Archiv für den Monat: September 2014

Zur Vorab-Veröffentlichungen der Bertelsmann Stiftung

S T E L L U N G N A H M E
der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und
Hals-Chirurgie e.V.; Bonn

zur Vorab-Veröffentlichungen der Bertelsmann Stiftung zu Studien von OECD und
Bertelsmann-Stiftung zum Thema regionaler Unterschiede in der Gesundheitsversorgung

Wie schon in einer Studie der Bertelsmann Stiftung, gemeinsam mit den IGES-Institut Berlin, aus dem Jahre 2013, kündigt die Bertelsmann Stiftung eine weitere Studie an, nach der teilweise erhebliche regionale Unterschiede in der Häufigkeit von Mandeloperationen bestehen. In manchen Städten und Kreisen sei die Häufigkeit achtmal höher als in anderen Regionen. Ähnliche Variationen von Operationshäufigkeiten werden in der angekündigten Studie auch bei künstlichen Kniegelenken, Kaiserschnitten und Gebärmutterentfernungen vorab berichtet. Eine Studie der OECD ergebe vergleichbare regionale Variationen in anderen untersuchten Ländern wie Frankreich, Spanien und England.

Die Deutsche Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie möchte aufgrund der Aktualität von Mediennachfragen bereits zum jetzigen Kenntnisstand, ohne dass die erwähnten Studien vorliegen, wie folgt Stellung nehmen:

Zum medizinischen Sachverhalt:
Die Notwendigkeit, eine komplette Entfernung der Gaumenmandeln vorzunehmen liegt dann vor, wenn der Patient, oder im Falle von Kindern Eltern oder Bezugspersonen, über gehäufte Mandelentzündungen berichten. Die Notwendigkeit / Sinnhaftigkeit einer Mandeloperation bemisst man an der Häufigkeit und Erheblichkeit berichteter Mandelentzündungen bzw. Rachenbeschwerden. Der Untersuchungszustand der Mandeln beim Arzt ist für eine Operationsentscheidung auch wichtig, wichtiger ist jedoch die berichtete Krankengeschichte. In einer amerikanischen Studie, die vor Jahren in Pittsburgh durchgeführt wurde, wurden als Kriterien für die Notwendigkeit einer Mandeloperation folgende Häufigkeiten festgelegt: Siebenmal Rachenbeschwerden mit Rachenentzündungen im aktuellen Jahr oder je fünfmal in den vergangenen zwei Jahren oder je dreimal in den vergangenen drei Jahren. Diese mit dem Namen des Studienautors Jack Paradise belegten Paradise-Kriterien wurden in der Studie willkürlich festgelegt und werden in der nachfolgenden Literatur immer wieder als Kriterien für die Notwendigkeit einer Mandeloperation genannt. An den sog. Paradise-Kriterien wurde auch Kritik geübt, weil nicht jede Rachenentzündung mit Schluckbeschwerden, Fieber und Lymphknotenschwellungen eine Mandelentzündung darstellt. Auch Rachenentzündungen ohne wesentliche Beteiligung der Mandeln können ähnliche und für den Laien nicht zu unterscheidende Symptome erzeugen. Mandeloperationen sind dann als erfolgreich zu bezeichnen, wenn die vom Patienten beklagten Beschwerden nach der Operation verschwunden sind oder sich deutlich gebessert haben. Es existieren in der Literatur etliche Studien, die erkennen lassen, dass der Erfolg durchgeführter Mandeloperationen umso größer sind, je ausgeprägter die Beschwerden vor der Operation waren. Bei einer entsprechend kritischen Indikationsstellung zu einer Mandeloperation sind Erfolgsraten von über 80 % berichtet.

Für den Arzt, der die Notwendigkeit der Mandeloperation beurteilen soll, ist deswegen eine zuverlässige und aussagekräftige Krankengeschichte über Häufigkeit, Ausprägung und Behandlungsnotwendigkeit beklagter Rachenbeschwerden entscheidend. Im günstigen Fall hat der Operateur selbst den Patienten vor der Operation mehrfach gesehen und die Erheblichkeit der Rachenbeschwerden im Sinne von Mandelentzündungen beurteilen können oder er erhält einen zuverlässigen und sorgfältigen Bericht eines vorher betreuenden Hausarztes, Hals-Nasen-Ohrenarztes oder Kinderarztes. Im Zweifelsfall berät der Arzt sich mit vorbehandelnden Ärzten. Die Entscheidung über die Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit einer Mandeloperation bleibt eine gewissenhafte Ermessungsentscheidung und Abwägung, die Patienten individuell getroffen werden muss. Diese Ermessensentscheidungen haben eine gewisse Spannbreite. Die Risiken wie Nachblutungen hat der Arzt dabei im Auge und weist Patienten / Eltern darauf hin. Mit Blick auf das oben Gesagte ist verständlich, dass streng operationalisierte Leitlinien für Notwendigkeit bzw. Sinnhaftigkeit einer Mandeloperation an der medizinischen Realität vorbeigehen würden.

Aktivitäten zur Qualitätssicherung:
Die Deutsche Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie hatte schon vor Jahren eine S1-AWMF-Leitlinie zur Mandeloperation erstellt und auf der Website der AWMF (Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften) publiziert. Diese Leitlinie wurde nach den Statuten der AWMF aus dem Netz genommen, da sie aktualisiert werden muss. Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde,
Kopf- und Hals-Chirurgie erarbeitet derzeit eine Leitlinie zu Mandeloperationen auf dem S2k-Niveau. Eine Publikation dieser Leitlinie, die mit viel Literatur-Studium verbunden ist und mit beteiligten Fachgesellschaften, wie z. B. der Kinderheilkunde, konsentiert wird, steht absehbar für das Jahr 2015 an.

Auf den Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und –Hals-Chirurgie, sind in den letzten Jahren regelmäßige Rundtischgespräche zu Fragen der Mandeloperationen durchgeführt worden, auf denen Indikation, Durchführung und Komplikationen ausführlich diskutiert wurden; dieses auch unter Beteiligung internationaler Experten und z. B. Vertretern der Cochrane-Gruppe.

Die Deutsche Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, hat im Jahre 2013 ein deutsches Studienzentrum für HNO-Heilkunde, gemeinsam mit dem Berufsverband deutscher HNO-Ärzte, gegründet. Dieses Studienzentrum koordiniert multizentrische klinische Studien. Im Rahmen der Aktivitäten dieses Studienzentrums ist auch eine multizentrische Studie zur Frage der Indikationsstellung von Mandeloperationen auf dem Weg. Nach Kenntnis der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, hat der gemeinsame Bundesausschuss auch auf das Thema der Mandelchirurgie fokussiert und das AQUA-Institut in Göttingen mit Recherchen hierzu beauftragt. Vertreter der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, sind als Berater in diesen Recherchen engagiert. Seitens der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung wurde noch in den 90iger Jahren ein Qualitätsmodul für Mandeloperationen aufgelegt. Hier wurden bundesweit Mandeloperationen mit Durchführungsqualität und Komplikationen erfasst. Leider konnten Komplikationen und Verläufe nur während der immer kürzer werdenden stationären Aufenthalte der Patienten erfasst werden und nicht nach Entlassung. Da Komplikationen nach Mandeloperationen und Beurteilung der Qualität nicht innerhalb der kurzen stationären Verweildauer möglich sind, andererseits die Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung keine Möglichkeiten sah, auch ambulante Verläufe zu erfassen, wurde dieses Qualitätsbeobachtungsprojekt wegen Ineffizienz eingestellt.

Zusammenfassung:
Zusammenfassend ist zu bemerken, dass die von der Bertelsmann-Stiftung berichteten starken regionalen Unterschiede, wenn sie sich nach kritischer Wertung der noch nicht veröffentlichten Studie so bewahrheiten, ihre Ursache darin haben, dass rein wissenschaftlich und medizinisch eine bindende operationalisierte Indikationsstellung für Mandeloperationen nicht erstellt werden kann. Dass im Rahmen ärztlicher Ermessensentscheidungen Variationen entstehen, ist nachvollziehbar. Betont werden kann jedoch auch, dass für die Frage einer Notwendigkeit einer Mandeloperation in aller Regel nicht ein einzelner Arzt gefragt wird, sondern bei Kindern z. B. der Kinderarzt, bei Erwachsenen der Hausarzt, einen beratenden Einfluss auf die Patienten bzw. Elternentscheidung bei den in der Regel nicht dringlichen Eingriffen hat. Bei eng kalkulierten Budgets für Mandeloperationen entfallen ökonomische Anreize für die Durchführung dieser Eingriffe weitgehend; auch mit Blick auf den Aufwand und die Notwendigkeit, dass ärztlicherseits bei Komplikationen 24 Stunden an 7 Tagen schnelle Hilfe organisiert sein muss.

Die Deutsche Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie fördert alle Initiativen, die die Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit medizinischer Prozeduren für die Patienten ohne Ansehen ökonomischer Effekte fördert.

Punktgenau gegen das Zittern

Bildgebendes Verfahren verbessert Tremorchirurgie / Freiburger Forscher publizieren in Neurosurgery

Beidseitige Tiefe Hirnstimulation der Tremorbündel (Dentato-Rubro-Thalamische Trakte; rot, rechts und gelb, links) bei einem Patienten Bildrechte: Universitätsklinikum Freiburg/Volker Arnd Coenen

Beidseitige Tiefe Hirnstimulation der Tremorbündel (Dentato-Rubro-Thalamische Trakte; rot, rechts und gelb, links) bei einem Patienten
Bildrechte: Universitätsklinikum Freiburg/Volker Arnd Coenen

Als Patient mitzuerleben, wie Ärzte ihn am offenen Schädel operieren, ist keine schöne Vorstellung. Für viele Menschen, die an Tremorerkrankungen leiden, ist die Tiefen Hirnstimulation bei vollem Bewusstsein momentan jedoch die einzige Operationsmethode, wenn Medikamenten und jahrelanges Leiden nicht mehr erträglich sind. Einem Freiburger Forscherteam um Prof. Dr. Volker Arnd Coenen, Ärztlicher Leiter der Abteilung für Stereotaktische und Funktionelle Neurochirurgie am Universitätsklinikum Freiburg, ist es nun gelungen, mithilfe eines bildgebenden Verfahrens das per Tiefer Hirnstimulation zu aktivierende Nervenfaserbündel im Gehirn genauer aufzuspüren. Langfristig soll dadurch die Tiefen Hirnstimulation in Vollnarkose durchgeführt werden können. Zusätzlich wird die Blutungsgefahr reduziert. Die Ergebnisse ihrer Studie haben die Freiburger Forscher in der renommierten Fachzeitschrift Neurosurgery publiziert.

In der Studie zur Behandlung des tremordominanten Parkinsonsyndroms und von essentiellen Tremorerkrankungen mittels der Tiefen Hirnstimulation wurde die bisherige Methode zur Aufspürung des Tremorbündels mit der Diffusionstensortraktografie verglichen. „Dieses bildgebende Verfahren liefert so exakte Bilder, dass die Lage des Tremorbündels im Gehirn bis auf weniger als zwei Millimeter genau bestimmt werden kann. Dadurch werden weniger Pfade der Elektrode auf dem Weg zum Zielgewebe im Gehirn notwendig, wodurch das Risiko von Gefäßblutungen verringert wird“, sagt Prof. Coenen.

Bisher kann das Zielgebiet nur indirekt anhand von Atlasdaten bestimmt werden. Bei vollem Bewusstsein des Patienten wird der Schädel geöffnet und die Tiefen Hirnstimulation durchgeführt. Mit der Elektrode werden Regionen angesteuert, an denen bei Stimulation eine Tremorreduktion vermutet wird. Reagiert die Stelle nicht auf die Stimulation, wird die Elektrode entfernt und von der Oberfläche muss über einen neuen Pfad zu einer neuen Stelle durchgedrungen werden. Jede einzelne Testung vergrößert die Gefahr einer Gefäßverletzung und damit einer Gefäßblutung. Mit der neuen Methode wird die Operation für Betroffene in Zukunft sicherer, da die tremorreduzierende Bündelstruktur jetzt hochgenau und direkt dargestellt werden kann.

Die Freiburger Forscher beginnen in Kürze zwei klinische Studien zum Essentiellen Tremor und zur Parkinson-Erkrankung, bei denen diese Technologie angewandt wird. Die Studien sollen die jetzigen Ergebnisse verfestigen.

Die Diffusionstensortraktografie ist ein bildgebendes Verfahren, das mit Hilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) die Diffusionsbewegung von Wassermolekülen in Körpergewebe misst und räumlich aufgelöst darstellt. Sie ist besonders für die Untersuchung des Gehirns geeignet, da sich das Diffusionsverhalten im Gewebe bei einigen Erkrankungen des zentralen Nervensystems charakteristisch verändert und die Richtungsabhängigkeit der Diffusion Rückschlüsse auf den Verlauf der großen Nervenfaserbündel erlaubt. Die Diffusionstensortraktografie hat sich bereits beim Aufspüren eines neuen Zielortes zur Stimulation des Gehirns bei Depressionen, dem medialen Vorderhirnbündel, bewährt.

Bei der Tiefen Hirnstimulation werden krankhafte Schwingungen von Nervengewebe mit feinen elektrischen Strömen beeinflusst und durchbrochen. Dazu wird ein Hirnschrittmacher implantiert. Der Vorteil der Tiefen Hirnstimulation ist eine dauerhafte, ununterbrochene Stimulation. Sobald diese aber ausgeschaltet wird, kehren die Symptome binnen Minuten zurück. Den Großteil der Zeit sind die Patienten bei der Implantation des Neurostimulators wach, denn „mit ihrer Hilfe kontrollieren wir den Sitz der Elektroden“, sagt Prof. Coenen. „Wir setzen während der OP einen Testimpuls – wenn wir an der richtigen Stelle sind, verringern sich die Symptome des Patienten, zum Beispiel das Händezittern, augenblicklich.“ Bisher sei die Neurostimulation keine Alternative, sondern erst nach Ausschöpfen aller anderen Therapieformen sinnvoll. Doch Prof. Coenen ist sich sicher: „Die Tiefen Hirnstimulation wird als Therapie bei verschiedenen Störungen an Bedeutung gewinnen.“

StudyMyTremo

StudyMyTremo

Als Tremor wird das unbeabsichtigte, sich rhythmisch wiederholende Zusammenziehen einander entgegenwirkender Muskelgruppen bezeichnet. Den sogenannten physiologischen Tremor kann man messen, allerdings ist er kaum sichtbar. Sichtbar wird ein Tremor nur, wenn er als Symptom einer Erkrankung, wie zum Beispiel Parkinson, auftritt.

Mit einer Appkönnen Sie den physiologischen Tremor messen. http://studymyhealth.com/

Die Arbeit mit dem Originaltitel „Modulation of the Cerebello-thalamo-cortical Network in Thalamic Deep Brain Stimulation for Tremor: A Diffusion Tensor Imaging Study” ist bereits online zu lesen und erscheint im Dezember auch in der Printausgabe von Neurosurgery.
DOI: 10.1227/NEU.0000000000000540

„Aktive Menschen altern besser“

„Aktive Menschen altern besser“ – Prävention von Sarkopenie im Klinikalltag

Prof. Dr. med. Cornel Sieber

Prof. Dr. med. Cornel Sieber

(11. September 2014) Hohes Alter geht oft einher mit körperlichem Gebrechen, schneller Erschöpfung und Gewichtsabnahme – nicht zuletzt aufgrund des Verlustes von Muskelmasse. Wie sehr die sogenannte Sarkopenie die Lebensqualität beeinflusst und welch entscheidende Rolle ihrer Erforschung in den kommenden Jahren zukommen wird, das untersucht Prof. Dr. Cornel Sieber am Lehrstuhl für Innere Medizin-Geriatrie an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg. Er ist überzeugt: Muskelmasse ist der entscheidende Faktor für Lebensqualität und Selbstständigkeit bis ins hohe Alter. Das zeige sich in ganz alltäglichen Situationen: „Hat jemand noch genügend Muskeln, um aufzustehen und Einkaufstüten zu tragen? Oder so wenige in der Brust, dass es ihm Mühe macht, richtig abzuhusten?“

Bislang werden zur Diagnose von Gebrechlichkeit allgemein die Kriterien Gewichtsverlust, Erschöpfung, Schwächegefühl, Reaktionsschnelle und körperliche Aktivität herangezogen. Doch erst über den Aspekt des Muskelverlustes, der Sarkopenie, erreicht die Thematik den Klinikalltag, weiß Professor Sieber aus Erfahrung. Hier gibt es objektiv messbare Faktoren, aufgrund derer Forschung vorangetrieben werden kann – und diese sind auch für Pharmaunternehmen, Krankenkassen und Gesundheitspolitik relevant.

„In den vergangenen Jahren konzentrierte sich die Forschung auf Osteoporose“, sagt Sieber, der neben seiner Lehrtätigkeit gleichzeitig als Chefarzt in Regensburg tätig ist. Seine neuen Erkenntnisse und deren Konsequenzen für Klinikalltag und Gesundheitspolitik erörtert Professor Sieber in seiner Keynote-Lecture „Frailty – Vom Konzept zum klinischen Alltag“ am 25. September beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG) in Halle an der Saale. „Jetzt beginnt das Jahrzehnt der Sarkopenie“, ist Sieber überzeugt.

Auch 80-Jährige können noch Muskelmasse aufbauen

Noch aber wird Sarkopenie im Klinikalltag oft vernachlässigt. Nach einer Operation wird immer noch häufig Ruhe verordnet. Die Folge: Die ohnehin altersgebrechlichen Patienten bauen weiter körperlich ab. „Während einer Woche Bettruhe geht ein Kilogramm Muskelmasse verloren“, erklärt Sieber. „Um diesen Verlust auszugleichen, müssen unsere Patienten ein gutes halbes Jahr trainieren. Wir müssen in der Behandlung daher gänzlich umdenken!“

Bereits im Vorfeld einer stationären Behandlung sollte der Körper daher fitgehalten und sogar weiter gekräftigt werden, ist Sieber überzeugt. Während im medikamentösen Bereich der Durchbruch noch nicht gelungen ist, zeigen Ernährungsumstellung und Sportprogramme Erfolg. Therapieansätze, für die es auch im hohen Alter nicht zu spät ist, so Sieber: „Sogar ein 80-Jähriger kann noch Muskeln aufbauen!“

Prof. Dr. Cornel Sieber, Nürnberg und Regensburg
Keynote-Lecture: „Frailty – Vom Konzept zum klinischen Alltag“
Donnerstag, 25.09., 10:00 Uhr

Schonender Blick ins Babygehirn

Kopfultraschall bei Säuglingen ohne Strahlung und Narkose

Akustisches Fenster: Um das Gehirn des Neugeborenen zu untersuchen, setzen Ärzte den Ultraschallkopf auf der großen Fontanelle des Babys auf Quelle: Prof. K.-H. Deeg, Sozialstiftung Bamberg

Akustisches Fenster: Um das Gehirn des Neugeborenen zu untersuchen, setzen Ärzte den Ultraschallkopf auf der großen Fontanelle des Babys auf
Quelle: Prof. K.-H. Deeg, Sozialstiftung Bamberg

Berlin – Hirnblutungen, Fehlbildungen des Gehirns, Erweiterungen der Hirnkammern, Schlaganfälle, Hirntumore oder auch Kopfverletzungen können bei Neugeborenen und Säuglingen sicher und schonend  diagnostiziert werden. Doch einige bildgebende Verfahren können dem Säugling schaden oder erfordern, dass das Kind über mindestens eine halbe Stunde still hält. Das ist ohne Sedierung oder Narkose meist nicht möglich. Eine Studie zeigt jetzt, wie hilfreich deshalb bei Babys eine Ultraschalluntersuchung des Gehirns ist.  Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) hin. Die Sonografie des Gehirns ermöglicht es Ärzten, das Kind schonend zu untersuchen und auf diese Weise Schäden und Krankheiten im Gehirn früh zu erkennen und bestmöglich zu behandeln.

„Bei Neugeborenen und Säuglingen ist es besonders schwierig, Krankheiten oder Entwicklungsstörungen des Gehirns festzustellen – nicht nur, weil sie sich nicht mitteilen können, sondern auch, weil sie besonders empfindlich sind“, sagt DEGUM-Experte Professor Dr. med. Karl-Heinz Deeg aus Bamberg. Gerade für die Schädeldiagnostik kommen bildgebende Verfahren wie Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT) allerdings nur eingeschränkt in Frage: „Wir wissen heute, dass Röntgenstrahlen, die im CT verwendet werden, für Kinder besonders schädlich sind“, sagt Deeg. „Wann immer wir darauf verzichten können, sollten wir dies auch tun.“ Gleiches gelte auch für den Einsatz von Beruhigungs- und Narkosemitteln, die bei der Magnetresonanztomografie wegen der langen Untersuchungszeit von über dreißig Minuten erforderlich sind. Denn in seltenen Fällen kann eine Sedierung oder eine Narkose zu Komplikationen führen. Die MRT-Untersuchung ist zeitaufwändig, teuer und erfordert immer die Anwesenheit eines Arztes. Der Experte empfiehlt daher bei Neugeborenen und Säuglingen möglichst ein Ultraschallgerät zur Diagnostik heranzuziehen. „Die Ultraschalluntersuchung hat keine Nebenwirkungen und erfordert keine Narkose oder Sedierung des Kindes“, betont der Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche am Klinikum Bamberg. Allerdings sei die Untersuchung nur bei Babys möglich, deren Fontanellen noch offen sind. Denn nur durch diese weichen, nicht-verknöcherten Stellen des Schädels können die Mediziner mit dem Ultraschall ins Gehirn blicken.

Ultraschallexperte Karl-Heinz Deeg aus Bamberg untersucht ein fünf Tage altes Neugeborenes Quelle: Prof. K.-H. Deeg, Sozialstiftung Bamberg

Ultraschallexperte Karl-Heinz Deeg aus Bamberg untersucht ein fünf Tage altes Neugeborenes
Quelle: Prof. K.-H. Deeg, Sozialstiftung Bamberg

Auch eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore kam kürzlich zu dem Schluss, dass die Gehirn-Sonografie eine schonende und kosteneffiziente Alternative zu CT und MRT bei Untersuchungen von Säuglingen ist. Allerdings unter der Bedingung, dass Ärzte dabei mit High-End-Geräten arbeiten, die zwei- und dreidimensionale Bilder produzieren. „Beim Ultraschall kommt es im besonderen Maße auf die Qualität der Geräte und auf die Erfahrung des Untersuchers an“, kommentiert Deeg.

Als „akustische Fenster“ dienen bei der Neugeborenen-Sonografie die Fontanellen. Der Arzt setzt den Schallkopf zum Beispiel über der vorderen Fontanelle an und kippt ihn dann nach rechts und links, und von vorne nach hinten, damit die Gehirnstrukturen in allen Details deutlich werden. Bei der Gehirnuntersuchung von Neugeborenen werden in der Regel die Frequenzen von acht bis zehn Megahertz verwendet. Die Studienautoren empfehlen bei Frühgeborenen sogar Schallköpfe mit einer Frequenz bis 15 Megahertz. „Je höher die Frequenz ist, umso detaillierter ist das Bild“, erklärt Deeg. Allerdings dringe der Ultraschall bei hohen Frequenzen nicht so tief in das Gewebe ein.

In Deutschland ist die Ultraschalluntersuchung des Gehirns inzwischen das bildgebende Verfahren der Wahl, mit dem bei Früh- und Neugeborenen und jungen Säuglingen fast alle Erkrankungen des Gehirns diagnostiziert werden können. Ärzte nutzen sie zum Beispiel bei Frühgeborenen, die sie direkt im Brutkasten untersuchen können. Da ihr Gehirn noch nicht ausgereift ist, haben „Frühchen“ ein erhöhtes Risiko für Hirnblutungen, in deren Folge es zu einer Erweiterung der Hirnkammern kommen kann. Bei einem zu kleinen oder zu großen Kopf des Säuglings können Mediziner mit Hilfe des Schalls nach der Ursache suchen und beispielsweise eine Erweiterung der inneren oder äußeren Hirnkammern erkennen. Auch bei Fehlbildungen des Gehirns wie einem offenen Rücken, der Spina bifida, kommt der Ultraschall zum Einsatz. Bei Anzeichen für einen erhöhten Hirndruck beim Baby gibt die Doppler-Sonografie, mit der Ärzte die Blutströmung in den Hirngefäßen messen können, Aufschlüsse über die Höhe des Hirndrucks. „Außerdem nutzen wir die Ultraschalluntersuchung auch bei Kopfverletzungen nach einem Unfall, nach einem neurochirurgischen Eingriff oder einer Infektion des Zentralnervensystems“, erläutert Professor Deeg. Die amerikanische Studie zeige, wie vielfältig das Einsatzgebiet der Sonografie gerade bei Neugeborenen ist, bei denen ein möglichst schonendes Diagnoseverfahren eine besondere Bedeutung hat.

Literatur:
Neonatal Head Ultrasonography Today: A Powerful Imaging Tool!
Orman, G. et al.: Journal of Neuroimaging; Online-Vorabpublikation, 4. März 2014
 
Gehirn. Deeg K.H.: In Ultraschalldiagnostik in Pädiatrie und Kinderchirurgie. Deeg K.H., Hofmann V., Hoyer P.F. (Hrsg) Thieme. S. 19-282, 2014

Diabetesbehandlung bei Generation Fastfood & Computer

Verstopfte Gefäße frühzeitig durchlässig machen

Berlin – Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 werden einerseits immer jünger, andererseits immer älter. Angesichts der enormen Herausforderungen, die dem Gesundheitssystem damit bevorstehen, fordern Diabetologen und Gefäßmediziner ein Umdenken in der Diabetestherapie. „Bei Durchblutungsstörungen sind frühe Kathetereingriffe zur Aufdehnung verstopfter Gefäße angezeigt, um Folgeschäden wie Amputationen oder Herzinsuffizienz möglichst lange zu verhindern“, erklärt Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland, Mediensprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Weil die Generation Computer immer zeitiger an Diabetes Typ 2 erkrankt, sinkt in den USA erstmals seit Jahrzehnten die Lebenserwartung. Vorzeitige Sterblichkeit und massenhafte Frühberentung drohen angesichts der zunehmenden Übergewichtsepidemie auch in Deutschland, warnen die Experten anlässlich der 43. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (DGA), die am vergangenen Wochenende in Hamburg zu Ende ging. Experten der DDG hatten an der Tagung teilgenommen.

Gefäßmediziner sehen in ihren Sprechstunden immer häufiger Diabetespatienten, die statt mit 60 bereits mit 45 Jahren an schweren Durchblutungsstörungen leiden. „Oft genug ist das die Quittung für Übergewicht, Bewegungsmangel und Rauchen“, berichtet Dr. med. Holger Lawall, Kongresspräsident der 43. Jahrestagung der DGA. Zunächst könne ein Stent helfen, die Gefäße wieder durchgängig zu machen, später ein Bypass. „Anschließend sind die Patienten vielleicht 55 Jahre alt und ausbehandelt. Und was machen wir dann?“, fragt Gefäßexperte Lawall. Stammzell- und Gentherapie als weitere Therapieoptionen stehen in absehbarer Zeit vermutlich nicht zur Verfügung.

Vor diesem Hintergrund plädieren die Mediziner dafür, Gefäßprobleme rechtzeitig und möglichst schonend zu behandeln – insbesondere Durchblutungsstörungen in den Beingefäßen, die ein großes Problem bei Diabetespatienten darstellen. Sie können zum diabetischen Fußsyndrom (DFS) führen, zu Gefühlsstörungen, Geschwüren und offenen Wunden. „Das DFS wird etwa eine Million der jetzt lebenden Deutschen im Laufe ihres Lebens treffen“, berichtet Lawall. „Derzeit wendet Deutschland für das DFS jährlich 2,5 Milliarden Euro auf.“ Bei achtzehn Prozent der Betroffenen kommt es innerhalb von fünf Jahren zu einer Amputation, wie Studien belegen.

Grundsätzlich stehen zwei effektive Verfahren in der Gefäßmedizin zur Verfügung, um verstopfte Gefäße wieder durchlässig zu machen – die offene Bypasschirurgie oder ein Kathetereingriff mit Ballonerweiterung und/oder Stent. „Sofern technisch verfügbar, lautet die gemeinsame Empfehlung von Diabetologen und Gefäßmedizinern: erst Kathetereingriff, dann Operation“, erläutert Professor Dr. med. Stephan Matthaei, Chefarzt des Diabeteszentrums am Christlichen Krankenhaus Quakenbrück. Dieses Vorgehen stelle sicher, dass eine Amputation möglichst lange verhindert werden könne oder, sofern unumgänglich, sich auf einen Teil des Vorderfußes beschränke. „Bei beiden Verfahren können in 80 Prozent der Fälle die Beine erhalten werden“, so Matthaei. Idealerweise sollte der Arzt bei einem Kathetereingriff gleich mehrere Gefäße behandeln.

Ein Kathetereingriff hat bei älteren Diabetespatienten zudem den Vorteil, dass sie sich in der Regel schneller wieder erholen und das Krankenbett verlassen können. „Ab diesem Zeitpunkt ist eine angemessene Nachsorge ebenfalls sehr wichtig“, betont Privatdozent Dr. med. Erhard Siegel, Präsident der DDG. So raten die Ärzte den Patienten nach einem Gefäßeingriff häufig, gezielt Sport zu treiben, um die Durchblutung zusätzlich zu fördern. „Die Erfahrung zeigt, dass Diabetespatienten in einer Diabetiker-Sportgruppe oftmals besser aufgehoben sind als in einer Gefäßsportgruppe“, ergänzt Müller-Wieland. „Bei älteren Diabetespatienten sollte der Blutzucker zudem nicht mehr so streng eingestellt werden, ein HbA1c-Wert von 8,5 reicht aus“, meint der DDG-Experte.

Es werden immer mehr Studien in Schwellenländer verlagert

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erhält 10.000sten Antrag auf klinische Prüfung von Arzneimitteln: „Wir haben sehr gute Einflussmöglichkeiten im Sinne der Patientensicherheit“, meldet das BfArM

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat den 10.000sten Antrag auf Genehmigung einer klinischen Prüfung von Arzneimitteln in Deutschland erhalten. Seit 2004 müssen solche Studien in Europa behördlich genehmigt werden. Mit rund 1.000 Anträgen pro Jahr nimmt das BfArM eine Spitzenposition unter den europäischen Arzneimittelbehörden ein.

BfArM-Präsident Prof. Dr. Karl Broich: „Durch das Genehmigungsverfahren haben wir sehr gute Einflussmöglichkeiten auf die Durchführung klinischer Prüfungen in Deutschland. Das kommt Patientensicherheit und Forschungsfreiheit gleichermaßen zu Gute. Auf der anderen Seite sehen wir aber mit Blick auf unsere hohen Standards bei Patienten- und Probandensicherheit mit Sorge, dass immer mehr Studien in Schwellenländer außerhalb von Europa verlagert werden.“

Klinische Prüfungen sind die wesentliche Voraussetzung für die Zulassung neuer Arzneimittel. Darüber hinaus wird Patienten und Ärzten damit die Möglichkeit gegeben, Zugang zu noch nicht zugelassenen Arzneimitteln zu erhalten und so die möglichen Behandlungsoptionen zu erweitern. Damit die Sicherheit der Teilnehmer von klinischen Prüfungen gewahrt wird, prüfen die Wissenschaftler des BfArM jede klinische Prüfung. Dabei bewerten sie die Unterlagen zur pharmazeutischen Herstellung der untersuchten Arzneimittel, die Angemessenheit und die Ergebnisse der pharmakologischen und toxikologischen Vorprüfungen  sowie den Prüfplan, der genau beschreibt, wie die Studie durchgeführt werden soll.

Das BfArM beanstandet rund die Hälfte aller Erstanträge und fordert Nachbesserungen oder Nachlieferungen. In den meisten Fällen werden diese Anforderungen des BfArM umgesetzt, sodass etwa 95% der beantragten klinischen Prüfungen genehmigt werden können. Weitere Voraussetzung für die Durchführung von Arzneimittel-Studien am Menschen ist in Deutschland die Zustimmung einer Ethik-Kommission. Eine durch das BfArM genehmigte klinische Prüfung wird auch während des Verlaufs weiter vom BfArM begleitet, um sicherzustellen, dass nicht bisher unbekannte Risiken die Sicherheit der Studienteilnehmer beeinträchtigen.

Kurzsichtigkeit wächst mit dem Bildungsgrad

Abi und Studium schlecht für die Augen

München – Wer länger lernt, braucht eine stärkere Brille – zu dieser Schlussfolgerung kommt eine Studie der Universitätsmedizin Mainz. Ein hoher Bildungsgrad und viele  Schuljahre gehen mit häufigerer und stärkerer Kurzsichtigkeit einher, so berichten Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Ophthalmology“. Mögliche Ursachen seien Lesen, der Blick auf den Computer und ein Mangel an Tageslicht. Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) rät Schülern und Studenten deshalb zu Lernpausen für die Augen und regelmäßigem Aufenthalt im Freien.

Die Mainzer Forscher untersuchten im Rahmen der Gutenberg-Gesundheitsstudie die Sehstärke von 4658 Menschen im Alter von 35 bis 74 Jahren. Dabei erwiesen sich mehr als die Hälfte der Hochschulabsolventen als kurzsichtig, während bei den Probanden ohne höhere Schulbildung nur jeder Vierte von der Sehschwäche betroffen war. „Ursache dafür ist vermutlich die Naharbeit, die den Alltag von Studierenden bestimmt“, sagt der Direktor der Mainzer Augenklinik und Initiator der Gutenberg-Studie, Professor Dr. med. Norbert Pfeiffer. „Laut aktueller Studienlage, tragen stundenlanges Lesen, Fernsehen und Arbeiten am Computer zur Verschlechterung des Sehvermögens bei.“

Die Anzahl der Kurzsichtigen erhöhte sich im Lauf der letzten Jahrzehnte erheblich: In allen Industrienationen weltweit ist mindestens ein Drittel der Bevölkerung kurzsichtig, in manchen Großstädten Asiens sogar fast 90 Prozent. Die Gründe für diesen Anstieg sind noch nicht eindeutig geklärt. „Studien haben jedoch gezeigt, dass Umweltfaktoren wie Bildung, Beruf und Freizeitgestaltung eine entscheidende Rolle spielen“, sagt Professor Dr. med. Christian Ohrloff, Pressesprecher der DOG aus Frankfurt.

Dass Kurzsichtigkeit – fachsprachlich auch Myopie genannt – überwiegend erblich und damit angeboren ist, bestätigen auch die aktuellen Ergebnisse nicht: „Die rapide Zunahme der Myopie, vor allem in Asien, lässt sich nicht mit genetischen Faktoren erklären“, sagt Privatdozent Dr. med. Alireza Mirshahi, der die Untersuchung in Mainz geleitet hat. „Wir haben 45 verschiedene genetische Faktoren getestet, aber im Vergleich zum Bildungsstand hatten sie einen viel geringeren Einfluss.“ Vieles spreche dafür, dass Umwelteinflüsse die Entstehung der Kurzsichtigkeit befördern.

Die Ursache für die Fehlsichtigkeit liegt in einem zu langen Augapfel: Die einfallenden Lichtstrahlen bilden ihren Brennpunkt nicht auf der Netzhaut, sondern davor. Dadurch erscheinen ferne Gegenstände verschwommen. Aber nicht nur das Sehen wird für die Betroffenen zum Problem. Schon mäßige Kurzsichtigkeit von -1 bis -3 Dioptrien verdoppelt das Risiko für Folgeerkrankungen wie Netzhautablösung, Grünen oder Grauen Star.

Alle Versuche, das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit mit Brillen oder Medikamenten zu heilen oder aufzuhalten, zeigen bislang keinen Erfolg. Aus aktuellen Studien geht jedoch hervor, dass Schüler, die viel Zeit im Freien verbringen, seltener von Kurzsichtigkeit betroffen sind, als Stubenhocker. „Helles Tageslicht scheint sich regulierend auf das Wachstum der Augen auszuwirken“, meint Professor Christian Ohrloff. Auch die Autoren der Mainzer Studie empfehlen Frischluft zur Vorsorge: Da Schüler und Studierende einem höheren Risiko ausgesetzt sind, kurzsichtig zu werden, sei es sicherlich sinnvoll, dass sie dem vorbeugen, indem sie mehr Zeit im Freien verbringen.

Quellen:

Mirshahi A. et al. (2014), Myopia and Level of Education: Results from the Gutenberg Health Study, Ophthalmology,

DOI:10.1016/j.ophtha.2014.04.017

DOG: Forschung – Lehre – Krankenversorgung
Die DOG ist die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Augenheilkunde in Deutschland. Sie vereint unter ihrem Dach mehr als 6500 Ärzte und Wissenschaftler, die augenheilkundlich forschen, lehren und behandeln. Wesentliches Anliegen der DOG ist es, die Forschung in der Augenheilkunde zu fördern: Sie unterstützt wissenschaftliche Projekte und Studien, veranstaltet Kongresse und gibt wissenschaftliche Fachzeitschriften heraus. Darüber hinaus setzt sich die DOG für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Augenheilkunde ein, indem sie zum Beispiel Stipendien vor allem für junge Forscher vergibt. Gegründet im Jahr 1857 in Heidelberg ist die DOG die älteste medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft der Welt.

Neues Diagnose-Verfahren erkennt Erbkrankheiten

PhenIX kann aus Gen- und Symptom-Analysen genetische Erkrankungen sicher und schnell erkennen

Berlin, 05.09.2014 Genetisch bedingte Krankheiten bedeuten für Betroffene oft eine Odyssee von Arzt zu Arzt. Weniger als die Hälfte der Patienten, bei denen der Verdacht auf eine genetische Erkrankung besteht, erhalten bislang eine zufrieden stellende Diagnose. Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik haben jetzt ein Testverfahren entwickelt, mit dem sich die Aussichten auf eine Diagnose für Betroffene deutlich erhöhen. Das Verfahren ist für medizinische Einrichtungen frei zugänglich und kann ab sofort eingesetzt werden. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift *Science Translational Medicine publiziert.

 

Der erste Schritt zur richtigen Behandlung ist die genaue Diagnose – doch selbst in unbehandelbaren Fällen ist sie von unschätzbarem Wert. »Das gibt immerhin die Gewissheit, dass die Erkrankung nicht selbst verschuldet ist«, sagt Prof. Dr. Peter Robinson, Wissenschaftler am Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité und einer der Entwickler des neuen Diagnoseverfahrens Phenotypic Interpretation of eXomes (PhenIX). Bisher wurde bei solchen Krankheiten lediglich eine genetische Analyse durchgeführt, die aber oft für eine genaue Erkenntnis oft nicht ausreicht. Problematisch ist bei allen Tests, dass die individuelle Vielfalt der Erbsubstanz der Patienten eine diagnostische Analyse erschwert – unter Millionen von genetischen Abweichungen, die jeder Mensch in sich trägt, gilt es, die eine ausschlaggebende zu finden.

 

Um dieses Problem zu lösen, haben die Berliner Wissenschaftler ein neuartiges diagnostisches Verfahren entwickelt. Im Gegensatz zu früheren Tests kombiniert PhenIX die Analyse der genetischen Unregelmäßigkeiten mit dem klinischen Krankheitsbild des Patienten. Im ersten Schritt wird gezielt nach etwa 3000 Genen gesucht, die dafür bekannt sind, Krankheiten zu verursachen. Dafür haben die Wissenschaftler systematisch öffentlich zugängliche Datenbanken durchsucht und eine Liste von bekannten Gendefekten erstellt. Ist dies geschehen, bleiben üblicherweise noch einige hundert genetische Unregelmäßigkeiten im Genom des Patienten als Kandidaten für den Verursacher der Krankheit. Im zweiten Schritt durchsucht der behandelnde Arzt die Human Phenotype Ontology (HPO), eine an der Charité zuvor bereits entwickelte Datenbank, nach den Symptomen des Patienten. Betrachtet der Arzt nun die Schnittmenge der beiden Analyseverfahren, bleibt eine Kandidatenliste von oft nicht mehr als 20 möglichen Ursachen für die Erkrankung, inklusive Rangfolge nach Wahrscheinlichkeit. Nun ist es nicht mehr schwer, diese der Reihe nach durchzugehen und zu testen.

 

In einer Pilotstudie wurde eine Gruppe von Patienten untersucht, deren genetische Erkrankung bereits bekannt war. PhenIX diagnostizierte ausnahmslos korrekt. Zudem stellten sich weitere Erkrankte der Behandlung, bei denen trotz intensiver, teils jahrelanger Bemühungen und Untersuchungen bislang keine Diagnose gestellt werden konnte. Mithilfe des neuen Verfahrens wurde bei über 25 Prozent dieser Patienten die genaue Krankheitsursache ermittelt.

 

Für Kliniken, die über die notwendige technische Ausstattung verfügen, ist PhenIX bereits frei zugänglich. »Durch die Kombination von klinischem Befund und genetischer Analyse ist uns ein großer Schritt gelungen – für den Arzt bedeutet das neue Verfahren gerade mal zwei Stunden Arbeit«, sagt Dr. Robinson. Und er verspricht: »Auch in Zukunft wird es immer eine frei verfügbare Version des Programms geben.« Verbesserungsmöglichkeiten sieht er noch in einer einheitlicheren Bedienung der Datenbanken. »Ärzte wissen manchmal nicht genau, wie sie ein Symptom beschreiben sollen, oder sie kennen es unter unterschiedlichen Namen.“ Hier könnten gewisse Richtlinien die Suche erfolgreicher machen – damit die Diagnose künftig noch schneller und genauer wird.

 

*Tomasz Zemojtel, Sebastian Köhler, Luisa Mackenroth, Marten Jäger, Jochen Hecht, Peter Krawitz, Luitgard Graul-Neumann, Sandra Doelken, Nadja Ehmke, Malte Spielmann, Nancy Christine Øien, Michal R. Schweiger, Ulrike Krüger, Götz Frommer, Björn Fischer, Uwe Kornak, Ricarda Flöttmann, Amin Ardeshirdavani, Yves Moreau, Suzanna E. Lewis, Melissa Haendel, Damian Smedley, Denise Horn, Stefan Mundlos, Peter N. Robinson: «Effective diagnosis of genetic disease by computational phenotype analysis of the disease-associated genome». Science Translational Medicine. doi: 10.1126/scitranslmed.3009262

20 Jahre Galerie in der Kinderklinik Freiburg

Jubiläumsausstellung und Vernissage

Titelbild_Jubausst_2014Zum 20-jährigen Bestehen der Galerie in der Kinderklinik am Zentrum für
Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Freiburg lädt die
Galerie in der Kinderklinik ein zu einer

Vernissage am Sonntag, den 14. September 2014, um 11 Uhr, in der Galerie in
der Kinderklinik, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des
Universitätsklinikums Freiburg, Haus Feldberg, Eingang Heilig-Geist-Str. 1,
Freiburg.

Aber nicht nur das Jubiläum der Galerie in der Kinderklinik ist Anlass zum
Feiern, sondern auch der 20. Jahrestag des UNESCO Projekts „Arts in
Hospital“ sowie das 40-jährige Bestehen der Abstract Art Academy (AAA)
Freiburg – London. Die Vernissage und die anschließende Ausstellung zeigen
Werke von Künstlern der AAA, die zuvor von einer Jury ausgewählt wurden.

Die Besichtigung der Ausstellung ist vom 14. September bis zum 31. Oktober
2014 an Werktagen zwischen 8 Uhr und 18 Uhr möglich.

Erinnerungslücken durch Antidepressiva?

Unterdrückung des REM-Schlafs stört Lernprozesse

Berlin, 02.09.2014 Depressionen können mit Medikamenten, die den REM-Schlaf unterdrücken, wirksam behandelt werden. In diesen Schlafphasen finden nicht nur die meisten Träume statt, sondern es werden auch Erinnerungen im Gedächtnis verfestigt. Wie Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin jetzt festgestellt haben, beeinträchtigt die Unterdrückung des REM-Schlafes gleichzeitig das Lernen und kann Gedächtnisstörungen hervorrufen. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift Sleep* veröffentlicht.

Menschen mit Depressionen sind antriebslos, wirken nach außen müde und schlapp. Doch innerlich sind sie angespannt und das Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Eine der wirksamsten Therapien ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Unterdrückung des REM-Schlafs mit bestimmten Antidepressiva. Dieser Wirkmechanismus beeinflusst jedoch auch die kognitiven Leistungen: In den REM-Schlafphasen werden Erinnerungen im Langzeitgedächtnis verfestigt und fördern damit das prozedurale Lernen. Das sind automatisierte Lernvorgänge, wie beispielsweise Klavierspielen oder Fahrradfahren.

Bisherige Studien zeigten, dass depressive Menschen in ihrem prozeduralen Lernen beeinträchtigt sind und ein erhöhtes Risiko haben, an kognitiven Störungen oder Demenz zu erkranken. Sind diese Symptome Ausdruck der Erkrankung oder werden sie erst durch die Antidepressiva hervorgerufen? Dieser Frage ging die Arbeitsgruppe um Privatdozent Dr. Dieter Kunz vom Institut für Physiologie der Charité in einer experimentellen Studie nach. Vor dem Zubettgehen sollten sich 25 gesunde Teilnehmer visuelle Muster merken. Anschließend bekamen sie entweder ein Placebo oder das Antidepressivum Amitriptylin verabreicht. Am nächsten Abend wurde der Lernerfolg getestet: Die Probanden mit dem Placebo-Präparat konnten die Muster deutlich schneller erkennen als diejenigen, die Amitriptylin erhalten haben.

»Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass kognitive Störungen bei depressiven Patienten durch das Antidepressivum Amitriptylin zumindest mit verursacht werden. Das Eindringen von psychoaktiven Substanzen in die komplizierten Schlafabläufe kann eine Vielzahl der bekannten Nebenwirkungen wie kognitive Defizite, Gewichtszunahme und morgendliche Apathie erklären«, sagt der Schlafforscher Dr. Kunz. Weiterhin betont er: »Die Entwicklung von neuen Substanzen, die nicht nur tagsüber das Befinden von depressiven Menschen verbessern, sondern auch deren Schlafqualität fördern, ist voranzutreiben.«

*Goerke M, Cohrs S, Rodenbeck A, Kunz D. Differential effect of an anticholinergic antidepressant on sleep – dependent memory consolidation. Sleep 2014 May 01. Doi: 10.5665/sleep.3674