Gehirn eine Art Zuwanderungsprogramm in Kraft: Innerhalb kurzer Zeit wurde es von aus der Peripherie stammenden Makrophagen bevölkert, die aus dem Blutstrom eingewandert sind. Anschließend entwickelten sie sich zu Mikroglia-ähnlichen Zellen, die die Pathologie der Krankheit jedoch nicht veränderten; sie ignorierten die krankhaften Aβ-Eiweiße und lagerten sich nicht einmal an diese an. Zu einem identischen Ergebnis kommt auch die Studie einer Arbeitsgruppe der Universität Tübingen, die ebenfalls in der aktuellen Ausgabe des Journal of Experimental Medicine veröffentlicht ist.

„Um die neuen, aus der Peripherie stammenden Makrophagen für das Aβ-Eiweiß zu interessieren, haben wir den Alzheimer-Mäusen, deren Mikrogliazellen durch periphere Fresszellen ausgetauscht waren, eine Aβ-Impfung verabreicht“, erläutert Prof. Heppner. „Ein Verfahren, das derzeit auch in diversen klinischen Studien untersucht wird und Gegenstand intensiver Diskussionen ist“, fügt er hinzu. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Makrophagen auch unter dieser zusätzlichen Stimulation nicht effizienter als die hirneigenen Mikrogliazellen sind. „Offensichtlich bedarf es eines anderen oder weiteren Stimulus, damit residente Mikroglia oder deren aus der Peripherie stammende Schwesternzellen ihr eigentlich vorhandenes Potenzial abrufen können“, so Prof. Heppner. „Unsere Daten sind jedoch insofern relevant, da viele aktuelle Studien unabhängig voneinander zeigen, dass insbesondere der Mikroglia eine große Bedeutung bei der Entstehung und dem Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung zukommt. Deshalb ist, nicht zuletzt für die Entwicklung neuer Therapieansätze, eine detaillierte Aufklärung von Rolle und Funktion der Mikrogliazellen und Makrophagen bei der Alzheimer Erkrankung fundamental.“

In Folgestudien wollen die Wissenschaftler nun versuchen, diesen fehlenden Stimulus zu identifizieren, damit die Fresszellen ihrer eigentlichen Funktion wieder nachkommen können.

*Impact of peripheral myeloid cells on amyloid-ß pathology in Alzheimer’s disease–like mice. Stefan Prokop, Kelly R. Miller, Natalia Drost, Susann Handrick, Vidhu Mathur, Jian Luo, Anja Wegner, Tony Wyss-Coray and Frank L. Heppner. J. Exp. Med. 12. Oktober 2015. DOI: 10.1084/jem.20150479.

Macht Essen schlau?

Die Ernährung kann das Gedächtnis und die Konzentrationsfähigkeit wesentlich beeinflussen. Welchen Einfluss haben Kohlenhydrate, Vitamine, Eiweißbaustoffe und Fette auf die geistige Leistungsfähigkeit?

Eine ausgewogene Ernährung liefert die Zufuhr an lebenswichtigen Stoffen wie etwa Kalium, Kalzium, Vitaminen, Eisen, Jod, Selen und Kupfer für die optimale Gehirnfunktion. Foto: obx-medizindirekt

Eine ausgewogene Ernährung liefert die Zufuhr an lebenswichtigen Stoffen wie etwa Kalium, Kalzium, Vitaminen, Eisen, Jod, Selen und Kupfer für die optimale Gehirnfunktion. Foto: obx-medizindirekt

Regensburg (obx-medizindirekt) – Es klingt eigentlich paradox: Unzählige Menschen in unserem Land leiden an Nährstoffmangel, obwohl sie erhebliches Übergewicht mit sich herumschleppen. Sie ernähren sich falsch. Und das kann schwerwiegende Folgen haben: etwa für Herz und Kreislauf, Stoffwechsel und Gelenke, aber auch für die geistige Leistung und Konzentrationsfähigkeit. Falsche Ernährung kann nach neuesten Erkenntnissen sogar den Ausbruch einer Reihe von psychischen Erkrankungen und Altersdemenzen wie Alzheimer fördern. Umgekehrt lassen sich mit richtiger Ernährung die Symptome psychischer Erkrankungen deutlich verringern.

Die österreichische Psychotherapeutin Dr. Andrea Maierhofer sprach bereits vor Jahren in einem Beitrag für die Ärzte-Zeitung die Vermutung aus, dass „Mangel- oder Fehlernährung als wichtigste Ursache für den Ausbruch einer psychischen Erkrankung angesehen werden muss.“

Wegen der entscheidenden Rolle, die eine ausgewogene Ernährung für die Lernfähigkeit und geistige Gesundheit spielt, hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) zur Vermeidung von Leistungstiefs und Konzentrationsschwächen der Schulkinder konkrete Ernährungs-Empfehlungen gegeben: „Eine ideale Pausenverpflegung besteht zum Beispiel aus einem Vollkornbrot, dünn bestrichen mit Butter, Margarine oder Frischkäse und belegt mit magerem Schinken, fettarmer Wurst, Käse oder vegetarischem Brotaufstrich.“ Außerdem gehören frisches Obst und Gemüserohkost wie Erdbeeren, Äpfel, Kirschen, Tomaten, Gurken oder Radieschen dazu.

Gewarnt wird vor süßen Riegeln, Croissants und zuckerhaltigen Getränken. „Mit Vollkornprodukten wird ein konstanterer Blutzuckerwert erreicht. So wird das Gehirn gleichmäßiger und länger mit Glukose versorgt, aus der es die für seine Leistungen notwendige Energie gewinnen kann“, heißt es in der DGE-Empfehlung.

Was für Schulkinder gilt, ist erst recht für Erwachsene anzuraten. Denn auch bei ihnen ist die Zufuhr an lebenswichtigen Stoffen wie etwa Kalium, Kalzium, Vitaminen, Eisen, Jod, Selen und Kupfer für die optimale Gehirnfunktion wichtig. Außerdem liefert eine ausgewogene Ernährung, die möglichst wenig Fett, aber viele pflanzliche Nahrungsmittel enthält, auch die wichtigen Bausteine für Gehirnbotenstoffe wie Serotonin und Dopamin und wirkt damit Depressionen entgegen. Eine betont pflanzliche Ernährung reguliert im Normalfall auch den Cholesterinspiegel günstig. Das ist Balsam fürs Gehirn, denn ein hoher Cholesterinspiegel kann dazu führen, dass im Gehirn Eiweißkörper (Amyloid-Beta) entstehen, die Gehirnzellen schädigen und zu Alzheimer führen.

Ein weiterer Baustein in der optimalen Gehirn-Diät ist die Auswahl der richtigen Fette, da zu wenig Fett ähnlich schädlich für den Geist sein kann wie zu viel. Laut Dr. Andrea Maierhofer ist ein Bestandteil der mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäure auch ein wesentlicher Baustein der Gehirnzell-Membranen. Ein Mangel kann zu einem Funktionsverlust des Gehirns führen. Vor allem Menschen, die im Alltag permanent schädlichem Stress ausgesetzt sind, haben einen gesteigerten Bedarf an Omega-3-Fettsäuren, die vor allem in fettem Seefisch wie Hering, Makrele, Lachs und Thunfisch, aber auch in Pflanzenölen wie Leinöl, Rapsöl und Omega-3-Margarine vorkommen.

Weniger bekömmlich für das Gehirn sind die ebenfalls mehrfach ungesättigten Omega-6-Fettsäuren (in Distelöl, Sonnenblumenöl, Maiskeimöl oder Palmfett), von denen der Körper relativ geringe Mengen für die Bildung von Zellwänden und Hormonen, für die Blutgerinnung und die Normalisierung des Cholesterinspiegels braucht. Omega 3 dagegen verbessert die Fließeigenschaften des Blutes, beugt dadurch Herzinfarkt und Schlaganfall vor, wirkt Entzündungen entgegen und verhütet Allergien ebenso wie bestimmte Hautkrankheiten. Das Problem besteht darin, dass Omega 6 im Übermaß in unserer Ernährung vorkommt, während sich Omega 3 darin sehr rar macht. Beide brauchen nämlich das gleiche Enzym, um umgewandelt zu werden und ihre Aufgaben im Körper erfüllen zu können. Wenn aber immer nur Omega 6 wegen seiner Überzahl im Kampf um die Enzyme gewinnt, kann Omega 3 seine Aufgaben überhaupt nicht erfüllen.

„Eine Portion Fettfisch sollte einmal pro Woche auf dem Speiseplan stehen“, heißt es deshalb in den Ernährungsempfehlungen der DGE. Dagegen sollten Verbraucher mit Streichfett geizig sein: „Mehr als 15 bis 30 Gramm Streichfett sollten es pro Tag nicht sein. Egal ob Margarine oder Butter – immer dünn aufs Brot streichen.“

Im Gehirn läuft nicht alles glatt

Freiburger Wissenschaftler entschlüsseln, welche Rolle Nanostrukturen bei der Funktion des Nervensystems spielen

Elektronenmikroskopie einer Nervenzelle im direkten Kontakt mit nanorauer Oberfläche. Quelle: Nils Blumenthal und Prasad Shastri

Elektronenmikroskopie einer Nervenzelle im direkten Kontakt mit nanorauer Oberfläche. Quelle: Nils Blumenthal und Prasad Shastri

Eine Ursache der Alzheimer-Krankheit sind Proteinablagerungen im Gehirn: Beta-Amyloid sammelt sich in so genannten Plaques an und sorgt dafür, dass Nervenzellen absterben. Bislang wussten Forscherinnen und Forscher wenig darüber, welche Rolle die Struktur des die Neuronen umgebenden Hirngewebes bei der Krankheit spielt. Wie beeinflussen Makromoleküle und makromolekulare Anordnungen, beispielsweise Mehrfachzucker, sowie Zellen aus dem Stützgerüst der Nervenzellen die Interaktion der Zellen im Gehirn? Prof. Dr. Prasad Shastri und der Doktorand Nils Blumenthal haben in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Bernd Heimrich und Prof. Dr. Ola Hermanson gezeigt: Die Beschaffenheit von Makromolekülen oder Stützgerüst-Zellen, zu denen Astrozyten gehören, spielt eine entscheidende Rolle bei der gesunden Interaktionen zwischen Hirnzellen im Hippocampus. Die Forschungsergebnisse hat das Team in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht.

Der Hippocampus gilt als das GPS-System des Gehirns: Er verarbeitet und speichert räumliche Informationen. Bei der Alzheimer-Krankheit bilden sich die Neuronen im Hippocampus zurück. Nehmen die umliegenden Moleküle oder Stützgerüst-Zellen eine zufällige, raue Struktur an, die Rüschen ähnelt, fördert und erhält dies die Kommunikation der Nervenzellen. „Lange nahmen Forscher an, dass nur biologische Signale die Gesundheit und die Funktion von Hirnzellen beeinflussen. Wir haben gezeigt, dass die Struktur der Moleküle, die diese Zellen umgeben, ebenso wichtig ist“, sagt Shastri.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Rauheit im Nanobereich innerhalb bestimmter Grenzen liegen muss. Gibt es mehr oder weniger der rauen Struktur, verändern sich die Nervenzellen so, dass sie ihre Funktion nicht mehr ausüben können. Shastris Team untersuchte menschliche Hirnzellen von Patientinnen und Patienten, die an Alzheimer erkrankt waren. Die Forscher entdeckten eine entscheidende Verbindung zwischen Regionen im Gehirn, in denen sich Beta-Amyloid angesammelt hatte, und unvorteilhaften Veränderungen in der Nanotopografie des Gewebes um die betroffenen Nervenzellen herum. Die Beschaffenheit der Oberfläche des Gewebes hatte sich verändert.

Das Team fand heraus, dass Astrozyten im Nanobereich eine physikalische Umgebung schaffen, die Nervenzellen brauchen, um gut zu funktionieren. Die Forscher setzten für ihre Experimente mit Neuronen synthetische Substrate mit unterschiedlicher Rauheit ein. „Unsere Entdeckung zeigt erstmals: Ionenkanäle, die auf Bewegungsreize reagieren, könnten Funktion und Erkrankung des zentralen Nervensystems beeinflussen. Die Ergebnisse deuten auf neue Angriffsziele für die Entwicklung von Medikamenten hin“, sagt Blumenthal. Moleküle, die ein mechanischer Reiz aktiviert, wie der Ionenkanal Piezo-1 in Hirnzellen von Mäusen, steuern das Zusammenspiel von Nanotopografie, Astrozyten und Nervenzellen. Frühere Forschungen haben gezeigt, dass MIB-1 – das Gegenstück von Piezo-1 in den Zellen des Menschen – in menschlichen Alzheimer-Patienten verändert ist.

Prasad Shastri forscht am Institut für Makromolekulare Chemie und am Exzellenzcluster BIOSS Centre for Biological Signalling Studies der Universität Freiburg. Der Doktorand Nils Blumenthal wird von BIOSS gefördert. Bernd Heimrich forscht am Institut für Anatomie und Zellbiologie der Albert-Ludwigs-Universität. Ola Hermanson arbeitet am Karolinska Institut der Universität Stockholm/Schweden.

Originalpublikation:
Nils Blumenthal, Ola Hermanson, Bernd Heimrich and V. Prasad Shastri. (2014) Stochastic Nanoroughness Modulates Neuron-Astrocyte Interactions and Function via Mechanosensing Cation Channels, Proc. Natl. Acad. Sci. USA. www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1412740111

Erinnerungslücken durch Antidepressiva?

Unterdrückung des REM-Schlafs stört Lernprozesse

Berlin, 02.09.2014 Depressionen können mit Medikamenten, die den REM-Schlaf unterdrücken, wirksam behandelt werden. In diesen Schlafphasen finden nicht nur die meisten Träume statt, sondern es werden auch Erinnerungen im Gedächtnis verfestigt. Wie Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin jetzt festgestellt haben, beeinträchtigt die Unterdrückung des REM-Schlafes gleichzeitig das Lernen und kann Gedächtnisstörungen hervorrufen. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift Sleep* veröffentlicht.

Menschen mit Depressionen sind antriebslos, wirken nach außen müde und schlapp. Doch innerlich sind sie angespannt und das Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Eine der wirksamsten Therapien ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Unterdrückung des REM-Schlafs mit bestimmten Antidepressiva. Dieser Wirkmechanismus beeinflusst jedoch auch die kognitiven Leistungen: In den REM-Schlafphasen werden Erinnerungen im Langzeitgedächtnis verfestigt und fördern damit das prozedurale Lernen. Das sind automatisierte Lernvorgänge, wie beispielsweise Klavierspielen oder Fahrradfahren.

Bisherige Studien zeigten, dass depressive Menschen in ihrem prozeduralen Lernen beeinträchtigt sind und ein erhöhtes Risiko haben, an kognitiven Störungen oder Demenz zu erkranken. Sind diese Symptome Ausdruck der Erkrankung oder werden sie erst durch die Antidepressiva hervorgerufen? Dieser Frage ging die Arbeitsgruppe um Privatdozent Dr. Dieter Kunz vom Institut für Physiologie der Charité in einer experimentellen Studie nach. Vor dem Zubettgehen sollten sich 25 gesunde Teilnehmer visuelle Muster merken. Anschließend bekamen sie entweder ein Placebo oder das Antidepressivum Amitriptylin verabreicht. Am nächsten Abend wurde der Lernerfolg getestet: Die Probanden mit dem Placebo-Präparat konnten die Muster deutlich schneller erkennen als diejenigen, die Amitriptylin erhalten haben.

»Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass kognitive Störungen bei depressiven Patienten durch das Antidepressivum Amitriptylin zumindest mit verursacht werden. Das Eindringen von psychoaktiven Substanzen in die komplizierten Schlafabläufe kann eine Vielzahl der bekannten Nebenwirkungen wie kognitive Defizite, Gewichtszunahme und morgendliche Apathie erklären«, sagt der Schlafforscher Dr. Kunz. Weiterhin betont er: »Die Entwicklung von neuen Substanzen, die nicht nur tagsüber das Befinden von depressiven Menschen verbessern, sondern auch deren Schlafqualität fördern, ist voranzutreiben.«

*Goerke M, Cohrs S, Rodenbeck A, Kunz D. Differential effect of an anticholinergic antidepressant on sleep – dependent memory consolidation. Sleep 2014 May 01. Doi: 10.5665/sleep.3674

Wie blendet das Gehirn Störungen aus?

Berlin, 02.07.2014 Wie schafft es unser Gehirn, Störreize zu ignorieren und aus einer Vielzahl an Informationen die relevanten herauszufiltern? Dieser Frage sind zwei Neurowissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Universität Tübingen in einer experimentellen Studie nachgegangen. Die Ergebnisse der Studie sind in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Neuron* veröffentlicht.

Täglich ist unser Gehirn einer Flut von wichtigen und unwichtigen Reizen ausgesetzt. Dennoch sind wir in der Lage, aus der Masse an Informationen, diejenigen herauszufiltern, die für uns relevant sind. Welche Mechanismen diesen Filterungsprozessen zugrunde liegen, haben Dr. Simon Jacob von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Mitte und Prof. Dr. Andreas Nieder von der Fakultät für Biologie der Eberhard Karls Universität Tübingen an Rhesusaffen untersucht. Die Tiere sollten sich eine bestimmte Anzahl an Punkten in einem Musterbild merken. In einer sich anschließenden Gedächtnisphase wurde ein Störreiz gezeigt. Danach sollten sie das Musterbild wiedererkennen.

Während die Rhesusaffen die Aufgabe durchführten, wurde die elektrische Aktivität einzelner Nervenzellen im Stirnlappen und im Scheitellappen gemessen, zwei für das Arbeitsgedächtnis wesentliche Regionen im Großhirn. Der Stirnlappen ist Sitz komplexer kognitiver Funktionen, während der Scheitellappen unter anderem eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung sensorischer Informationen spielt. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Nervenzellen im Stirnlappen zwar durch den Störreiz aktiviert werden, nach Ausschalten des störenden Reizes jedoch wieder das im Gedächtnis gespeicherte Musterbild darstellen. Demgegenüber wurden die Nervenzellen im Scheitellappen durch den Störreiz überhaupt nicht aktiviert.

„Die Studie hilft zu erklären, warum das Arbeitsgedächtnis bei vielen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen gestört ist“, sagt Dr. Jacob von der Charité. Weiterhin erklärt er: »Verschiedene Hirnareale scheinen bei der Ausblendung eines störenden Reizes unterschiedliche Strategien zu verwenden. Während Nervenzellen im Scheitellappen den Störreiz einfach unterdrücken, lassen sich die Zellen im Stirnlappen kurzzeitig ablenken, um aber sofort danach die eigentlich wichtige Gedächtnisinformation wieder herzustellen.« Prof. Nieder fügt hinzu: »Uns hat vor allem die unterschiedliche Anfälligkeit der beiden Hirnareale gegenüber Störreizen überrascht. Bisher war man davon ausgegangen, dass der Stirnlappen alle Arten von Störreizen filtert, während der Scheitellappen sensibler für Störungen ist. Unsere Ergebnisse fordern ein Umdenken hinsichtlich der Beiträge und Strategien der jeweiligen Hirnareale während Arbeitsgedächtnisaufgaben.»

*Jacob S, Nieder A. Complementary roles for primate frontal and parietal cortex in guarding working memory from distractor stimuli. Neuron. 2014 July 02.

Der Diabetes Kongress in Berlin hat begonnen

Diabetes Typ 2 – eine reine „Kopfsache“?

Neue Erkenntnisse zur Stoffwechselsteuerung im Gehirn

Berlin, Mai 2014 – Unter dem Motto „50 Jahre Deutsche Diabetes Gesellschaft“ beginnt heute, Mittwoch, den 28. Mai 2014, die führende Jahresveranstaltung zur Stoffwechselerkrankung Diabetes im deutschsprachigen Raum. Themen sind unter anderem neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Entstehung, Vorbeugung und Therapie des Diabetes mellitus. Bei der Entstehung von Fettsucht und Typ-2-Diabetes spielen bestimmte Steuerzentralen im Gehirn eine größere Rolle als lange angenommen. Neues Wissen über den Signalaustausch zwischen diesen Steuernetzwerken und den an Zucker- und Energiestoffwechsel beteiligten Organen im Körper liefern Forschungsansätze für künftige personalisierte Therapien. Unter anderem darüber diskutieren bis Samstag, den 31. Mai 2014, rund 6000 Ärzte, Diabetesberater und weitere in der Diabetologie Tätige während der 49. Jahrestagung der DDG. Professor Dr. med. Matthias Tschöp stellt den Themenschwerpunkt Gehirn und Glukosestoffwechsel  am 30. Mai 2014 in Berlin vor.

 

Professor Dr. med. Matthias Tschöp und sein Team am Münchner Helmholtz-Diabeteszentrum und an der Technischen Universität München entwickeln gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) personalisierte Therapieansätze für die Volkskrankheit Diabetes mellitus: „In den letzten Jahren haben wir gelernt, dass ähnlich wie bei Alzheimer oder Parkinson auch bei Typ-2-Diabetes und Fettsucht das Gehirn eine bisher unterschätzte Rolle spielt“, erklärt der Research Director des Helmholtz Diabetes Center und Direktor des Instituts für Diabetes und Adipositas, Helmholtz Zentrum München. „Deswegen entwickeln wir unter anderem neue Präventions- und Therapieansätze, die Gehirnsignale miteinbeziehen.“

Das menschliche Gehirn empfängt laufend Hormon- und Nervensignale von allen Organen, die an Zucker- und Energiestoffwechsel beteiligt sind – dadurch werden Steuerzentralen im Gehirn zum Beispiel darüber informiert, wieviele Kalorien vorhanden sind. Gleichzeitig senden diese zentralen Steuernetzwerke, die sich überwiegend im Hypothalamus befinden, kontinuierlich zahlreiche Informationen an alle stoffwechselaktiven Zellen des Körpers, um ein optimales Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Fett- und zuckerreiche Ernährung sowie mangelnde Bewegung verursachen vor allem bei dafür genetisch Prädestinierten Störungen, bei denen aufgrund von Entzündungsprozessen das Gehirn auf wichtige Hormonsignale wie Leptin oder Insulin nicht mehr reagiert. Ändern die Betroffenen ihre Lebens- und Ernährungsgewohnheiten nicht, entsteht ein Teufelskreis, der nicht nur zu einem Versagen der Bauchspeicheldrüse führt, sondern auch die Stoffwechselkontrollfunktion des Gehirns weitgehend zerstört. „Eine Therapie, die bei vielen Patienten erstaunlich gut funktioniert, ist ausgerechnet ein chirurgischer Eingriff, bei dem ein Magenbypass gelegt wird“, führt Professor Tschöp aus. Dieses Phänomen habe wiederum mit Magen-Darm-Signalen zu tun, die die Stoffwechselsteuerung im Gehirn kontrollieren: „Wir haben Fortschritte gemacht, mit neuen medikamentösen Kombinationen solcher Signale erfolgreich das Gehirn auszutricksen, indem wir pharmakologisch einen Magenbypass imitieren – und damit zumindest bei Mäusen Fettsucht und Zuckerkrankheit bereits kurieren können.“ Allerdings werde es noch viele Jahre dauern, bis ein entsprechendes Medikament für den Menschen verfügbar sei. „Außerdem zeigen allerneueste Erkenntnisse, dass nicht nur spezifische Altersgruppen von unterschiedlichen Diabetes-Therapeutika profitieren, auch geschlechtsspezifische Unterschiede und individuelles Vorliegen von Genmutationskombinationen verlangen eine personalisiertere Medizin. Eines der Hauptziele unserer Forschung ist daher, die dafür entscheidenden Biomarker zu identifizieren“, betont Professor Tschöp.